Montag, 21. August 2017

Dopamin und unsere Anfälligkeit für Verführung

Das bekannte Hormon Dopamin ist ein trickreicher Botenstoff, weil es auf die Erwartungs- und Belohnungszentren im Gehirn wirkt. Es ist deshalb besonders in Zusammenhang mit unseren Unterhaltungsbedürfnissen aktiv. Und diese sind ein zentrales Objekt des Marketings in den entsprechenden Industrien. Man könnte auch sagen, dass die neurobiologische Aufgabe von Marketing und Werbung darin besteht, dass möglichst viele dopamingierige Synapsen für ein bestimmtes Produkt im Gehirn möglichst vieler Konsumenten hergestellt werden.


Werbung im Kopf


Beim Fernsehen und auch bei der Internetnutzung sind wir einem zunehmend stärker werdenden Strom an Werbung, Propaganda und Manipulation ausgesetzt, der es darauf abgesehen hat, unsere Fähigkeiten zu rationalen Entscheidungen und Gedanken durch emotionale Aktivierungen des Unbewussten zu behindern und zu blockieren. Denn das Unbewusste sagt schnell „Ja“ zu allem, was in ansprechenden Bildern und Tönen rüberkommt, selbst dann, wenn wir uns sicher sind und glauben, dass wir uns von Werbung nicht beeinflussen lassen. Unser Unterbewusstsein ist viel wehrloser und passiver, als wir glauben.

Denn es kann nicht zuverlässig zwischen fiktionalen und realen Bildern unterscheiden. Für diese Aufgabe müssten höhere Denk- und Analysefunktionen herangezogen werden, die wir allerdings im Unterhaltungskontext meistens hintan halten wollen: Wir wollen uns ja nicht anstrengen und mit komplizierten Fragen beschäftigen.  

Dazu kommt, dass das Unterbewusstsein alle Informationen, die auftauchen, bewerten und einschätzen muss, und wenn uns die visuelle Werbung mit Entscheidungsfragen überschüttet, wird schon ein großer Teil der zur Verfügung stehenden täglichen Reserven an Willenskraft für diese Zwecke verbraucht. Schleichend verlieren wir auf diese Weise das Interesse für aufwändigere Sachverhalte, die mehr Anstrengung in der Bewertung und Abschätzung erfordern und begnügen uns auch dort mit den einfacheren Lösungen. Insofern fördert die Überfütterung mit visueller Werbung zusätzlich zur Konsummanipulation die politische Verdummung.


Alltags-Pornos


Der Blogautor Dr. Alex Rinehart, Chiropraktiker und Ernährungsberater, vergleicht die Medienwerbung mit Pornographie. Wenn jemand pornographische Bilder oder Videos betrachtet, erkennt das Unterbewusste die virtuellen Personen als real. Es werden die Dopaminpfade aktiviert, was die Wahrscheinlichkeit von riskanten Entscheidungen und riskanten Handlungen erhöht. Ebenso reagiert das Gefühlssystem, wenn es von Schlussverkäufen, Schnäppchen, Superrabatten etc. hört: „Das Angebot ist nur kurze Zeit gültig, schlagen Sie schnell zu!“ Sieht unser Unterbewusstes in einer emotional aufgeladenen Situation (z.B. während einer Fußballübertragung) eine knapp bekleidete junge Frau, die mit Hochgenuss irgend ein ungesundes Nahrungsmittel („Ess-Porno“) verzehrt, kann es zu Handlungen verleiten, die unserer Gesundheit auf vielen Ebenen schaden. 

Deshalb empfiehlt Rinehart, auf die Werbung zu zeigen, wann immer sie in den Medien auftaucht, und zu sich selber zu sagen: „Oh, das ist ja pornographisch!“ Dann fällt es leichter, die Sendung gleich auszuschalten. Denn chemisch läuft im Gehirn beim Werbungschauen der selbe Vorgang ab wie bei explizit sexuellen Inhalten. 

„Sex sells“ heißt dann auch: Einkaufen soll zu einem sexuellen Erlebnis werden. Die Aufgeilung vermehrt den Stress, führt unser Unterbewusstsein in die Irre, irritiert unsere Sexualität und belastet unsere Gesundheit.

