Aus der Physik wissen wir, dass Leistung die in einer bestimmten Zeit umgesetzte Energie ist. Je mehr und je schneller umgesetzt wird, desto höher ist die Leistung.
Grundsätzlich bringen wir Menschen, "die etwas leisten", Wertschätzung und Achtung entgegen, während wir "Leistungsverweigerern" mit Misstrauen und Abwertung begegnen. Wer etwas leistet, erweist sich als nützliches Mitglied der Gemeinschaft, wer nichts beträgt, soll auch nicht dazugehören. Deshalb wird der schon von Paulus formulierte Spruch:"Wer nicht arbeiten will, soll auch nichts essen", auch unter Stalin und Hitler propagiert. In "Mein Kampf" steht zu lesen: "Nur dem Starken, dem Fleißigen und dem Mutigen gebührt ein Sitz hienieden."
Die Leistungsträger hier, die Trittbrettfahrer dort - allzu vereinfacht ist die Sichtweise, und deshalb gut für die politische Propaganda geeignet. Denn jedes Tun liefert in einem allgemeinen Sinn eine Leistung, das Ergebnis der betreffenden Aktivität. Nur gelten bestimmte Leistung viel und andere nichts.
Stellen wir uns einen notorischen Faulenzer vor, der den lieben langen Tag im Bett verbringt. Er erbringt keinen sinnvollen und verwertbaren Output. Doch wissen wir nicht, was eines Tages aus diesem nichtsnutzigen Dasein entsteht, vielleicht eine bahnbrechende Idee oder ein unbändiger Fleiß. Wir wissen auch nicht, was dazu geführt hat, dass er seine Zeit lieber im Bett als im Arbeitszimmer verbringt. Vielleicht hat er ein Zuviel an Enttäuschungen, Zurückweisungen oder Misserfolgen erleben müssen, vielleicht haben ihm schwer belastende Erfahrungen die Motivationskraft beschnitten. Wenn wir annehmen, dass jede Form, wie Menschen ihr Dasein leben, einen Sinn macht und zum Ganzen einer Gesellschaft beiträgt, dann verlieren wir die Scheinsicherheit, mit der wir Menschen nach ihren Leistungen beurteilen.
Wir sind ja gewohnt, allzu schnell Maßstäbe anzulegen, die wir nicht auf ihre Herkunft überprüfen und die dem, was sie messen sollen, nicht angemessen sind. Wenn wir davon ausgehen, dass Menschen in jeder Situation das Beste tun, was ihnen in diesem Moment möglich ist, verliert der Leistungsbegriff seine unterscheidende Schärfe. Wir können niemanden mehr aus der "Leistungsgesellschaft" ausschließen, sondern müssen anerkennen, dass jedes und alles, was geschieht, zu den Leistungen und damit zum Gesamtzustand einer Gemeinschaft beiträgt.
Jeder Mensch möchte eine Leistung erbringen, für sich selbst und für die anderen Menschen, außer er ist schwer krank oder innerlich völlig blockiert. Behinderte Menschen möchten nicht bemitleidet werden, sondern einen Beitrag leisten und dafür anerkannt werden. Wer unfähig ist, etwas beizutragen, leidet daran, dass es so ist, und hofft auf Besserung.
Die Angst der Fleißigen vor den Faulen
Wer sich als arbeitsam und fleißig einschätzt, kommt leicht in die (auch von manchen Politikern geschürte) Verurteilung der "Faulen". Benachteilungen und Ungerechtigkeiten, denen sich ein "Fleißiger" ausgesetzt fühlt, werden gerne in eine Ablehnung und Verurteilung jener, die als faul eingeschätzt werden, kanalisiert. Dahinter steckt die Angst der Fleißigen, dass sie von den Faulen um die Früchte ihrer Anstrengungen gebracht werden. Mancher, der viel arbeitet und viel verdient, bekommt den Eindruck, dass das, was er an Steuern zahlen muss, vom Ertrag seiner Leistungen weggenommen wird und in den gierigen Bäuchen der Bequemen und Faulen landet.
