Geht es beim Setzen, Verfolgen und Verwirklichen eigener Ziele und Wünsche also um Aktivitäten, die unserem Ego und seiner Ausweitung dienen? Wollen wir dabei unsere selbstsüchtigen und eigennützigen Interessen durchsetzen und unser neurotisches Sicherheitsbedürfnis durch die Anhäufung von Gütern und das Sammeln von persönlichen Erfolgen bewältigen? Sind die Techniken und Methoden, die wir dabei nutzen, manipulativ - uns selbst und anderen gegenüber?
Kreative und reaktive Lebensorientierung
Ein wichtiger Teil unseres Lebens besteht daraus, dass wir uns Ziele setzen. Das Erreichen dieser Ziele gibt uns ein besonderes Gefühl, wir erleben uns selbst als lebendig und erfüllt. Wir sind stolz auf uns und auf das Geschaffene und schöpfen aus unseren Erfolgen die Energie für neue Ideen und
Projekte.
Wir können dieses Lebensmuster nach Robert Fritz als kreative Lebensorientierung bezeichnen. Sie geht von dem aus, was in unserem Inneren als Wunsch oder Wollen entspringt, als Idee, die zur Verwirklichung drängt. Die Schlüsselfrage dazu ist: Ist das (mein Wunsch, meine Idee, meine Vision) etwas, das ich will? Dabei ist es wichtig, darauf zu achten, dass in der Frage sowohl das "Ich" als auch das "will" betont werden kann. Kreatives Schaffen kommt also nicht aus einem Sollen oder Müssen, sondern entspringt der Freiheit. Und es ist etwas, das wir selbst wollen, und nicht etwas, wozu uns andere drängen oder zwingen.
Im Gegensatz zur kreativen Orientierung kommt die Motivation bei der reaktiven Orientierung nicht von innen, sondern von außen (extrinsische Motivation). Wir werden aktiv, weil die Probleme einen (Leidens-)druck erzeugen, weil wir handeln müssen, damit es nicht noch schlimmer wird. Sobald das Problem gelöst und der Druck erleichtert ist, versiegt der Impuls wieder, und wir werden passiv, solange, bis sich das nächste Problem meldet.
Zur kreativen Lebensorientierung brauchen wir die Fähigkeit, Verantwortung für unsere Gefühle, Motivationen und Handlungen zu übernehmen. Wir akzeptieren in uns selber keine Ausreden, die uns von der Verwirklichung unserer Ziele abbringen wollen. Wenn wir Pausen einlegen (sei es, um uns von der Anstrengung der Arbeit an einem Ziel zu erholen, sei es, um ein Projekt gegenüber einem anderen zurückzustellen), so sind sie in die kreative Orientierung einbezogen. Das Nichtstun in einer Erholungsphase verstehen wir als notwendig zur Herstellung der inneren Balance und zur Regeneration für die Mühen der kreativen Arbeit.
Nach der Transaktionsanalyse ist das Erwachsenen-Ich die Instanz, die selbstverantwortlich Ziele verwirklicht. Es holt sich dafür zwei Unterstützungsquellen aus der Seelenlandschaft: die einen stammen aus den heil gebliebenen Anteilen des Kindheits-Ichs, die anderen aus der transpersonalen Sphäre. Das gesunde Kindheits-Ich steuert z.B. die Neugier, das Experimentieren, das Abenteuerliche und das Staunen bei, während aus der transpersonalen Ebene Reflexionen wie die Besinnung auf den Zweck des eigenen Lebens, die Idee des Dienens in allen Handlungen, eine Berufung oder ein innerer Ruf nützlich sein können.
Mit Hilfe dieser Kräfte bringt das Erwachsenen-Ich seine Qualitäten ein, die in dem Mobilisieren der notwendigen Ressourcen, in der Planung und der Abschätzung der Risken bestehen. Es prüft auch die Bedingungen der jeweiligen Umgebung, in die das Projekt hineingeboren werden soll und berücksichtigt möglichst viele Faktoren, um es zum Nutzen aller zu gestalten.
