Ideologien sind Fantasiegebilde, die die Übersichtlichkeit in komplexen Situationen versprechen. Die Fantasie bewirkt, dass die Ideologie nur lose mit der Wirklichkeit in Verbindung steht, sie nimmt ein paar Elemente und filtert die meisten aus. Die von ihren Zusammenhängen isolierten Elemente werden verallgemeinert, deshalb All-Aussagen. Geben Sicherheit auf der Emotionalebene. Sicherheit auf der Emotionalebene brauchten wir als Embryos im Mutterleib. Deshalb ist jede Ideologie mitsamt ihren Symbolen geladen von embryonalen Themen. Ideologien dienen den frühkindlichen Sicherheitsbedürfnissen. Sie sind ungeeignet für das Verstehen der Realität und für das Entwickeln von konstruktiven Handlungen. Sie wirken retraumatisierend, d.h. sie verstärken die Traumalast, die vor allem in der pränatalen Phase entstanden ist und befestigen die Abwehr dagegen.
Ideologien wirken erwachsen und richten sich auch vorwiegend
an Erwachsene. Denn sie werden in sprachlicher Form übermittelt und folgen einer
Logik, die stringent wirkt, aber nur Sinn macht, wenn die jeweiligen Grundannahmen
akzeptiert werden. Diese Grundlagen und Ausgangspunkte bleiben aber im Dunkeln
und sollen außer Frage stehen. Jeder Versuch, die Vorannahmen herauszuarbeiten und
mit der Realität zu konfrontieren, muss bekämpft werden, weil er das ganze
Gebäude der Ideologie bedroht. Ideologien entstehen also nicht aus der
Realität, sondern sie nutzen die Realität ausschnittsweise oder verzerrt, um das
eigene Konzept und Narrativ plausibel zu machen und zu begründen.
Sie sind also kindlichen Ursprungs, vorrational, traumähnlich
und emotional geladen. Sie tragen die Traumaenergie aller nicht geheilten frühen
Verletzungen in sich. Sie kommen aus der rechten Gehirnhemisphäre und sprechen ihre
Anhänger auf dieser Ebene an. Wie wir wissen, verfügen Embryos und Babys nur über
die emotional geprägte rechte Gehirnhälfte. Die linke Hälfte entwickelt sich
langsam während der Kindheit, verbunden mit dem Erwerb der Sprache. In diesem
Prozess verändert sich die Wirklichkeitserfahrung: Ursprünglich gibt es keine
klare Grenzen zwischen Realität und Fantasie; erst die linke Hemisphäre sorgt
für die Unterscheidung zwischen Fakt und Fiktion, zwischen innen und außen und
zwischen Vergangenheit und Zukunft.
Jede Traumaerfahrung bringt zurück in die vorrationale Sphäre
des Erlebens und Wahrnehmens. Damit bieten sich kollektive Traumafelder als ideale
Nährboden für Ideologien an. Die Pandemiezeit hat viele Beispiele für diesen
Zusammenhang hervorgebracht. Menschen, die sich im Bann eines individuellen oder
eines kollektiven Traumas befinden, sind gelähmt und verunsichert; sie klammern
sich deshalb oft an die Strohhalme, die Ideologien oder Verschwörungstheorien
anbieten. Selbst eine Idee ohne jeden Bezug zur Realität kann ein Stück
Sicherheit und Orientierung bieten, das dringend benötigt wird. Auf diese Weise
verbindet sich die Überlebenshoffnung mit der Theorie oder Ideologie bis hin zu
einer Identifizierung. Wenn diese Fixierung erfolgt ist, muss die Ideologie um den
scheinbaren Preis des Überlebens verteidigt werden. Das gedankliche Konstrukt
ist voll mit Emotionen aufgeladen und wird mit unterstützenden Informationen abgesichert
und vor widersprechenden Informationen abgeschottet. In Extremfällen wird das
eigene Selbst über die Ideologie definiert.
Erwachsensein heißt, die eigenen Fantasien beständig an der
Realität zu überprüfen, also das Innere mit dem Äußeren abzugleichen. Erwachsensein
ist mit der Erfahrung der permanenten Veränderung, der Unbeständigkeit und des fortlaufenden
Lernens vertraut. Erwachsenwerden bedeutet, sich von Identifikationen zu lösen
und das eigene Selbst in jedem Moment neu zu definieren. Das erwachsene Selbst umfasst auch das kindliche Selbst, aber es ist dafür zuständig, dass es zwischen
diesen beiden Instanzen eine klare Unterscheidung gibt, dass sich also das innere
Kind nicht unerkannt in die erwachsenen Agenden einmischt.
Ideologien tragen nichts zum gesellschaftlichen Fortschritt
bei, im Gegenteil, sie sind Hemmschuhe der sozialen und politischen Evolution. Die
Aufklärung umfasst das Unterfangen, Ideologien mit der Realität zu
konfrontieren und auf dieser Weise ihrer sinnstiftenden Macht zu entkleiden. Eine
Welt ohne Ideologien ist eine Welt, in der die Erwachsenen das letzte Wort
haben und die Verantwortung für die Entscheidungen tragen, die die Zukunft der
Menschheit betreffen.
Zum Weiterlesen:
Kindsein und Erwachsensein
Das Kind in uns
Verschwörungstheorien und Normalitätsscham
Wirklichkeit und Fantasieprodukte
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