Der Fleißige kann sich von der Angst befreien, wenn er sich vor Augen führt, dass der Faule jemand ist, der durch widrige Umstände daran gehindert ist - diese Hindernisse können innerlich oder äußerlich sein -, selber Leistungen zu erbringen. Er, der Fleißige dagegen, befindet sich in einer privilegierten Position, weil das, was er tut, gesellschaftliche Anerkennung und materiellen Erfolg bringt. So scheint es nur recht und billig, dass von diesem Ertrag, den das gesellschaftliche Ganze dem Einzelnen als Gewinn oder Einkommen gewährt, ein Teil wieder an dieses Ganze zurückfließt.
Die Angst der Faulen vor den Fleißigen
Die Leistungsminimierer hingegen spüren die Abwertung und Verachtung durch die Maximierer. Auf solche Einstellungen reagieren wir entweder mit Trotz ("Die können mich mal!") oder mit Resignation ("Ich schaffe das einfach nicht"). Beide Reaktionsformen sind Selbstblockierungen, die das Problem und die Spannung nur verstärken. Die Auswege aus der Falle der erlernten Hilflosigkeit ist das Erkennen der eigenen Leistungen, Talente und Fähigkeiten. Der erweiterte Blick darauf, dass die Gesellschaft jede Form des Tuns und Beitragens braucht und hoffentlich irgendwo und irgendwann auch schätzen kann, wird helfen, die Blockierungen aufzulösen und den Maximierern den Wind aus den Segeln zu nehmen.
"Wichtige" und "unwichtige" Leistungen
Erst recht unklar wird die Sache, wenn wir uns fragen, was wichtige und was unwichtige Leistungen sind. Der Generaldirektor einer Firma leistet scheinbar wichtigere Arbeit als seine Putzfrau. Vom Erfolg seiner Arbeit können viele Arbeitsplätze abhängig sein, während die Reinigung seines Arbeitsraums kaum von jemandem bemerkt wird und das Geleistete am nächsten Tag schon wieder verschwunden ist. Dennoch tut und leistet der Generaldirektor das Seine und die Putzfrau das Ihre, mal besser und mal schlechter, immer mit dem Einsatz von Energien. Beides ist notwendig, und der Unterschied in der Bedeutung ist nur graduell und abhängig von der Sichtweise und Bewertung dessen, was als wichtig erachtet wird. Es gibt Leistungen, die mehr Folgewirkungen haben als andere, aber das betrifft nicht die Leistung selber. Als Mensch verdient die Putzfrau die gleiche Achtung für ihre Leistung als der Generaldirektor für seine, ob sie diese nun in der Realität auch bekommt oder nicht.
Leistung und Anstrengung
Wir neigen dazu, den Begriff der Leistung mit dem der Anstrengung zu verbinden oder zu verwechseln. Je mehr Schweiß fließt, desto mehr wurde geleistet. Da haben wir das Bild von Stachanow vor uns, dem Rekord-Kohleschaufler und Vorzeigeleistungsträger der stalinistischen Sowjetunion. Die Arbeitsleistung sollte messbar sein in der Menge von Kohlen, die von A nach B geschaufelt werden. Leistung muss mühsam sein. Nur wer sich (oder einen inneren Schweinehund) überwindet, gehört zu den Leistungsträgern.
Ist es überhaupt noch eine Leistung, wenn einem die Arbeit leicht und schnell von der Hand geht, oder gar, wenn sie Spaß macht? Hat sich Mozart angestrengt, wenn er in einer Nacht die Partitur einer Oper fertiggestellt hat? Hat sich Picasso abgemüht, wenn er täglich bis ins hohe Alter ein paar Bilder gemalt hat?
Sicher braucht jeder Künstler Kraft und Energie, um seine Werke zu erschaffen, und neben den kreativen Arbeitsphasen gibt es Zeiten des mühseligen Arbeitens, wie das Lesen von Korrekturfahnen bei einem Schriftsteller oder das Ausbessern von winzigen Ungenauigkeiten bei einer digitalen Komposition.
