Mittwoch, 22. September 2021

Die Horrorerzählung vom unwirtlichen Planeten

Ich werde im Folgenden ein paar Aspekte des zweiten Zukunftsszenario besprechen: Die Welt ist überhitzt, von Unwetterkatastrophen geprägt und nur mehr in Randzonen für Menschen lebenswert. Die Ökosphären haben ihr Gleichgewicht verloren und driften auseinander, dort, wo die Naturforschung der vergangenen Jahrhunderte Ordnungen und Zusammenhänge ausfindig gemacht hat, bricht ein Chaos aus, das keine Prognosen mehr erlaubt.

Diese Erzählung beruht auf einem breiten Fundament an gesammelten Messungen, Fakten und Modellrechnungen. Es gibt zwar, wie es in der Natur der von Menschen betriebenen Wissenschaften liegt, Fachmeinungen, die die messbaren Veränderungen im Klima, das Abschmelzen der Polkappen und Gletscher, den Anstieg der Meereshöhe anders interpretieren (nämlich als nicht menschengemacht) als die große Mehrheit in der Zunft. Sie sind nach meiner Wahrnehmung in letzter Zeit leiser geworden und werden auch weniger über die sozialen Medien verbreitet als noch vor Jahren.  Sie können also getrost ignoriert werden, ohne dass wir einen Erkenntnisverlust über die Wirklichkeit befürchten müssen. 

Wir wissen also (verdammt) viel über die Zukunft des Mensch-Natur-Systems. Wir haben keine genauen Kenntnisse über die detaillierten Auswirkungen der Klimaveränderungen, weil Wissenschaftler keine Propheten sind und die Zukunft nur im Sinn von Wahrscheinlichkeiten prognostiziert werden kann. Wir wissen aber, dass vieles in eine Richtung läuft, die die befürchtete Richtung verstärkt statt sie zu korrigieren, und wir merken auch, dass viel zu wenig getan wird, um das Ruder herumzureißen. 

Die Konkurrenz der Ideologien

Der Grund für das schwerfällige Agieren der Menschheit liegt darin, dass die ökologische Zukunftserzählung in Konkurrenz mit den anderen Szenarien steht. Deshalb wird von der absehbaren Fehlentwicklung immer wieder durch die Erzählung anderer Horrorbilder abgelenkt. Die verantwortlichen Politiker, also die Vertreter der Mehrheitsparteien, die in allen Ländern auf andere ideologische Hintergründe zurückgreifen als die grünen Parteien, haben ihre eigene ideologische Richtung stark in ihren Köpfen verankert. So zählt das das, was ihnen die Fachleute erzählen, nicht, wenn es darauf ankäme, Entscheidungen zu treffen, die der eigenen Ideologie zuwiderlaufen. Außerdem schielen sie auf ihre Wählerschaft und deren angestammte oder zugeschriebene Interessen und bestätigen sie in ihren Ängsten, statt ihnen Zukunftsbilder zu einer neuen, realitätsadäquaten Orientierung zu präsentieren. Sie haben die Angst, ihre Basis zu verlieren, wenn sie die ökologische Erzählung übernehmen. Denn ihre eigene Identität ist viel zu stark verknüpft mit ihrer Ideologie, ob sie konservativ, neoliberal, sozialistisch oder nationalistisch ist. Deshalb meinen sie, sich selber aufgeben zu müssen, wenn sie die Zeichen der Zeit ernst nehmen.

Strategien der Beschwichtigung

Natürlich gibt es diese Ambivalenzen auch in der Bevölkerung. Die beunruhigenden Entwicklungen haben schon länger die Wahrnehmungsschwellen überwunden, aber all die anderen Motive, die im eigenen emotionalen Universum mitspielen, gleichen aus, was allzu viele ökologische Ängste an Verhaltensänderungen auslösen könnten. Stattdessen melden sich kleinere, auf das eigene Leben bezogene Befürchtung, wie jene um die Bequemlichkeit, den Wohlstand und den Luxus, die Ängste vor einem Verzicht auf Dinge, die zwar nicht lebensnotwendig, aber selbstverständlich geworden sind. 

