Es sind unsere äußeren Sinne, die uns dauernd mit neuen, sich ständig verändernden Reizen füttern. Wir kriegen soviel Input, dass wir 99% davon gleich wieder wegfiltern, damit uns die wichtigsten Reize bewusst werden können. Die Reize wechseln so enorm schnell, vor allem, wenn wir uns im Großstadtgetriebe bewegen, dass sich unsere Filter dauernd weiterentwickeln müssen, wie die Spamfilter im Computer. Wir kommen einfach nicht mehr mit, sodass immer wieder Schrott in unserem Bewusstsein landet, Informationen, die wir überhaupt nicht brauchen. Unsere Filtersysteme sind dauernd überfordert oder veraltet, wie ein Handy aus einer vorsintflutlichen Zeit vor fünf Jahren. Also läuft unser Nervensystem beständig auf Hochtouren, wenn wir "in der Welt" oder "am Marktplatz" unterwegs sind.
Folglich suchen wir immer wieder die Natur auf. Dort sind die Übergänge sanfter und das Reizangebot ist einfacher und ruhiger. Es ist, als würden in der Natur auch unsere Augen und unsere Ohren sanfter, einfacher under ruhiger und als würde unsere Nase weicher.
Andererseits entwickeln wir, einmal an die permanente Überfütterung durch Außeneinflüsse gewöhnt, einen Hunger nach Reizen, der uns schnell der Einfachheit der Natur wieder überdrüssig werden lässt. Wir brauchen frisches Futter für unser reizhungriges Nervensystem. Also tauchen wir ein in das Larifari der Unterhaltungskultur, das uns schnell wieder mit Chunkfood aufpäppelt, damit wir keine Entzugserscheinungen kriegen.
Den Preis der Schnelligkeit, in die uns die kurzatmige Reizüberflutung stürzt, zahlt unser Körper. Er kann zwar schnell reagieren, an der Peripherie, und das braucht er vor allem in Kampf- und Fluchtsituationen, also bei Stress. Zuviel Stress und zuwenig Erholung führen jedoch zu den unterschiedlichsten Krankheiten, daran gibt es keinen Zweifel mehr. Wenn wir uns hauptsächlich im Sympathikus, dem schnellen Teil unseres Nervensystems aufhalten, betreiben wir Raubbau an unseren Ressourcen und schwächen das Immunsystem. Deshalb ist es geradezu überlebenswichtig, darauf zu achten, dass das vagale Nervensystem - Smart Vagus und Parasympathikus - in reichem Maß aktiv und dominant sein kann, dass wir also unser Augenmerk darauf legen, bewusst zu entschleunigen und unser Tempo zu drosseln.
Meditation zum langsamer Werden
Ein ausgezeichnetes Mittel für die bewusste Verlangsamung ist die Meditation. Es gibt "aktive" Meditationsformen, die mit Bewegungs- und Ausdrucksteilen beginnen, also mit einer Sympathikus-Aktivierung, und dann in einen parasympathischen Teil münden, und es gibt die stille Meditation, die nur der Innenschau gewidmet ist.
Wenn wir mit solchen Meditationstechniken lernen, unsere Aufmerksamkeit nach innen zu richten, also uns auf unseren inneren Sinn zu konzentrieren - indem wir z.B. ruhig den Atem beobachten -, begegnen wir einer anderen, viel langsameren Geschwindigkeit. Die inneren Vorgänge und die Gefühle, die sie begleiten, laufen in einem ruhigeren Tempo ab als die Außenwahrnehmungen.
Unser Verdauungssystem nimmt sich Stunden Zeit, um die Nahrungsmittel, die wir vielleicht in unserer Hektik schnell in uns hineingefuttert haben, aufzuschlüsseln und zu verstoffwechseln. Gefühle, die wir erleben, kommen und gehen gemächlich und langsam - wenn es unangenehme Gefühle sind, leider oft zu langsam für unseren Geschmack. Unsere Innenwelt hat eine andere Zeitstruktur als die über unsere Außensinne wahrgenommene Außenwelt.
Deshalb tut es oft so gut, die Augen zu schließen und einen stillen Ort aufzusuchen. Wenn die Außenreize zurücktreten, wird alles langsamer, und wenn wir nach einiger Zeit der Innenschau wieder nach außen gehen, kann es uns so gehen, als liefe dort alles in einem verrückten, unwirklichen Durcheinander ab.
