Häufig vergleichen wir uns mit anderen
Menschen und sehen es offenbar auch gerne, wenn Menschen untereinander
verglichen werden. Denn Zeitungen und Zeitschriften veröffentlichen solche
Vergleiche mit Vorliebe: Wer ist die bestangezogenste Dame des Landes (mit oder
ohne Hut), wer hat das tollste Auto, was ist der beste Fettabsauger, wer
verdient am meisten Geld? Oder: „Zum Fremdschämen“: die zehn hässlichsten
Urlaubsklamotten gefällig?
Woher kommt diese Leidenschaft? Ist sie nur
ein Spiel zum Vertreiben der Langeweile oder steckt mehr dahinter?
Rangordnungen gibt es schon im Tierreich in
großer Zahl, bekannt ist die „Hackordnung“ bei den Hühnern. Diese Rangordnungen
erfüllen jeweils Funktionen zur Sicherung der Nahrung und des Fortbestandes der
Gruppe. So haben auch Menschen von Anfang an das Rangdenken in sich getragen,
und es spielt bei der Machtverteilung in jeder Gruppe eine wichtige Rolle. Mit
der Einführung von bürokratischen Staatsgebilden wurden die Rangordnungen perfektioniert.
Heute treffen wir sie besonders deutlich sichtbar bei streng hierarchisch
angeordneten Organisationen, wie z.B. bei der Befehlskette eines militärischen
Verbandes an.
Beim Vergleichen schielen wir gewissermaßen
auf unsere Nachbarn, um an ihnen Merkmale zu entdecken, die uns darüber
informieren, ob sie oberhalb oder unterhalb von uns stehen. Wir inspizieren
sie, als wollten wir an ihnen Rangabzeichen ausfindig machen. Vergleiche
verschaffen uns eine Orientierung. Wir wissen, wo wir selber stehen und wie wir
mit anderen Menschen dran sind. Wer steht über mir, wer steht unter mir und wo
stehe ich selber? Mit wem muss ich kämpfen, wenn ich weiter nach oben will,
gegen wen muss ich meinen Platz verteidigen?
Das sind wichtige Fragen vor allem für die
hierarchische Bewusstseinsstufe, die uns alle geprägt hat und die die uralten
biologischen Erinnerungen wieder wachgerufen hat. Ein skurriles Beispiel: Die
Friedensverhandlungen zur Beendigung des 30-jährigen Krieges ab 1645 haben
nicht deshalb drei Jahre gedauert, damit es wirklich ein 30-jähriger Krieg
wird, sondern weil monatelang darüber verhandelt wurde, in welcher Reihen- und
damit Rangfolge die einzelnen Würdenträger, Politiker und Diplomaten den
Sitzungssaal betreten sollten.
Viele Ängste sind mit den Fragen der
Rangordnung verbunden. Sie äußern sich vor allem über das Schamgefühl, das ein
Indikator dafür ist, ob wir uns rangmäßig richtig oder falsch verhalten haben. Wir
versuchen, das Schamgefühl hintan zu halten und die Ängste zu bannen, indem wir
Vergleiche anstellen: Die andere Person steht über mir, also habe ich mich
unterzuordnen, die andere steht unter mir, also kann ich Macht über sie
ausüben. Sobald ich das weiß, kann ich nichts falsch machen und mich sicher auf
meiner Ebene bewegen.
Der oberösterreichische Komponist Anton
Bruckner, der vermutlich stark und zwanghaft durch hierarchisches Denken geprägt
war, war ein hervorragender Organist. Doch unterzog er sich immer wieder
Prüfungen durch andere Musiker, die ihm immer wieder bestätigen mussten, dass
er ohnehin der beste Orgelspieler des Landes war. Mit jeder Prüfung war die
Angst ein wenig beruhigt, den eigenen Platz und die Anerkennung in der
Musikerzunft zu verlieren.
Da wir uns in einer sehr komplexen sozialen
Welt befinden, stecken wir in den verschiedensten Hierarchien und stufen uns
selbst und andere permanent ein, fast immer ohne unser Mitwissen. Deshalb ist
es uns so vertraut, wenn irgendwelche Medien irgendwelche Menschen miteinander
vergleichen. Wir freuen uns darüber, weil wir meinen, dass uns damit eine
innere Arbeit abgenommen wurde.
Wenn sich hierarchische Elemente mit
materialistischen verbinden, fließt das Leistungs- und Konkurrenzdenken in das
Vergleichen ein. Wir vergleichen uns, um abzuschätzen, ob wir in einem
bestimmten Bereich besser oder schlechter sind als andere. Wenn wir besser
sind, müssen wir darauf achten, dass der Vorsprung erhalten bleibt. Wenn wir
schlechter sind, müssen wir an unserer Verbesserung arbeiten. Im
materialistischen Bewusstsein, das mit dem modernen Wirtschaftssystem verknüpft
ist, müssen wir die ganze Zeit auf der Hut sein, die Gefahren lauern überall,
deshalb müssen wir uns permanent rundherum mit der Außenwelt abgleichen.