Hindernisse auf dem Weg zur Manifestation
Was passiert, wenn wir einen Wunsch haben, der sich wie ein tiefer innerer Ruf anfühlt, wir auch viel Motivation aus unseren leidenschaftlichen und neugierigen Anteil ziehen können, und trotzdem nicht weiterkommen? Es kann sein, dass sich unser Ego eingeschlichen hat, das sich erst selbst zufriedenstellen will, ehe es sich dem größeren Ganzen unterordnen kann.
Viele unserer Wünsche kommen aus unbefriedigten kindlichen Anteilen, aus den verletzten Erfahrungen des Kindheits-Ichs. Ihre Erfüllung soll diese Defizite auffüllen oder ausgleichen. Doch irren wir, wenn wir meinen, durch Erfolge als Erwachsene Wunden aus unserer Kindheit heilen zu können. Dazu ist es notwendig, all die Gefühle von Wut, Schmerz und Hilflosigkeit, die mit solchen frühen Erfahrungen verbunden sind, zu durchleben, also therapeutisch aufzuarbeiten.
Geschieht das nicht, so können sich die unerlösten Ego-Anteile als häufig subtile Blockaden äußern. Wir verrennen uns in Projekte und erkennen nicht, wann der richtige Zeitpunkt ist, auszusteigen oder aufzuhören. Oder wir machen immer das, was einmal Erfolg hatte, bis wir scheitern. Oder wir setzen uns Ziele, die uns ein paar Nummern zu groß sind, die unsere Kräfte und Möglichkeiten übersteigen, und programmieren damit unser Versagen.
Wenn wir ein Ziel nicht erreichen, kann es also sein, dass sich ein reaktiver (kindlicher) Anteil eingemischt hat. Dabei erweist sich meistens, dass ein solcher Ego-Anteil die transpersonalen Ressourcen blockiert, was der Fall ist, wenn wir z.B. etwas aus Gier erreichen wollen.
Gier als Ego-Aufblähung
Gier kann als Motor zum Erreichen eines Zieles dienen, doch bringt dieses Ziel, kaum ist es erreicht, keine Erfüllung, sondern fordert nur mehr von Demselben. Es kommt kein weiterer kreativer Zyklus in Gang. Statt dessen läuft sich der Gier-Prozess irgendwann zu Tode und endet häufig in der Depression Dagobert Ducks inmitten seines Berges aus Goldmünzen.
Die Struktur der Gier bildet sich in der Zahlenreihe ab. Deshalb sollten wir darauf achten, Ziele nicht mit Zahlen in Verbindung zu bringen. Die Zahlenreihe ist nach oben hin ins Unendliche hinein offen. Wenn wir uns als Ziel vornehmen, über eine Million zu verfügen, fordert das Ego sofort mehr davon, am besten die nächste Million usw. Wir verfangen uns in der Falle des materialistischen Bewusstseins, in der Welt der an Zahlenreihen aneinander aufgefädelten Dinge. In dieser Welt gibt es keine innere Erfüllung, sondern nur die kurzfristig wirksame Befriedigung von Mangelerfahrungen. Zahlen sind so abstrakt, dass sie kein Leben und keine Gefühle beherbergen können. Zahlen können auf alles und jedes angewendet werden und verhalten sich völlig gleichgültig dem gegenüber, was gezählt wird.
Ziele, die aus unserem Herzen oder aus unserer Seele kommen, brauchen keine Zahlen, sondern fließende Gefühle, Farben, Töne und Gerüche, sie brauchen Qualitäten statt Quantitäten. Solche Ziele beginnen in unserer Fantasie ein reichhaltiges und buntes Leben zu entfalten, lange bevor sie das Licht der Welt erblicken. Nur solche leb- und leibhaftige Ideen drängen von sich aus zur Verwirklichung, sodass wir uns ihnen nur mehr als Assistenten zur Verfügung stellen brauchen.
Manifestation und äußerer Erfolg
Es liegt nicht in deiner Hand, ob aus deiner Schöpfung ein Erfolg in der Welt der Dinge wird. Es ist wichtig, die Fixierung auf den äußeren Erfolg wie auf den äußeren Misserfolg loszulassen und weiter im kreativen Schaffensprozess zu bleiben. Die kreative Orientierung entfaltet in sich genügend Freude und Genuss, Erfüllung und Bestätigung, dass sie nicht auf äußere Bestätigung angewiesen ist. Für das kreative Schaffen ist es nebensächlich, wieviele Menschen das eigene Produkt oder den eigenen Dienst positiv aufgreifen.