Welche Aktivitäten helfen, wenn wir Stress reduzieren wollen?
Hier die Empfehlungen von Rinehart:
Sport, entweder mit Übungen oder mit Spielen
Beten oder religiöse Rituale
Lesen
Musikhören
Zeit mit Freunden oder der Familie verbringen
Eine Massage bekommen
Spazierengehen
Meditieren oder Yoga, beides mit kohärentem Atmen verbunden
Kreative Hobbys ausüben

Was sind die bekannten stress-förderlichen Aktivitäten?
Gewinnspiele
Shoppen
Rauchen
Alkohol trinken
Essen
Videospiele spielen
Ausgiebig im Internet surfen
Mehr als zwei Stunden am Tag Fernsehen

Warum ist die erste Liste gescheiter?

Die Aktivitäten in dieser Liste fördern die Ausschüttung Serotonin, GABA und Oxytocin.

Die zweite Liste enthält Aktivitäten, die im Belohnungssystem des Gehirns zentriert sind, das auch als Dopamin-System bezeichnet wird. Es ist auf die Vorwegnahme zukünftiger Belohnungen ausgerichtet. Es erzeugt angenehme Gefühle, bis die Belohnung ausbleibt. Dann entsteht Unzufriedenheit und Unausgefülltsein. Man kann sich isoliert und unruhig fühlen, ein Anzeichen dafür, dass das Gehirn den nächsten Dopamin-Schub herbeisehnt.

Dieser suchtartige Kreislauf drängt uns zu kurzfristig wirksamen Dopamin-liefernden Tätigkeiten, obwohl wir es innerlich besser wüssten, dass die oben als Serotonin-, GABA- und Oxytocin-fördernden Aktivitäten viel besser für uns wären. (GABA steht für Gamma-Aminobuttersäure, ein wichtiger Botenstoff im Gehirn, der schmerzstillend und schlaffördernd wirkt.)


Die Verführungsmacht von Dopamin


Das Belohnungshormon Dopamin erzeugt selber nicht direkt eine Erfahrung der Lust und des Genusses, sondern vermittelt die Vorwegnahme eines zukünftigen Vergnügens, und das ist ein bedeutsamer Unterschied. Die Antizipation eines Vergnügens ist für Menschen deshalb so wichtig, weil dieses Gefühl die Grundlage für Motivation darstellt: Wenn ich mich für ein längerfristiges Ziel entscheide, suche ich ein erfüllendes Gefühl, das mir die Erreichung des Ziels verspricht, und so mobilisiere ich die Energien, die für die Erreichung des Zieles notwendig sind. Das Motiv, etwas zu erschaffen oder zu erreichen, das in der Zukunft liegt, benötigt Dopamin als Treibstoff.

Werbeexperten und politische Manipulatoren haben auf dieser Ebene das gleiche Ziel: stabile Dopamin-Kreisläufe bei den Adressaten zu erzeugen, die verlässlich feuern, wenn es um Entscheidungen für die eigene Sache geht: Du sollst aufgeregt und begeistert an den Erwerb meines Produkts denken; du sollst meinen Wahlsieg wie deinen persönlichen Erfolg verspüren, der dir sofort ein besseres Leben beschert. 

So können wir den Fanatismus verstehen, in den manche Anhänger von Demagogen ausbrechen, wenn ihr populistischer Star seine Gegner niederredet und für seine eigenen Anliegen das Blaue vom Himmel verspricht – Dopamin-Ausbrüche, die dann hysterisches Geschrei und Begeisterungsstürme auslösen. Die narzisstischen Politiker, die gerade in einigen Ländern Hochkonjunktur haben, verstehen sich vor allem auf diese Meisterschaft: Aus ihrem eigenen Dopamin-Programm heraus an die Synapsen der Anhänger anzudocken und auf diese Weise Abhängigkeiten zu erzeugen: Menschen, die fest daran glauben, dass erst und nur wenn ihr Kandidat die ganze Macht hat, das eigene Leben besser wird. Süchtig nach den Erfolgen anderer werden Menschen, denen das Leben sonst wenig Gelegenheit für dopaminerge Motivationszyklen geboten hat.


Die Vorweg-Belohnung


Das Problem mit der Vorwegnahme einer Belohnung liegt darin, dass eine innere Spannung zwischen der Erwartung und der Angst vor einer Enttäuschung aufgebaut wird. Manche Menschen unterbinden, ohne es zu wissen, ihre Dopamin-Erzeugung, indem sie sich jede Vorfreude auf mögliche Erfolge und Zielverwirklichungen verbieten, weil ja nichts sicher ist, und sie Angst davor haben, dass die Enttäuschung umso größer sein könnte, je größer die Vorfreude ist.

