Mittwoch, 5. April 2023

Demokratie in der Krise?

In diesen Zeiten ist häufig von der Krise der Demokratie die Rede. In immer mehr Staaten oder Teilstaaten werden rechtsgerichtete Regierungen installiert, denen der Erhalt und die Förderung der Demokratie kein Anliegen ist, die vielmehr die demokratischen Institutionen und Errungenschaften schwächen wollen, um ihren Machterhalt zu sichern. Diese Gruppierungen gebärden sich zwar als die Garanten für Sicherheit, aber untergraben gleichzeitig den Hauptgaranten der politischen und sozialen Sicherheit, die moderne Demokratie mit ihren beständig verbesserten Mechanismen der Kontrolle der Macht und des inneren Ausgleichs zwischen verschiedenen Interessensgruppen.

Die Zustimmungswerte zur Demokratie gehen zurück (in Österreich stärker als in Deutschland), auch wenn diese Regierungsform noch immer weit vor allen anderen bevorzugt wird. Die Zustimmung zu autoritären Regierungsformen liegt in Österreich je nach Fragestellung zwischen 10%, die strikt eine autoritäre Führung wollen, und 43%, die einen “starken Mann” an der Spitze attraktiv finden. Mit 10 % an rechtsgerichteten Wählergruppen kann jede Demokratie zurande kommen; doch je höher dieser Prozentsatz steigt, desto größer ist die Gefahr für eine autoritäre Wende.

Das Modell mit den Institutionen der Gewaltentrennung und des Interessenausgleichs in Zusammenhang mit unabhängigen und kritischen öffentlichen Medien hat sich über die letzten beiden Jahrhunderte ausgebildet und ständig verbessert. Es hat wesentlich zur stabilen und friedlichen Entwicklung in der überwiegenden Zahl der westlichen Länder beigetragen. Ein Charakteristikum der Demokratie besteht darin, dass sie selber der Gegenstand demokratischer Diskussion ist, denn sie muss beständig an die sich veränderten Bedingungen der Gesellschaft angepasst werden. Ihre Grundlagen, die Rechtsgleichheit, die Verfassungstreue und die allgemeine politische Willensbildung, dürfen dabei nie außer Acht gelassen werden. Damit soll verhindert werden, dass eine demokratisch gewählte Regierung die Demokratie selber aus den Angeln heben kann, ähnlich wie es 1933 in Deutschland und Österreich passiert ist.

Krisenstimmung und Demokratieskepsis

Das bekannte Modell der Führungsstile besagt, dass autoritäre Führungen effektiver sind, wenn akute Krisen bewältigt werden müssen. Ein Haus brennt, und der Hauptmann der Feuerwehr gibt die Befehle, die sofort befolgt werden. Eine demokratische Willensabstimmung braucht viel Zeit, die im Notfall nicht gegeben ist. Es muss schnell gehandelt werden, um eine Katastrophe abzuwenden, und lange Beratungen, bei denen jedes Für und Wider abgewogen wird, verzögern das Handeln, unter Umständen, bis es zu spät ist.

Soweit die Theorie. In der demokratischen Praxis ist für Notfälle die gewählte Regierung zuständig, die dann ad hoc Maßnahmen beschließen kann. Reichen dafür Verordnungen nicht aus, braucht es also Gesetze, so muss die Volksvertretung mit einbezogen werden, aber auch alle anderen Maßnahmen unterliegen der demokratischen Kontrolle, die manchmal erst nachträglich schlagend wird wie z.B. bei den Corona-Maßnahmen.

Bei vielen Menschen entsteht dennoch der Eindruck, dass die demokratischen Institutionen zu schwach sind, um Krisen effektiv zu bewältigen. Sie verallgemeinern die Einsichten aus dem Modell der Führungsstile, die aus überschaubaren Krisensituationen gewonnen wurde, und wenden es auf komplexe Krisen an. Deshalb verbreitet sich in Zeiten, die als krisenhaft erlebt werden, der Wunsch nach einer starken und autoritären Führung, mit der Hoffnung, dass diese den Krisen eine schnelle Abhilfe verschaffen könne.

Nahezu alle Krisen unserer Zeit können freilich gar nicht von einzelnen Personen abgewendet werden, weil sie aus einer Unmenge von Ursachen und Zusammenhängen entstanden sind. Es gibt keine noch so geniale Führungspersönlichkeit, die dafür nachhaltige Lösungen umsetzen könnte. Selbst nationale Regierungen sind überfordert, weil sie nur Maßnahme für das eigene Staatsgebiet treffen können, die Probleme aber oft länderübergreifend sind und isolierte Maßnahmen die Schwierigkeiten in übergeordneten Systemen verschärfen können. Auch wenn viele Führungspersönlichkeiten für sich reklamieren, gewissermaßen die ultimativen Retter für alle Nöte zu sein, produzieren sie als Folge wenig durchdachter Maßnahmen in der Regel mehr zusätzliche Krisen. Oft versuchen sie, kurzfristig wirksame Lösungsversuche durchpeitschen, deren Konsequenzen nicht mitbedacht werden.