Nützlich ist die Strategie, Verzicht mit Luxus gegenzurechnen, um sich um die eigene Verantwortung zu drücken: Ich fliege nicht mit dem Flugzeug, also kann ich ruhig weiter Fleisch essen. Oder: Ich esse kein Fleisch, also kann ich weiter Flugreisen unternehmen. Eine andere Strategie besteht darin, auf andere hinzuweisen, die weniger tun: Meine Nachbarn trennen nicht einmal den Müll ordentlich, wieso soll ich dann auf das Auto verzichten? Die Chinesen blasen so viel Gifte in die Luft, warum soll ich dann meine Heizung umstellen? Die wahren Umweltsünder sind die Industriebetriebe, solange die nicht aufhören, ihre Abgase in die Luft zu blasen, fange ich gar nicht an, irgendetwas in meinem Leben zu verändern. Nein, die wahren Umweltsünder sind die Autofahrer, nein, die Lastwagenfahrer, nein, die Flugzeuge, nein, die Rinder und die Hunde. So reden die Leute über die anderen und deren Sünden und entlasten sich dadurch vom eigenen Gewissensdruck. 

Die nächste Strategie besteht darin, einzelne Entwicklungen in die Zukunft zu extrapolieren, um sie dort ad absurdum zu führen. Wenn niemand mehr mit dem Auto fahren kann, verhungern die Menschen am Land. Wenn niemand mehr Fleisch isst, veröden die Weideflächen und Almen. Wenn niemand mehr fliegt, verschwindet der Tourismus, verkommen alle Flughäfen und die Flugzeugindustrie wird zerstört. Diese scheinrationalen Überlegungen dienen ebenfalls der Gewissensberuhigung.

All diese Strategien sind kognitive Hilfen, um die Ängste vor einer ungewissen Zukunft zu bannen und zugleich in der eigenen Bequemlichkeitszone bleiben zu können. Vermutlich ist die Angst vor Veränderungen eine unserer größten, weil wir nie mit Sicherheit wissen, wohin wir geraten werden, wenn wir einen Schritt aus dem gewohnten Territorium wagen.

Ängste vor der Ungewissheit

Über kurz oder lang wird uns allerdings die Realität überholen und uns mit Ungewissheiten konfrontieren und vor völlig neue Herausforderungen stellen. Dass wir unser gewohntes Leben einfach so weiterführen können, wie wir es gerne hätten, sind fromme Wünsche mit äußerst geringer Wahrscheinlichkeit. Natürlich hängt es von Wohlstand und Reichtum ab, wieweit wir von den Folgen der Veränderungen betroffen sind. Vermutlich werden sich Inseln bilden, in denen die, die es sich leisten können, ihrem Lebensstil nachgehen können wie bisher, aber die größte Zahl der Menschen wird den Folgen der Versäumnisse, die wir in der Vergangenheit begangen haben und auch jetzt mit unserer Form des Alltagslebens begehen, ausgeliefert sein. 

Ob ein Horror durch plötzliche massive Veränderungen infolge von Kippeffekten eintreten wird oder graduelle Prozesse der Umgestaltung geschehen, ist völlig ungewiss. Doch brauchen wir jetzt keinen Horror in unseren Köpfen pflegen, sondern sollten diese freihalten, um die Maßnahmen zu setzen oder zu unterstützen, die wir in der Gegenwart angehen können. Wir brauchen auch die Kreativität für neue Lösungen, um aus dem Eck, in das wir uns manövriert haben, herauszukommen. Wenn wir in Horrorfantasien verstrickt sind, wird die Kreativität geblockt. Wir müssen also unsere Zukunftsängste bändigen und unsere Zuversicht und unser Vertrauen stärken, damit wir dem, was auf uns zukommt, gewachsen sind.

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