Andere wiederum setzen darauf, die Angst und den Zweifel an der Sicherheit der Zielerreichung zu unterbinden, indem sie sich alle negativen Gedanken verbieten und versuchen, nur positive innere Bilder vom ersehnten Erfolg zuzulassen. Sie kultivieren zwar ihre Dopaminerzeugung, allerdings neigen sie dazu, Risiken oder Unklarheiten in Hinblick auf die Zielerreichung zu übersehen oder zu ignorieren.


Die Kultivierung der Achtsamkeit


Der Ausweg aus der Problematik der Vorwegnahme liegt für beide Fälle in der Achtsamkeit auf das Erleben im Moment. Wenn wir vordringlich darauf  achten, was sich jetzt gerade im eigenen Innen abspielt, sind wir vor irrealen Ängsten vor der Zukunft und aus der Vergangenheit geschützt. Wir können unsere Motivation aufrechterhalten, indem wir unsere Ziele als Resultate unseres Wollens bejahen und die Ängste, die dabei auftreten, mit unserer liebevollen inneren Aufmerksamkeit einhüllen, bis wir sie in unterstützende Kräfte für unsere Zielerreichung verwandelt haben. Auch können wir auf diesem Weg überprüfen, ob Ziele, die wir uns wünschen, oder Dinge, die wir haben möchten, wirklich aus unserem Wollen kommen und nicht aus äußeren Quellen stammen, deren Botschaften sich ohne unser Bemerken in unser Unterbewusstsein eingeschlichen haben. 

Das beste Training, um uns vor allen ungewollten und manipulativen Einflussnahmen auf unser Unbewusstes und die von ihm inszenierte Hormonregulation zu schützen, ist die Kultivierung der Achtsamkeit. In einer Reihe von Forschungsarbeiten wurde belegt, dass Übungseinheiten von mindestens fünf Minuten, innerhalb von acht Wochen täglich durchgeführt, zu messbaren Veränderungen im Gehirn führen: Z.B. werden die Verbindungen zwischen den bewussten Gehirnteilen und den Belohnungszentren gestärkt, d.h. wir verbessern unsere Kompetenz darin, das bewusste Wollen von unbewussten Programmierungen zu unterscheiden. Die Dopamin-Produktion wird dann nicht mehr von emotionalen Spannungen auf der unbewussten Ebene ausgelöst, sondern von rational überlegten und festgelegten Entscheidungen und deren Projektion in die Zukunft. Zusätzlich wird die Oxytocin-Produktion gesteigert, die unsere Ängste hemmt.

Wenn wir also von stressgetriebenen zu entspannten und gelassenen Menschen werden wollen, die ihre Motivation aus einem breiten Angebot an Gefühlen (und damit verbundenen Botenstoffen) und rationalen Abwägungen schöpfen, empfiehlt es sich, dass wir uns der Kultivierung der Achtsamkeit widmen.

Zum Weiterlesen:
Machen uns Smartphones infantil?

Serotonin und Lebensfreude

2 Kommentare:

  1. Also Herr Ehrmann, in aller Ehre: Ist Ihre Werbung für den Achtsamkeitskurs nicht auch eine dopaminerge Vorweg-Belohnung? Mein Unterbewusstsein reagiert vermutlich so: "Ah ja, Kultivierung von Achtsamkeit ist gut, dann hab ich weniger Stress und es geht mir besser. Ich melde mich für den Kurs bei W. Ehrmann an und kann mich schon mal freuen, dass es mir durch den ZUKÜNFTIGEN Kurs besser gehen wird..."

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    1. Lieber Waldläufer, ja, das haben Sie gut erkannt. Es heißt ja nicht, dass das Erwarten von Belohnungen etwas grundsätzlich Schlechtes ist, im Gegenteil, das ist wichtig, dass wir längerfristige Ziele verfolgen können und Aktivitäten angehen, die uns widerstreben (wie z.B. einen Waldlauf), in Erwartung von guten Gefühlen währenddessen und nachher. Es würde ja niemand einen Achtsamkeitskurs besuchen, der nicht eine Erwartung hätte, dass dadurch etwas besser würde. In diesem Sinn geht es nur um Achtsamkeit: Die dopaminhältige Erwartung bewusst wahrnehmen und unter Hinzuziehung anderer innerer Instanzen (z.B. rationales Denken) eine Entscheidung zu treffen.

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