Hier ein Zitat aus der „Bunten“ (September 2008): „Das falsche Kleid kann ein
Image ruinieren, das richtig gewählte Outfit hingegen die Karriere beflügeln.“.
Kleine Achtlosigkeiten schon können ausreichen, um zur Verliererin zu werden. Deshalb:
Der Vergleich macht sicher, ahmen wir die Erfolgreichen nach und flügeln wir
die Karriereleiter mit intaktem Image nach oben.
Sobald wir mit dem Vergleichen beginnen, nagt
an uns unser mangelhaftes Selbstwertgefühl. Es lässt uns nur die Wahl zu
resignieren oder unseren Ehrgeiz anzustacheln und das Leistungs- und
Stressmuster zu aktivieren. Und dieses sagt uns dann wieder, dass wir immer
schauen müssen, wie sich die anderen in Bezug auf uns selber halten, wie der
Radrennfahrer, der, wenn er vorne ist, sich dauernd umdrehen muss, um zu sehen,
wie die Konkurrenten unterwegs sind, sodass er diesbezüglich seine eigenen
Anstrengungen dosieren kann.
Wir verfangen uns damit in einen hübschen
Teufelskreis: Je mehr wir vergleichen, desto mehr Stress bauen wir in uns auf,
je mehr Stress wir aufbauen, desto mehr müssen wir vergleichen. Durch das
Vergleichen halten wir den Stresspegel hoch, und durch den Stress vermehren und
perfektionieren wir unsere Vergleichssensoren.
Der Preis, den wir dafür bezahlen, ist der
Verlust der Beziehung zu unserer Einzigartigkeit. Wir messen uns nur an den
anderen, wie und wo diese etwas tun oder lassen. Unsere Handlungen richten wir
danach, wie die anderen handeln. Wir vertrauen unseren Eigenheiten und
Besonderheiten nicht, sondern meinen, dass wir nur bestehen können, wenn wir
wie die anderen werden.
Natürlich gibt es „die anderen“ genau so
wenig, wie es möglich wäre, dass wir selber jemals wie jemand anderer werden
könnten. Aber der neurotische Mechanismus, der sich aus der Verbindung von
hierarchischen und materialistischen Grundmustern ergibt, suggeriert uns, dass
das Vergleichen und Anpassen an die Erwartungen der anderen der einzige Weg
ist, um unser Leben zu verbessern.
Das Ich-Ideal
Unser Ich-Ideal, also wie wir gerne wären,
hat eine lichte und eine dunkle Seite. Die lichte Seite enthält das, was wir an
Begabungen und Talenten mitbekommen haben, an Ressourcen und Potenzialen,
alles, was unsere Einzigartigkeit ausmacht. Wenn wir diese nicht entwickeln und
ausleben, fühlen wir uns unerfüllt und befürchten, dass wir unser Leben
vergeuden. Hätte sich Schubert z.B. voll dem Alkoholtrinken oder Kartenspielen
hingegeben statt dem Komponieren, hätte er sich weit von sich selbst entfernt.
So aber kann er als besonderer Vertreter eines personalistischen Bewusstseins
anerkannt und in seinen Werken genossen werden.
Hier sehen wir auch einen Grund, warum das
personalistische Bewusstsein über das materialistische hinaus gehen musste. Es
stellt die Einzigartigkeit jedes Menschen in den Vordergrund, die besondere
Qualität, die jeder mitbringt und in sich entfalten kann. Die Musik von
Schubert kann nicht mit der von Schumann verglichen werden, wenn wir der
Schönheit in beiden Werken gerecht bleiben wollen. Zwar hat sich Schubert mit
seinem Zeitgenossen Beethoven verglichen, aber glücklicherweise in so geringem
Maß, dass seine musikalische Kreativität nicht darunter gelitten hat. Auch wenn
Schubert vielleicht mit Blick auf Beethoven die Fülle seiner musikalischen
Ideen in eine strengere Form zu bringen versuchte, war das sein ganz eigener
Weg des Ausgleiches zwischen Inhalt und Struktur.
Die dunkle Seite des Ich-Ideals besteht in
den Aspekten, die nicht aus uns, aus unserer Einzigartigkeit stammen, sondern
von außen übernommen worden sind. Die meisten Eltern hegen Hoffnungen für ihre
Kinder, die oft das ausfüllen sollen, was sie selber in ihrem Leben nicht
erreicht haben. Darüber hinaus haben Kindergarten, Schule, Wirtschaft,
Religionsgemeinschaft, Nachbarschaft usw. ihre Erwartungen, was aus den jungen
Menschen einmal werden soll. Diese von außen eingespeisten Anteile des
Ich-Ideals entfremden uns von uns selbst, solange wir ihnen folgen, ohne ihre
Herkunft verstanden zu haben.