Offenbar legen wir bei der künstlerischen Leistung einen anderen Maßstab an: Wir sehen dabei das Entscheidende nicht im Ausmaß an investierter Arbeitskraft , sondern in der Qualität des Ergebnisses. Notwendig ist jedoch beides, die Inspiration und die Transpiration.
Leistung und Bewusstseinsstufen
Wir können unseren Blick auf den Leistungsbegriff differenzieren, wenn wir ihn auf das Modell der Bewusstseinsevolution beziehen. Jede Bewusstseinsstufe hat ihren eigenen Leistungsbegriff, das also, was eine bestimmte Bewusstseinsstufe als Leistung versteht und anerkennt.
Die tribale Stufe:
Jedes Mitglied eines Stammes trägt nach den jeweiligen individuellen Möglichkeiten zur Sicherheit des Überlebens der Gemeinschaft bei. Nichtsnutze gibt es nicht, weil die einzelnen Stammesangehörigen gar keine andere Möglichkeit sehen, als in ihrem Rahmen mitzutun. Es ist weniger die Kontrolle, die durch die Überschaubarkeit innerhalb der Gruppe ermöglicht ist, die jedem zu Leistungen motiviert. Vielmehr folgt es aus der Kraft der Zusammengehörigkeit, dass jeder grundsätzlich gerne und mit Freude seinen Beitrag zum Ganzen der Gruppe einbringt. Es ist die Kraft des Selbstverständlichen, die hier wirksam ist.
Die emanzipatorische Stufe:
Leistung gilt hier als das Besondere, über das normale Maß Hinausreichende. Es wird nur das als Leistung anerkannt, was einen gewohnten Rahmen überschreitet, was sich als Verbesserung zu etwas schon Bestehendem herausstellt und was neue Perspektiven eröffnet. Es werden z.B. in dieser Phase erstmals körperliche Leistungen gemessen und verglichen, wie bei den antiken olympischen Spielen. Die dort erbrachten Leistungen wurden lebenslang geachtet und geehrt. Aus dieser Stufe stammt die Wertung von Leistungen: Das Besondere wird hochgeschätzt, das Einfache wird abgewertet und verachtet.
Die hierarchische Stufe:
Typisch für diese Stufe ist das Vorschreiben von Leistungen. Es werden Arbeitsnormen und -regeln definiert, die jeder zu erbringen hat, erzwungen durch Sanktionen. Hier wird das Ausmaß an Zugehörigkeit zur Gesellschaft von der Erfüllung der angeordneten Leistungen festgelegt. Wer nichts oder zu wenig leistet, wird ausgegrenzt und fällt aus dem Maschennetz der Gesellschaft heraus. Zugehörigkeit und damit Lebenserhaltung muss mit Leistung erworben werden. Im Schweiße des Angesichts muss das Brot verdient werden, sonst droht das Verhungern.
Die materialistische Stufe:
Leistung ist, was am Markt erfolgreich ist. Wer sich noch so abrackert und kein Geld damit machen kann, hat Pech gehabt oder ist zu blöd. Der Markt übernimmt die Einordnung der Individuen: je besser sie am Markt reüssieren, desto besser ihre Einstufung und ihre Zuteilung von Lebenschancen Das Leistungsprinzip wird erfunden: Leistung definiert den Menschen, und diese wiederum wird vom Gott des Kapitalismus, dem Markt, definiert. Damit wird die ganze Gesellschaft vom Leistungsdenken überformt, von der Wiege bis zur Bahre.
Die personalistische Stufe:
Leistung zeichnet sich durch die Qualität des Ergebnisses aus. Leistung ist etwas, das die Individualität eines Menschen in einer inspirierenden Weise zum Ausdruck bringt. In dieser Phase werden besonders die künstlerischen Leistungen besonders gewürdigt und hoch angesehen. Es wird vorausgesetzt, dass die "einfachen" Leistungen von den "einfachen" Menschen erbracht werden, während nur die "besonderen" Menschen die "besonderen" Leistungen genießen können.
