Mittwoch, 30. August 2017

So bin ich: Noch nie dagewesen

Wir alle verfügen über spontane Verhaltensmuster für Stresssituationen, die uns angeboren sind oder die schon früh geprägt sind. Grob gesagt, folgen sie dem Schema Kampf oder Flucht, d.h. wir neigen eher entweder zu impulsivem oder zu vermeidendem Verhalten, wenn wir unter Druck sind. Diese Spontanstrategien haben wir von früh an aufgenommen, vielleicht ist die Präferenz auch schon genetisch angelegt. Jedenfalls bestärkt sich die jeweilige Tendenz durch die wiederholte Anwendung im Krisenfall, sodass wir lernen, uns auf diese Weise abzusichern. Zusätzlich bilden wir die Meinung aus, dass die eigene Strategie die einzig sinnvolle ist, was auch soweit verständlich ist, weil wir mit der gegenteiligen Strategie keine Erfahrungen sammeln.

Nehmen wir ein Beispiel: Jemand bietet uns eine neue Stelle an, und sagt, dass wir schnell zugreifen müssen, weil sonst jemand anderer zum Zug kommt. Ein impulsiver Mensch wird sich nur wenig informieren und die Entscheidung rasch treffen, während sich ein vorsichtiger Mensch mehr Zeit nehmen will, um alle Details zu überprüfen, und dadurch unter Umständen die Gelegenheit verstreichen lässt. Der Impulsive dagegen trägt das Risiko einer falschen Entscheidung.

Es gibt keine richtige oder falsche Strategie, keine ist besser oder schlechter, obwohl wir deshalb auch untereinander in Streit geraten können: Warum muss ich so lange warten, bis du dich entscheidest? Warum entscheidest du dich, ohne nachzudenken? Jeder Mensch kann tausende Gründe dafür anführen, weshalb sein Reaktionsmuster besser ist als das des anderen, es wird die andere Person nicht beeinflussen, weil Menschen vor allem in Stresssituationen auf das bewährte und bekannte Muster zurückgreifen und das Erproben eines neuen Musters nur zusätzlichen Stress verursachen würde.

Allerdings haben wir alle die Möglichkeit, unser eigenes Verhalten zu verbessern, wenn wir unsere Tendenz kennen, indem wir nach der jeweiligen Situation abwägen, ob wir ihr folgen sollten oder ob eine andere Strategie besser wäre. Auch wenn sich eine Strategie in hundert Fällen bewährt hat, heißt es nicht, dass sie für die gerade gegebene Situation optimal ist.

Wenn uns vorgehalten wird, dass wir mit unserer Strategie Schiffbruch erlitten haben, sagen wir gerne: Ich bin eben so, und ich kann nicht einfach ein anderer Mensch werden, ich habe es schon immer so gemacht. Auch wenn das letztere Argument stimmen mag, sollten wir uns nicht durch die beiden anderen Sätze einschränken. Wir sind nicht durch unsere Vergangenheit determiniert, sondern entnehmen ihr nur Gewohnheiten, Sicherheiten und Vorlieben. Nicht einmal in unserer Identität sind wir starr festgelegt, vielmehr haben wir uns im Lauf unseres Lebens beständig weiterentwickelt. Wir können in jedem Moment Neues ausprobieren, aus dem gewohnten Muster ausbrechen und mit noch nicht dagewesenen Verhaltensweisen experimentieren.

Dabei hilft uns die Reflexion, die wir zwischen der automatisch auftauchenden Reaktion auf eine herausfordernde Situation und der tatsächlichen Handlung einflechten können: Meine unmittelbare Reaktion besagt A (z.B. die Chance sofort ergreifen); was wäre aber, wenn ich diesmal B (jemanden fragen, was sie davon hält) ausprobiere? Welche Vorteile könnte mir das bringen, mit welchen Nachteilen muss ich rechnen?

Auf diese Weise schule ich meine Flexibilität und Kreativität. Die Unberechenbarkeit, der ich dabei in mir mehr Raum gebe, ist sogar ein Evolutionsvorteil: Natürliche Feinde tun sich am schwersten damit, uns zu erbeuten, wenn sie nicht wissen, wie wir reagieren (diese Einsicht könnte uns behilflich sein, wenn wir es mit unzuverlässigen Menschen zu tun haben, dass wir ihnen gegenüber freundlich bleiben können). Unsere hartnäckigen alten Muster erwischen uns nicht, wenn wir gar nicht dort fixiert sind, wo sie uns normalerweise vorfinden.

Es braucht immer ein Stück Mut, sobald wir aus alten Schienen ausbrechen, und es lohnt sich, wie immer, wenn wir mutig sind, weil sich dadurch unser Selbstvertrauen stärkt. Und ein kräftigeres Selbstvertrauen ermöglicht uns, in künftigen Situationen noch mehr Möglichkeiten auszuprobieren und damit unseren Freiheits- und Gestaltungsraum zu erweitern. Wir gewinnen mehr Macht für und über unser eigenes Leben, weil wir es in der Folge in einem größeren Ausmaß selber bestimmen können, statt dass es von außen bestimmt wird.

So bin ich eben: Nicht nur ein Bausatz aus vorgefertigten Versatzstücken, sondern ein flexibel wachsendes Projekt im Werden, das sich in jedem Moment neu erfinden kann: Hört, hört, so bin ich: Noch nie dagewesen.

2 Kommentare:

  1. Großartiger Artikel! Viele Menschen stecken viel zu sehr fest in dem Denken "es war schon immer so" und boykottieren sich so selbst. Der Mensch muss endlich erkennen, dass es nur an ihm selbst liegt, was er tut und was nicht. Wenn er immer alles auf die selbe Weise tut, wird auch immer alles so bleiben wie es war. Wenn er etwas neues ausprobiert, wird sich auch etwas neues entwickeln. Ich hing damals wie viele in einer waschechten Depression fest und nahm regelmäßig Stimmungsaufheller von https://www.vitaminexpress.org/serosan-stimmungsaufheller-kapseln. Die haben mir zwar die Tage erträglich gemacht aber mein Problem nicht gelöst. Erst als ich mich getraut habe, Dinge völlig neu anzugehen, kamen auch neue Lösungen. Manchmal muss man sich trauen neue Wege zu gehen, auch gegen Widerstände. Ich hoffe dieser Text hilft vielleicht dem Einen oder Anderen. :)

    Liebe Grüße, Karmen

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