Als Benutzer öffentlicher Verkehrsmittel können wir
tagtäglich beobachten, wie viele Menschen in ihrem Smartphone versunken sind, geschäftig
daran herumdrückend, die Augen gebannt auf den kleinen Bildschirmen. Wenn uns
aufgrund des vorgerückten Alters als analog Aufgewachsene die entsprechende
Sozialisierung in das digitale Welterleben fehlt, möchten wir verstehen, was da
abläuft. Schließlich zeigen zunehmend mehr Menschen Symptome von suchtartiger
Abhängigkeit von den elektronischen Wunderdingen, wobei laut Experten das Leiden
stärker von der sozialen Umgebung wahrgenommen wird als von den Betroffenen
selbst.
Wie schaffen es diese Maschinen, die Aufmerksamkeit zu
fesseln und Zeit zu konsumieren, die dann für andere Aktivitäten fehlt? Was ist
der Preis für das gewohnheitsmäßige Abdriften in eine sekundäre Realität? Die
sogenannten sozialen Medien haben es offenbar fertiggebracht, das soziale Wesen
Mensch in ein virtuell asoziales zu verwandeln, in einer Weise, dass es den
Betroffenen nicht auffällt.
Eine wichtige Rolle bei dieser Entwicklung spielt das Erwartungshormon
Dopamin. Wenn wir Benachrichtigungen aus den sozialen Medien erhalten, wird das
Belohnungssystem aktiviert. Am Anfang steht eine unerwartete Belohnung: Jemand
schickt mir eine Nachricht. Jemand denkt an mich – Glücks- und Bindungshormone werden
ausgeschüttet. Beim nächsten Mal, wenn das Smartphone vibriert, wird gleich Dopamin
ausgeschüttet: die Spannung steigt, ich erwarte wieder eine Belohnung und dazu
muss ich gleich klicken, damit ich schnell kriege, wonach ich mich sehne. Das
Dopamin sorgt dann dafür, dass ich automatisiert und immer schneller, ohne
langes Nachdenken, auf den Reiz reagiere. Das Handy vibriert – ich muss ihm die
volle Aufmerksamkeit geben. Mit jedem Reiz wird mehr Dopamin freigesetzt, das
Verlangen wird immer stärker und braucht immer mehr Futter. Also brauche ich
mehr virtuelle Freunde, mehr virtuelle Plattformen, Foren und Applikationen, in
denen sich was tut, was meine Aufmerksamkeit fesselt. Ohne es zu merken, wird
ein Gerät zum Mittelpunkt des eigenen Lebens.
Wie werden Menschen abhängig gemacht? Es braucht die
richtigen Trigger und eine niedrige Hürde, die Belohnung muss also leicht
erreichbar sein. Wie können Produkte erzeugt werden, die zum Gewohnheitskonsum führen,
ohne die der Kunde nicht mehr sein will? Es gibt drei Möglichkeiten: Soziale
Belohnungen; Informationen; Kontrolle oder neue Fähigkeiten. Eine neue
Nachricht zu kriegen ist eine Belohnung, und noch mehr, wenn die Nachricht
interessant ist. Die Verwaltung der vielen Nachrichten gibt ein Gefühl von Kontrolle
und Eigenaktivität. Jede geschriebene Nachricht erhöht die Wahrscheinlichkeit, Antworten
zu bekommen, also gilt es, noch mehr schreiben oder zu posten, so belanglos der
Informationsgehalt immer auch sein mag.
Die diversen Medien haben von der Konditionierungsforschung gelernt: Sie verteilen die Belohnungen unregelmäßig. Damit wissen die
Konsumenten nicht, wann es wieder zu einem Dopamin-Kick kommt und schauen deshalb
immer wieder in all den Programmen nach, ob nicht schon was Neues
hereingekommen ist, was den Lohn fürs Warten und Suchen verspricht.
In einer israelischen Studie wurden Erwachsene mit ihrem
ersten Smartphone ausgestattet. Schon nach drei Wochen waren die Veränderungen
messbar: Die Versuchspersonen taten sich schwerer, Belohnungen aufzuschieben,
im Vergleich zu Personen, die kein Smartphone hatten. Das Aufschieben von
Belohnungen ist eine wichtige Fähigkeit, die Kleinkinder erlernen müssen und
die eine relative sichere Prognose über die zukünftige Laufbahn ermöglicht. Nur
wenn der zeitliche Bogen zwischen dem Auftreten eines Bedürfnisses und seiner
Befriedigung groß genug ist, kann sich das Kind für längerfristige Aufgaben
motivieren, eine wichtige Voraussetzung für die Schulreife: Schulkinder
bekommen ihre Belohnung (das Zeugnis) erst nach einigen Monaten des Lernens.
Die Belohnungsabhängigkeit, die mit der intensiven Smartphone-Nutzung
erzeugt wird, trägt regressive Züge: Die Menschen werden tendenziell zu
Kleinkindern, die Gesellschaft geht einer Infantilisierung entgegen. Ganz offensichtlich
regredieren die Menschen mit fortschreitendem Smartphone-Gebrauch, einhergehend
mit dem Realitätsverlust, der den Unterschied zwischen der „realen“ und der
virtuellen Wirklichkeit immer mehr vermischt. Was die Konsumenten in den
digitalen Medien suchen, soll vor allem niedlich, nett, lustig und überraschend
sein, alles, was unser inneres Kind braucht, um sich kindlich zu freuen. Und es
soll unsere Neugierde stillen und unsere Langeweile übertönen, auf eine
einfache, anstrengungslose Weise.
Außerdem tauchen die Nutzer mit ihren medialen
Konsumverhalten in eine Blase ein, die ein Algorithmus erzeugt hat, sodass sie
dort all dem begegnen, was ihr Herz
begehrt und ihr Kopf für richtig hält, ein virtuelles Schlaraffenland und
Meinungsghetto.
Was kaum mitbedacht wird, ist die Tatsache, dass mit jedem
Klick irgendwo eine Kassa klingelt und Werbegeld auf ein (vermutlich unversteuertes)
unbekanntes Konto strömt – Werbegeld, das ja in irgendeiner Form die
Konsumenten durch den Kauf der Produkte, die ihnen durch ihr Nutzungsverhalten
vor die Nase gehängt werden, berappen.
Dieses Verhalten ähnelt dem von Versuchsratten in einem
Experiment, die durch Belohnung zu einem bestimmten Handeln dressiert werden. Die
eigentliche Belohnung kriegt der Versuchsleiter, während für die Ratten nur billige
Futterpillen bleiben, obwohl sie wohl bei sich denken, wie großzügig sie doch
belohnt werden. Und wir sind der großen Cyberwelt dankbar, die uns so viele
überraschende und unerwartete Belohnungen zukommen lässt. Damit sind wir eingespannt
in eine Belohnungsmaschinerie, die uns immer unbefriedigter und infantiler werden
lässt.
Anregung und Quelle für den Text: Ein Artikel von Anna
Goldenberg „Warum kann ich nicht ohne mein Handy sein?“ in: FALTER 36/2017
Zum Weiterlesen:
Dopamin und Verführbarkeit
Dopamin und Verführbarkeit
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen