Die Hoffnung meldet sich, wenn wir ein Defizit in der Gegenwart erkennen. Wir brauchen keine Hoffnung, wenn wir eins sind mit dem gegenwärtigen Moment. Wir besinnen uns ganz auf unseren Atem und sind voll im Jetzt. Es aber nicht möglich, uns jeden Moment nur auf das Jetzt zu beziehen. Denn immer wieder brauchen wir unser Denken, das uns die Informationen über die nächsten Schritte in die Zukunft hinein zur Verfügung stellt. Wir haben Hunger und wollen uns Lebensmittel besorgen und müssen dafür wissen, wie lange die Geschäfte geöffnet haben. Damit sind wir zugleich im Moment, in dem wir uns mit diesen Informationen beschäftigen, und in der vorgestellten Zukunft.
In diesem Bereich bewegt sich die Hoffnung. Wir brauchen sie, sobald wir aus der Versenkung in den Moment heraußen sind und in unsere Zukunft schauen. Wir erleben sie wohl in diesem Moment, wie alles, was wir erleben. Zugleich verbindet diese Sicht den jeweils aktuellen Moment mit der Zukunft. Was am Jetzt gut ist, soll darüber hinaus erhalten bleiben. Ein Missstand in der Gegenwart kann nur in der Zukunft verbessert werden. Deshalb gehen wir in unserer Vorstellung zur Reparatur des Defizits in die Zukunft.
Hier mischt sich die Hoffnung ein. Wir nutzen sie, falls wir etwas an der Gegenwart als profund mangelhaft wahrnehmen. Wenn wir z.B. bemerken, dass es in der Ecke des Zimmers staubig ist, brauchen wir keine Hoffnung, sondern einen Besen. Wenn wir hingegen erkennen, dass wir krank sind und nicht wissen, wie wir wieder gesund werden könnten, brauchen wir die Hoffnung und ihre Kraft der Zuversicht, um unseren Überlebenswillen zu stärken. Die Hoffnung ist also das Gegenmittel gegen die Verzweiflung. Wir hoffen unter solchen Umständen wider die Hoffnung, wie es heißt, wir halten also an der Möglichkeit eines guten Ausgangs fest, auch wenn die naheliegenden Umstände dagegen sprechen.
Die Hoffnung als Imperativ
Wir brauchen die Hoffnung erst recht, wenn wir über unseren Tellerrand schauen und die vielen Missstände in der Welt wahrnehmen. Denn ohne die Schimmer der Hoffnung bliebe uns nur die pure Verzweiflung angesichts der kolossalen Ungerechtigkeiten und Benachteiligungen. Und die Verzweiflung ist kein guter Ratgeber für zielgerichtetes und sinnerfülltes Handeln, das notwendig ist, um die Missstände zu lindern und das Gute zu vermehren.
Aus dieser Einsicht können wir den Imperativ formulieren: Du sollst die Hoffnung nie fahren lassen, nämlich die Hoffnung, dass wir Menschen mit unseren genialen Potenzialen so viele kreative Ideen hervorbringen werden und mit dieser Schöpfungskraft alle Probleme der Menschheit auf lange Sicht zu einem beträchtlichen Ausmaß bewältigt werden können. Die Hoffnung gründet realistischerweise auf dem, was schon erreicht wurde, und verlängert utopistisch die Trends, die im Sinn der Vermenschlichung der Gesellschaft und des Respekts für die Natur schon in Gang gesetzt wurden, in die Zukunft weiter. Sie vertraut auf die menschliche Intelligenz in technisch-organisatorischen wie in sozialen Belangen, an Herausforderungen zu wachsen und neue Strategien zu entwickeln.
Es kommt darauf an, das Hoffen zu lernen. Seine Arbeit entsagt nicht, sie ist ins Gelingen verliebt statt ins Scheitern. (Ernst Bloch: Das Prinzip Hoffnung, Vorwort)
Die Paradoxie der Hoffnung
Hoffnung bleibt Hoffnung, solange sie die Ungewissheit, die der Zukunft innewohnt, mit umfasst. Hoffnung, die die Ungewissheit ausschließt, verliert ihren hilfreichen Kern. Die Hoffnung bietet also ein Paradox an: Gerade weil die Zukunft unsicher ist, gibt uns die Hoffnung Sicherheit. Es ist die Sicherheit, die aus unserem Weltvertrauen stammt, mit dem wir in diese Welt getreten sind, und die wir mittels des Hoffens auf die Zukunft ausdehnt. Getragen von der Kraft der Hoffnung widmen wir uns den Aufgaben der Gegenwart und packen sie tatkräftig an, weil wir darauf bauen, dass all das, was wir jetzt schaffen, die Basis für eine bessere Zukunft legt.
Hoffnungsfrohe Menschen sind solche, die vertrauensvoll an das Leben und seine Herausforderungen herangehen. Sie wollen meistern, was sich als Aufgabe stellt, und damit das zukünftige Leben verbessern, das eigene und das der anderen.
Hoffnungsträger
Jedes Elternpaar, das Kinder in die Welt setzen will, lebt aus der Kraft der Hoffnung. Andere Paare, denen diese Form der Hoffnung fehlt, sagen, dass sie keine Kinder kriegen wollen, weil diese nur die Probleme der Welt vermehren, z.B. die Überbevölkerung oder den Ressourcenverbrauch. Sie glauben nicht daran, dass die eigenen Kinder dazu beitragen können, das zukünftige Leben zu verbessern, sondern wollen die Verantwortung nicht tragen, Kinder den Problemen einer ungerechten und unsicheren Welt auszusetzen.
Jedes Kind, das das Licht der Welt erblickt, ist jedoch ein Signalträger der Hoffnung. Es macht auf zutiefst menschliche Weise deutlich, dass die Natur immer weiter neues Leben erschaffen will und sich dabei nicht um die Details kümmert, wie und unter welchen Umständen ein neues Leben gelebt werden kann. Kinder haben keinen Grund, der Zukunft zu misstrauen, außer sie wurden Opfer von traumatisierenden Grenzüberschreitungen oder Vernachlässigung.
Das Kindliche der Hoffnung
Darum hat die Hoffnung auch etwas Kindliches. Sie enthält einen Funken Naivität und Gutgläubigkeit, die manchmal auch als Blauäugigkeit gedeutet werden kann, wenn scheinbar alle Fakten gegen sie sprechen. Doch bleibt die Hoffnung solange sehend, als sie sich auf eine Wirklichkeitserkenntnis stützt und auch die widersprechenden Fakten berücksichtigt. Sie wird erst blind, wenn sie sich nur aus Wunschfantasien nährt.
Das kindliche Zutrauen in eine hoffnungsfrohe Zukunft brauchen wir nicht auf dem Altar des Erwachsenseins und seinen Forderungen und Erwartungen zu opfern. Denn es ist mit der kindlichen Lebensfreude verwandt, die unser Leben beflügelt und befreit. Wir sind nicht erwachsen, indem wir keine Kinder mehr sind, sondern indem wir die Energien und Qualitäten des Kindseins ins Erwachsenensein integrieren.
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