Küchenphilosophie

Wir unterliegen als Menschen immer wieder der Tendenz, einfache Alltagssituationen mit Situationen zu vergleichen, die eine hohe Komplexität aufweisen, und Lösungsansätze, die im überschaubaren Raum der kleinen Welt funktionieren, eins zu eins auf Großgebilde zu übertragen, mit der Erwartung, dass sie dort genauso effektiv sind. Komplexität verunsichert, Vereinfachung gibt uns eine scheinbare Sicherheit. Das ist ein häufiger Fehlschluss. Bei komplexen Themen finden wir nur zu den sinnvollen Lösungen, wenn wir uns in die Komplexität vertiefen und für Lösungsansätze die “Schwarmintelligenz” nutzen, also das Zusammenwirken verschiedener Personen (Experten und Laien) und Institutionen. Solche Vorgänge brauchen mehr Zeit, die aber sinnvoll genutzt ist, weil sie profunde, abgesicherte und nachhaltig wirksame Lösungsschritte ermöglicht. Solche Vorgänge sind nur in einem demokratischen Rahmen möglich.

Es ist wiederum dem Beschleunigungsmodus, der die moderne Gesellschaft prägt, geschuldet, dass demokratische Entscheidungsprozesse in Misskredit geraten. Wir erwarten, dass Probleme, die auftreten, möglichst schnell gelöst werden, und wir werden ungeduldig, wenn die Entscheidungen lange Zeit brauchen. Meistens glauben wir, sofort besser zu wissen, was gut ist, und verstehen nicht, was das lange Palavern soll. Auch hier überschätzen wir häufig unsere eigenen Fähigkeiten im komplexen Denken und wir glauben, wir bräuchten nur die Einsichten unseres Hausverstandes auf übergreifende Zusammenhänge anwenden, ohne dass wir es für nötig erachten, die Unterschiede an Komplexität zu berücksichtigen. Es ist, als ob wir mit einem Rezept aus einem Kochbuch das Hungerproblem in der Welt lösen wollten.

Der Nationalismus als Trumpfkarte

Verschärft wird die Demokratieuntergrabung durch die nationalistische Karte. Viele Politiker, die ursprünglich aus einer liberalen Richtung kommen (z.B. V. Orban oder D. Trump), haben erkannt, dass der Nationalismus eine Trumpfkarte liefert, mit der es relativ leicht ist, an die Macht zu kommen und sie zu behalten. Der Nationalismus appelliert an ein abstraktes Wir-Gefühl, das den Menschen Sicherheit suggeriert; allerdings ein Wir, das in Opposition oder Feindschaft zu einem fremden Wir steht, das als feindlich oder bedrohlich dargestellt wird.

Hereinnahme statt Ausgrenzung

Demokratische Reife besteht dagegen darin, die Andersheit der anderen anerkennen und gelten lassen zu können. Die Diversität der Ansichten, Meinungen, Lebensorientierungen, kulturellen Prägungen usw. hat in einer Demokratie einen Platz und eine wichtige Bedeutung, die dazu führt, dass schwache Positionen gefördert werden. Pluralität und gegenseitige Akzeptanz sind der Nährboden für die Kreativität und Resilienz von Gesellschaften; Ausgrenzungen und Aggressionen gegen Minderheiten oder Schwächere destabilisieren den gesellschaftlichen Zusammenhalt und steigern die allgemeine Unsicherheit und Angst. 

Zur Demokratie gehört die Inklusion, zum Nationalismus die Exklusion, das Ausschließen alles dessen, was bestimmten vordefinierten Kriterien nicht entspricht. Der Nationalismus ist rückwärtsgewandt, weil die Identifikation mit einer Nation kein Lösungspotenzial für irgendeine der aktuellen Krisen liefern kann. Die Zukunft der Menschheit liegt in der Zusammenarbeit über die Grenzen von Nationalstaaten hinaus. Sie kann nur dann in eine gute Richtung führen, wenn diese Kooperation auf demokratischen Grundsätzen beruht, also inklusiv und nicht exklusiv ist. Es sollte uns langsam deutlich werden, dass wir die Zukunft nur meistern, wenn wir alle mitanpacken und uns gemeinsam anstrengen, über alle urtümlichen Grenzen hinweg und jenseits aller Hoffnungen auf einen starken Mann als Erlöser. Jede der Krisen, unter denen wir leiden, ist eine Menschheitskrise; lösen kann sie nur die Menschheit.

Deshalb ist es so wichtig, dass wir alle Möglichkeiten des Zusammenwirkens stärken und all den Bestrebungen, die die Lösungen in veralteten Modellen und rückwärtsgewandten Ideologien suchen, entgegenzutreten und sie an der Machtübernahme zu hindern. Die Demokratie muss streitbar sein, wenn sie weiterbestehen will, und sie muss ihre Gegner benennen und in die Schranken weisen. Die Demokratie ist niemand anderer als wir selber, soweit wir uns zu ihr bekennen.

Zum Weiterlesen:
Demokratie und Gefühle
Das Ego in der Medien-Demokratie
Die Verharmlosung von Diktatoren und die Demokratie
Soziopathie und die Folgen für die Demokratie
Wird die Demokratie von Manipulatoren gekidnappt?
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