Die systemische Stufe:
Die Leistungen der Menschen werden im Netz des Ganzen einer Gesellschaft gesehen und als Dienst am Ganzen verstanden. Im systemischen Verständnis wird das Geben äquivalent mit dem Nehmen. Das System der Entlohnungen für Leistungen wird als dynamisch und flexibel angesehen, das sich mit der Dynamik der Gesellschaft weiterentwickelt mit einer Tendenz zur zunehmenden Konvergenz von hohen und niedrigen Einkommen. Es gibt keine absoluten Wertzumessungen für "wichtigere" und "unwichtigere" Leistungen mehr.
Die holistische Stufe:
Wie vieles andere, verliert der Begriff der Leistung auf dieser Stufe seine Kraft. Es ist nicht mehr wichtig, zu leisten, sondern im eigenen Tun zu sein. Alles und jedes, was getan wird, gilt als Leistung oder auch nicht. Das Tun entspringt aus der inneren Mitte und braucht keinen äußeren Maßstab. Es trägt die Anerkennung und Wertschätzung in sich, wie sie auch leicht und offenherzig zwischen den Menschen fließt. Es gehört zum Wesen des Menschen, Leistungen zu erbringen und anderen von Nutzen sein zu wollen.
Vgl. Lotterie und Leistung
Vgl. Die Einatem-Gesellschaft
Vgl. Die Großen und die Kleinen
Lieber Wilfried,
AntwortenLöschenschön, dass du dich dieses Themas angenommen hast. Obwohl ich selten gengen Politiker persönliche Abneigung empfinde, hat Günter Stummvoll genau das eindrucksvoll geschafft. Für mich liegt das daran, dass er in jedem zweiten Satz während seiner politischen Karriere das Wort "Leistungsträger" verwendet hat. Mir ist das bei ihm schon sowas von auf die Nerven gegangen. Aber wie dem auch sei, ich möcht ein Paar Anmerkungen zum letzten Abschnitt "Leistungen und Bewusstseinsstufen" machen. Ich finde diesen Teil sehr erhellend, weil er die historische Spezifizität der Befriffsbedeutung so klar vor Augen führt. Ausserdem find ich es interessant Bezüge zur ökonomischen Theorie und zu meiner akademischen Tätigkeit herzustellen.
Das ökonomische Verhaltensverständnis (das übrigens sehr stark mit dem Verständnis von Märkten und deren zentraler Rolle in der Ökonomie zusammenhängt) hat ein eindeutig materialistisches Verständnis von Leistung. Das drückt sich in den verwendenten Nutzuenfunktionen aus, die aus Marktgütern gebildet werden. Soweit also wenig Überraschendes. Interessant ist daran, dass nur Endergebnisse als wertvoll betrachtet werden - also Ziele. Dieses Verständnis von Verhalten und Wohlstand abstrahiert vollständig von den zur Erreichung dieser Endergebnisse notwendigen Prozessen. Um diese Verkürzung zu thematisieren unterscheide ich in meiner Arbeit über Zeitnutzung zwischen dem Ziel- und Prozessnutzen von Aktivitäten. Menschen können vom Ziel einer Aktivität angetrieben sein (das Ergebnis einer Aktivität) oder vom Prozess (der Ausübung der Aktivität selbst). Auf der Ebene einer konkreten Person stellt sich dann die Frage, wie sehr jemand in seinem Verhalten von den Prozessen oder den Zielen angetrieben wird. Allgemein kann man diesen Zusammenhang als ein Spektrum zwischen den Polen Ziele und Pozesse betrachten, innerhalb dessen jede Person irgendwo eingeordnet werden kann. Obwohl es sich um ein Spektrum handelt und nicht konkrete Stufen, wie in dem Modell das Wilfried verwendet, sehe ich klare Bezugspunkte. Die Entwicklung von der hierarchischen bis zur holistischen Stufe kann als Verschiebung von der Zielorientierung zur Prozessorientierung interpretiert werden.
So, ich muss mich jetzt wieder um meine Ziele kümmern ;-) und an den Formatierung für mein Buch über das Thema Zeitnutzung arbeiten. Es soll in Rund zwei Monaten im Springer Verlag erscheinen.
lG, Wolfgang