Ab wann definieren wir überhaupt eine gelungene Verwirklichung als Erfolg? Soundsoviele Exemplare eines Buches müssen verkauft sein, soundsoviel muss ich damit verdienen, soundsowenig darf eine neue Erwerbung kosten... Wir sind hier wieder in der Welt der Zahlen gelandet und ihrer Relativität ausgeliefert. Äußerer Erfolg kann uns innerlich nicht erfüllen, sondern entfesselt allenfalls die Gier nach mehr und mehr.
Es kann zwar frustrierend werden, wenn der Erfolg immer nur im Inneren bleibt, wie bei einem Maler, der hochbeglückt über seine Bilder ist, aber niemanden findet, der sie ihm abkauft. Aber da ist das Erwachsenen-Ich gefragt, um dem eigenen Schaffen auch ein gebührendes äußeres Auftreten zu verleihen, indem es z.B. jemanden sucht, der die Vermarktung der Bilder übernimmt.
Manchmal spielt ein übertriebener Stolz die Rolle des Erfolgverhinderers. So mancher kreativ Schaffender fühlt sich im eigenen Schaffensdrang anderen Menschen überlegen und verachtet sie wegen ihres Unverständnisses. Beleidigt auf die Ignoranz der Welt bleibt er lieber auf seinen Bildern sitzen als sie zu Verkauf anzubieten.
Es gibt aber auch eine gute Rolle des Stolzes. Das Ego will, darf und soll sich über die Fertigstellung eines Produkts, über das Erreichen eines Ziels und die Erfüllung eines Wunsches freuen. Denn ein Ego, das sich freut und sich selbst anerkennen kann, ist lebendig und unterstützt den kreativen Prozess. Es hilft mit, dass nach dem Erfolg die schöpferische Energie wieder freigesetzt wird, um neue Ziele anzustreben.
Egofreie Manifestationen
Wir erkennen, dass ein Ziel von der transpersonalen Sphäre unterstützt wurde, daran, dass wir durch seine Verwirklichung beglückt werden, eine anhaltende Erfüllung spüren, die sich auch dann wiederherstellt, wenn wir uns an das Ereignis zurück erinnern. Es ist, als würde das Universum zustimmen, dass hier eine qualitative Bereicherung stattgefunden hat. Solche Ziele haben auch die systemische Prüfung absolviert, d.h. sie suchen den Einklang mit den Erfordernissen und Bedürfnissen der jeweiligen Umwelt.
Das Ego findet sich in dieser Form des kreativen Prozesses nur mehr an den Rändern. Er lässt sich nicht durch Selbstzweifel, äußere Kritik oder Selbstüberschätzung aus der Bahn werfen, sondern kann die vielfältigen und subtilen Ängste des Egos rechtzeitig erkennen und beruhigen.
Der kreative Schaffensprozess geht damit Hand in Hand mit der inneren spirituellen Entwicklung und ist ein zentraler Teil einer integralen Lebenspraxis, die die eigenen Aktivitäten auf den größtmöglichen Nutzen für alle und für das Ganze ausrichtet.
Das Leben lädt jeden Menschen immer wieder ein, das Eigene, das unverwechselbar Individuelle beizusteuern. Damit wird das Fließen des Ganzen bereichert und verschönert. Alles, was aus dem tiefen Inneren eines Menschen kommt, erleichtert und erfrischt den gesamten kreativen Lebensfluss. Insofern besteht die weise Lebensführung in nichts Anderem als im beständigen Mitfließen, im gebenden und nehmenden Austauschprozess zwischen dem Ganzen und dem Individuellen.
Literatur:
Robert Fritz: The Path of Least Resistance. Ballentines 1989
Birgit Ehrmann-Ahlfeld: Mental fit - ein Leben lang. Liber libri 2001
Zur Transaktionsanalyse: Thomas Harris: Ich bin o.k., du bist o.k. Rowohlt 1975
Vgl. Ego-Bestätigung und Berufung
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