Sonntag, 30. November 2014

Das Ego und die Dualität

Das Ego ist aus Trennung und Abspaltung entstanden. Es hat sich als Retter aus einer frühen Traumatisierung entwickelt und sieht sich hinfort als Beschützer vor weiteren negativen Erfahrungen. Es entwickelt in dieser Rolle eine eigene Strategie, die sich aus der Struktur der Traumaverarbeitung auf der Gehirnebene ableitet und auf ihr beruht. Wir können also davon ausgehen, dass das Ego ein eigenes neuronales Netzwerk im Gehirn aufbaut und sich aus seiner Aktivität immer wieder selbst bestätigt.

Um seinen Bestand zu wahren, muss es implizit sagen: Ich bin traumatisiert und ich will, dass das so bleibt. Ich will also nicht geheilt werden. Denn damit wäre ich überflüssig. Also arbeite ich daran, dass alles so bleibt, wie es ist. Therapeuten kennen dieses Phänomen unter dem Namen Widerstand.

Das Ego, das aus Abtrennung entstanden ist, bestätigt sich selber andauernd, indem es überall im Außen und im Innen Trennungen erschafft. Seine Spezialitäten sind das Vergleichen, das Abwerten, das Kritisieren, das Betonen der Unterschiede. Überall, wo es Dualitäten erschaffen kann, fühlt es sich sicher. Sein Prinzip ist es, Zwietracht zu säen. Wo Einheit ist, soll Dualität sein. Denn nur im Dualen hat das Ego eine Existenzberechtigung.

Liebe, das Prinzip der Verbindung, wird vom Ego in Konzepte gegossen und so handhabbar gemacht. Liebe ist, wenn … jemand meine Bedürfnisse erfüllt, jemand mir nicht widerspricht, jemand nur für mich da ist, wenn ich gebe, damit ich genug bekomme usw. Die Konzepte der Liebe werden vom Ego als Erweiterung seiner Ansprüche und Komplexe verwendet. Ein typischer Spruch aus der Egoperspektive: „Liebe ist schwer zu finden, schnell verloren und hart zu vergessen.“

Das Ego vermag es auch, eine eigene Form der Einheit und Vollkommenheit zu fantasieren, die als Sehnsucht in einen illusionären Ort hineinprojiziert wird: Das Schlaraffenland, Shangri La oder Avalon. Oder eben: Das paradiesische Leben nach dem Tod. Solche Illusionen dienen nichts anderem als der Befestigung der Dualität: Nicht hier und jetzt, sondern irgendwann einmal wird alles gut sein.


Vgl. Theologie und Mystik zur Frage nach dem Weiterleben
Das Ego und die Idee der Unsterblichkeit
Das Ego und seine Wurzeln

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