Vergleiche in der Wachstums-Szene
In den Spiri- und Esokreisen gibt es ein
Lieblingsthema – wer ist schon weiter auf dem Weg nach innen? Wer hat sich
schon am dichtesten an die Erleuchtung herangewagt oder wer ist tatsächlich
schon dort, und wie weit oder wie tief reicht diese Erleuchtung, Befreiung,
Aufwachung?
Für alle, die sich auf diesem Weg abmühen,
scheint es wichtig zu sein abzuschätzen, wie weit es noch zum Ziel ist. Das
wollen wir ja auch wissen, wenn wir wandern gehen oder im Flugzeug sitzen: Wie
lange noch, bis wir dort sind? Dabei vergleichen wir den Ist-Zustand mit dem
Wunschzustand und steigern uns lebhaft in die Fantasie der vollkommenen Zukunft
hinein: Wenn erst der Flug vorbei ist und ich wieder die Beine bewegen kann,
wenn erst der Gipfel erklommen und die Aussicht genossen werden kann...
Wenn wir uns mit anderen Menschen
vergleichen, sind wir in einer Ego-Falle. Ich will unbedingt weiterkommen auf
meinem spirituellen Weg, sagt mein Ego. Vermutlich weiß es, dass das ein
raffinierter Weg ist, um an der Macht zu bleiben. Jeder Erfolg auf dem Weg wird
als Ego-Errungenschaft ausgegeben und befestigt damit die Selbstherrlichkeit,
vor allem, wenn die Vergleiche mit den anderen angestellt werden, die noch an
ihren Ego-Problemen kiefeln.
Wie wäre ich gerne, oder wer wäre ich
gerne, oder wie weit wäre ich gerne schon? Manche Lehrer arbeiten auch mit
dieser Karotte: Wenn du so werden willst wie ich, musst du möglichst viel Zeit
bei mir (bei meinen Veranstaltungen) verbringen (und meine Brieftasche
füttern).
In meinem Buch „Vom Mut zu wachsen“ habe
ich darauf verzichtet, Zahlen weiterzugeben, die angeben sollen, wie viele
Menschen sich auf welcher Bewusstseinsstufe befinden. Solche Zahlen suggerieren
einen Vergleichsmaßstab, den es m.E. nicht geben kann, weil jeder Wachstumspfad
individuell verläuft und auch individuelle Verwerfungen aufzeigt. Ein Mensch
kann im Laufe eines Tages die verschiedenen Bewusstseinsebenen mehrfach
wechseln.
Ähnlich können spirituell sehr weit
entwickelte Persönlichkeiten in manchen Lebenslagen und bei manchen Themen
wenig weit entwickelte Verhaltensweisen an den Tag legen. Als in den siebziger
Jahren buddhistische Mönche mit den höchsten Weihegraden von begeisterten
Studenten aus Klöstern in den Wäldern Thailands nach Kalifornien eingeladen
wurden, hatten sie den kurvigen Reizen der dortigen Beach-Girls nichts entgegenzusetzen.
Ihre spirituelle Disziplin war machtlos gegen die in ihnen optisch entfesselten
Sexualtriebe.
Alte und junge Seelen
Ein Modell für den Vergleich auf dem spirituellen
Weg spricht von älteren und jüngeren Seelen. Unter der Annahme der
Seelenwanderung gibt es Seelen, die weniger Inkarnationen haben, also jüngere
Seelen, während die älteren schon mehr Leben auf dem Buckel haben und
dementsprechend schon reifer und näher dem Ziel sind. Nach dem vor kurzem
verstorbenen Lehrer Maitreya Ishwara wären jeder Seele 108 Leben vergönnt
gewesen, und je mehr Leben schon abgedient wären, desto eher wäre die
Erleuchtung zu erwarten.
Wenn wir uns demnach als ältere Seele
wahrnehmen, was wir daran erkennen, wie wichtig wir Meditation und Innenschau
nehmen, brauchen wir nicht mehr auf Menschen herabschauen, die nichts davon
halten und ihr Leben lieber mit Fernsehen oder Grillfesten ausfüllen. Das sind
eben die jüngeren Seelen, die erst ihre Anfängererfahrungen auf dem Weg
sammeln. Wir als die schon weiter Vorgedrungenen haben damit ein
Vergleichsschema, das es uns erleichtert, mit der eigenen Unsicherheit zurecht
zu kommen, die Menschen in uns auslösen, die ohne spirituelle Anstrengungen
offenbar ihr Leben auch genießen können.
Allerdings entkommen wir mit diesem Konzept
der Vergleichsspirale nicht. Solange es uns selber wichtig ist, „alte Seelen“
zu sein, und nicht einfach der Mensch, der wir sind, auf einer bestimmten Stufe
unseres ganz eigenen und einzigartigen Entwicklungsweges, haben wir eine
wichtige Lektion noch nicht verstanden. Wenn wir dagegen bereit sind, diese
Kategorisierung und das damit verbundene Vergleichen mit anderen Menschen
loszulassen, gewinnen wir den Zugang zu mehr innerer Freiheit.
Zum Weiterlesen:
Das Vergleichen in Beziehungen
Das Vergleichen in Beziehungen
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