Es gibt zwei Typen von Vergleichern, die sich auch je nach Gelegenheit in einer Person finden können: die Gewinner und die Verlierer. Beide leiden unter dem gleichen Selbstwertproblem, gehen aber unterschiedlich damit um. Ein Gewinner sucht sich die Objekte für sein Vergleichen bei denen, die etwas weniger gut können als er selbst, sodass er beim Vergleichen immer als der bessere abschneidet: „Die können mir alle nicht das Wasser reichen.“ Ein Verlierer sieht vor allem Menschen um sich, die besser sind: „So gut wie diese Person werde ich nie.“
Vergleichen und Scham
Im Hintergrund der Gewohnheit des Vergleichens werkt die Scham. Wir fühlen uns nicht in Ordnung so, wie wir sind, wir stellen uns in Frage, indem wir uns mit anderen vergleichen. Mit dieser Aktion wollen wir das unangenehme Schamgefühl vermeiden. Indem wir jemand anderen, der es besser kann als wir, beneiden oder anhimmeln, verschiebt sich der Fokus von uns selbst auf die andere Person. Wir identifizieren uns mit ihr, und schon ist die Scham verschwunden. Gehen wir nach der anderen Strategie vor, beweisen wir uns mit dem Vergleichen, dass wir die besseren sind und sagen uns damit selber, dass es keinen Grund für die Scham gibt; vielmehr sollten sich die anderen schämen, weil sie schlechter sind. Wir überwinden unsere Scham nur mit Hilfe anderer, die uns zu dem Gefühl der Überlegenheit verhelfen.
Die Beliebigkeit der Maßstäbe
Wenn wir vergleichen, suchen wir im Außen nach einem Maßstab, um einschätzen zu können, wer wir sind. Wir brauchen also eine äußere Bestätigung für die eigene Identität und deren Qualitäten. Diese Strategie kann allerdings nicht zum Ziel führen, weil wir den Vergleichsmaßstab immer willkürlich suchen und wählen, nämlich unseren inneren Selbstwertvoraussetzungen entsprechend. Fühlen wir uns sicherer auf der Verliererseite, wählen wir Vergleichsmaßstäbe, nach denen wir schlechter abschneiden; sind wir vertrauter mit der Gewinnerseite, so sehen wir lauter minderbegabtere, unattraktivere und unintelligentere Menschen um uns herum.
Ersatz für die eigenen Werte
Wir tragen Vorbilder und Ideale in uns, wie ein optimaler Mensch sein sollte. Wir wissen zwar auf einer Ebene, dass es solche ideale Menschen nicht gibt, aber wir suchen in unserem Unbewussten nach ihnen, damit wir unsere Unsicherheiten uns selbst gegenüber abdecken können. Denn die Orientierung an einem Vorbild entbindet uns von der Aufgabe, die Maßstäbe für unser eigenes Leben und für die Werte, nach denen es sich ausrichten soll, in uns selbst zu finden und zu stärken. Vorbilder haben nur so weit einen Sinn, als wir sie als symbolische Orientierungspunkte nehmen für eine Richtung, in die wir uns entwickeln wollen und dabei nicht vergessen, dass wir unsere ganz eigene Form der Verwirklichung der Werte, die wir in einem Vorbild verkörpert sehen, finden müssen.
Wie bei vielen unserer selbstschädigenden Verhaltens- und Denkmuster liegt auch hier der Ursprung in der Kindheit. Kinder vergleichen sich, sobald sie auf der Welt sind, mit den Eltern, um zu lernen, wie das Leben zu bewältigen ist. Sie wollen so werden wie sie. Erst langsam klären sich die Unterschiede, vor allem, wenn wir immer wieder bestätigende Rückmeldungen von den Eltern bekommen, dass „uns unsere Entwicklung gehört“, d.h. dass wir uns in unserer Weise entfalten sollen und nicht zu Abziehbildern unserer Eltern oder deren Wunschvorstellungen werden sollen. Auf dieser Grundlage beginnt der Weg zur eigenen Autonomie, die beinhaltet, zur eigenen Individualität in allen Facetten zu stehen und sie als einzigartigen Beitrag zur Welt zu entwickeln und uns darin zu würdigen.
Nur so ist der Weg aus der narzisstischen Fixierung zu finden, die in jedem Vergleich Regie führt. Die bedingungslose Annahme der eigenen Individualität umfasst die Annahme der eigenen Stärken und Schwächen, Erfolge und Misserfolge, Begabungen und Problemzonen. Die Selbstakzeptanz ermöglicht auch die Annahme aller anderen in ihrer Individualität und Besonderheit; solange wir das nicht hinkriegen, fehlt ein Stück der Selbstannahme und wir werden uns dabei ertappen, uns mit dem Vergleichen mit anderen selber zu quälen.