Zen and the City
Ich habe vor einigen Jahren mit ein paar Leuten einen Zenwalk in der City organisiert. Wir haben uns am Gehsteig der Mariahilferstraße, einer der belebtesten Straßen von Wien, getroffen, und haben dann, die Augen nur halboffen nach unten blickend, begonnen, mit ganz kleinen Schritten, also fast unendlich langsam, zu gehen. Ringsum strömten die Menschen vorbei, in einer unwirklichen Hektik, während die Innenwelt immer ruhiger wurde. Manchmal blieben Leute stehen und fragten etwas, doch wir hatten uns ausgemacht, nicht zu reagieren. Als wir das Experiment nach einer halben Stunde beendeten und den Blick nach oben hoben, war das wie ein Schock für das Nervensystem - Millionen von Reizen, die sich gegenseitig an Attraktivität überboten, drängten ins Innere, sodass sich die Augen gleich wieder schlossen, mit Ekel und Abscheu. Erst langsam gelang es, sich wieder in diese verrückte Welt, die für uns die normale ist, einzuklinken.
Was wir dabei von außen wahrnehmen, ist der Stress, ist die Unmenschlichkeit der Abläufe, die offensichtlich alle antreibt, und die uns gar nicht auffällt, wenn wir mitmachen. Sobald wir bewusst heraustreten und unsere Innenwelt wichtiger nehmen als das Getriebe im Außen, erkennen wir, was die Wirklichkeit und was die Illusion ist. Die Wirklichkeit liegt in der Form der Innenwahrnehmung mit ihren gemächlichen Abläufen, die es uns ermöglicht, bewusst dabei zu bleiben und uns nicht zu verlieren. so schaffen wir es, mit uns verbunden zu bleiben und uns zugleich mit "etwas" zu beschäftigen. Die Illusion ist die kollektive Vorstellung, mittels Sich-Antreibens und Sich-Beschleunigens etwas Sinnvolles erreichen zu können. Die Illusion ist, dass aus Angst heraus etwas Gutes erwachsen kann.
Flexibilität lernen
Wie aber sollen wir, wenn wir einmal von der Innenwelt der Meditation erfahren haben, mit der äußeren Welt, die ja fordert, in ihrem Tempo mitzulaufen, zurechtkommen? Wie sollen wir im Gedränge und Geschiebe der Reizfluten dieser Welt bei uns und unserer inneren Mitte bleiben können?
Die Kunst liegt darin, dass wir uns die Flexibilität aneignen, von einer Erfahrungsebene zur anderen zu wechseln, ohne uns selbst, d.h. ohne den Innenbezug, zu verlieren. Wir nehmen die Wirklichkeitserfahrung der Meditation in jede andere Erfahrungsform und in jeden anderen Kontext mit, wie einen zentralen Bezugspunkt, um den sich alles dreht, während das, was sich dreht, an Dringlichkeit und Wichtigkeit verliert.
Eine einfache Methode, um aus dem Getriebe in das Jetzt der inneren Erfahrung zurückzufinden, liegt in der Fokussierung auf den Atem. Wo immer ich gerade unterwegs bin, ist es möglich, den eigenen Atem zu spüren. Wir können, sobald wir unseren Atem wahrnehmen, das Tempo zurückfahren, wenn es uns zu schnell erscheint. Wir verlangsamen und dehnen das Ausatmen und atmen dann wieder ruhig ein. So kommen wir zurück zu einer angenehmen Balance zwischen Innen und Außen und können die Geschwindigkeit so regulieren, wie sie für uns selbst am besten ist.
Dann fließt die konzentrierte Kraft und Wahrheit in jede Wirklichkeitserfahrung ein - in die ruhigen und in die schnellen Abläufe. Dann gelingt es, auch in der Schnelligkeit, wie sie in der Außenwelt manchmal gefordert ist, innerlich langsam zu bleiben. Wir werden nicht zur Schnelligkeit, die nur eine Illusion verkörpert, sondern wir spielen mit ihr, während das eigentlich Bedeutsame in uns selbst spürbar und zugänglich bleibt.
Vgl. Zu schnell, zu viel
Ich danke Ihnen recht herzlich für diese tollen, vor allem aber doch wertvollen Erfahrungen die Sie uns weiter geben.
AntwortenLöschenIch selber bin an diesem punkt gerade angekommen, wo ich doch einige gänge zurück schrauben muß damit ich Gesundheitlich nicht auf der Strecke bleibe.
Recht herzlichen Dank moch mal