Rollenfixierung
Das Vergleichen mit anderen ist notwendig für die soziale Einordnung in Gruppen, wo wir unsere Rolle finden müssen. Es ist aber immer hinderlich für die Selbstfindung. Je mehr wir uns mit einer Rolle identifizieren, desto anfälliger sind wir für das Vergleichen. Denn wir wollen besser sein als andere in der Rolle, wie ein Schauspieler, der den besten Hamlet spielen möchte. Im Leben geht es aber darum, die ganz eigene Rolle zu entwickeln, die niemand sonst in der ganzen Menschheit spielen kann, wie eine Melodie, die noch nie gesungen wurde und nur erklingen kann, wenn wir sie singen.
Vergleichen macht abhängig. Es lenkt ab von sich, spaltet ab von sich selbst; es ist entweder eine Selbstherabsetzung oder Hinaufsetzung, im einen Fall eine explizite Selbstkränkung, im anderen Fall eine explizite Kränkung anderer – und eine implizite Selbstkränkung, die in jedem Fall des Vergleichens geschieht.
Jeder Vergleich pickt einen Aspekt aus der Ganzheit heraus, die wir sind, und fördert damit die Fragmentierung des Selbst, die wir schon aus unserer Kindheit mitnehmen und der wir fortwährend unterliegen. Im Vergleichen trennen wir uns von uns selbst, ohne uns mehr mit anderen zu verbinden.
Deshalb verlieren wir immer, wenn wir vergleichen, gleich ob wir uns besser oder schlechter sehen als die anderen. Wir verlieren uns selbst. Vielleicht mag sich ein Aspekt unseres Selbst, ein Anteil unserer Persönlichkeit besser fühlen, sicherer oder beruhigter. Aber die Gesamtheit unseres Seins, unsere innere Zusammenstimmung, unsere Einheit und Identität wird geschwächt. Den Zugang zu dem, was wir in unserer Totalität sind, verlieren wir noch mehr.
Das Leben der Anderen
Wenn ich durch den Vergleich feststelle, dass ich besser bin als andere, muss ich mich anstrengen, den Vorsprung zu halten. Wenn ich durch den Vergleich draufkommen, dass ich schlechter bin als andere, muss ich mich anstrengen, aufzuschließen. In beiden Fällen führt das Vergleichen zu Anstrengung und Stress, vor allem dann, wenn sich tiefere Ängste und Überlebensprogramme einmischen: Ich muss gut dastehen im Vergleich, sonst verliere ich meinen sozialen Rückhalt, sonst mag mich keiner mehr, sonst kann ich mich selber nicht mehr achten usw.
Statt uns unnötig anzustrengen, gilt es, herauszufinden, was unser Eigenes ist, das, was wir im Leben wollen, wohin wir uns entwickeln wollen, was wir beitragen möchten, was uns am Herzen liegt. Wenn wir das nicht schaffen, bleiben wir im Neid und in der Eifersucht stecken. Wir schielen nach dem, wie es die anderen machen und strengen uns an, es ihnen gleichzutun, können es aber nie schaffen, weil wir zu dem, was andere auf ihre Art schaffen, selber nicht geschaffen sind. So leben wir das „Leben der Anderen“ statt unser eigenes. Als Maßstab für unser Leben nehmen wir die Normen und Werte anderer, weil wir gar nicht auf die Idee kommen, die eigenen für uns selber auszuarbeiten.
Mitfreude statt Vergleichen und Beneiden
Sobald es uns gelingt, uns mit den Schätzen unseres eigenen Lebens – den großen und den kleinen – anzufreunden, sobald wir das, was daran gut läuft und noch besser werden kann, mehr in den Vordergrund stellen, kommen wir zunehmend bei uns selber an. Zugleich schwindet der Neid, der hinter dem Vergleichen steckt, und weicht der Mitfreude. Sie gründet auf der Fähigkeit, uns an unserem eigenen Leben zu freuen.
In dem Maß, wie sich unsere Selbstakzeptanz verstärkt, die uns von Vergleichen unabhängig und autonom macht, verstärkt sich unsere innere Neigung zur Demut. Wir lassen jede Anmaßung sein, so wie andere sein zu wollen, und finden uns ganz in dem, was und wie wir selber sind, wachsend in unseren Stärken und barmherziger mit unseren Schwächen.
Zum Weiterlesen:
Das Vergleichen in Beziehungen
Das Vergleichen in Beziehungen
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen