Bei der Beobachtung der aktuellen Diskurslage auf Verachtung und Arroganz zu verzichten heißt nicht, die Dummheit zu loben oder die Ignoranz zu verherrlichen. Wenn zur Aufklärung nach Kant der Mut gehört, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen, so ist es bei der Ignoranz die Feigheit, über den Tellerrand der eigenen Vorurteilsstruktur hinauszuschauen. Es ist die Bequemlichkeit, einfache, aber emotional aufgeladene Welterklärung komplexeren Zusammenhängen und Denkvorgängen vorzuziehen, also die Arbeit des Denkens und Nachdenkens der Übernahme von ungeprüften Informationen und Meinungen zu opfern, die in ebenso ungeprüfte emotionale Muster passen.
Die Dummheit ist langfristig selbstregulierend: Sie schneidet sich ins eigene Fleisch, indem die Folgen des eigenen Tuns in den meisten Fällen auf den Täter zurückfallen. Allerdings ist nicht es nicht garantiert so, dass wir aus Fehlern klug werden, sondern nur dann, wenn wir bereit sind zu lernen. Und Lernen erfordert eine gewisse Anstrengung und eben den Mut, sich von vorgefassten Auffassungen und vertrauten Denkbahnen zu verabschieden, wenn sie sich als selbstschädigend erwiesen haben. Die bequemere Variante bleibt beim eingeübten Projizieren und sucht sich die Sündenböcke fürs eigene Elend in den Fantasieszenarien, die von der populistischen Propaganda in die Köpfe der Nachbeter eingespielt werden.
Die Missachtung der Dynamiken der Bewusstseinsevolution hat dramatische Folgen. Die emotionale Identifikation mit den Verächtern der Verächter, mit den elitären Kämpfern gegen die Eliten, die Gefolgschaft der Populisten hat ihren hohen Preis: Sie führt bei den Gefolgsleuten zur Schädigung der eigenen Lebensgrundlagen. Den starken Mann zu wählen, der außer markigen Bosheiten kein Programm zu bieten hat, war schon immer ein Schuss ins eigene Knie. Denn nach allen bisherigen Erfahrungen verteilen die Populisten besonders eifrig das Geld von unten nach oben und lassen die Reichen noch mehr abräumen. Sie haben keine Rezepte gegen die Produktion von Blasen, die dann die Masse der Wenigverdiener finanzieren müssen. Nach den Nationalisten sollen die Länder voneinander abgeschottet werden, was nachweislich den Wohlstand mindert, besonders jenen der unteren Einkommensschichten, die die steigenden Kosten für Konsumgüter finanzieren müssen, während gleichzeitig die Arbeitsmöglichkeiten schwinden. Diejenigen, die für den Brexit gestimmt haben, sind vermutlich jene, die den Großteil der Kosten und den massivsten Einbruch ihrer Lebenshaltungskosten ertragen müssen. Und wenn es ganz schlimm wird, werden Kriege angezettelt, in denen dann das Stimmvieh verblutet.
Dummheit ist immer selbstverletzend, über kurz oder über lang.
Bildungsferne ist kein Schicksal
Außerdem gibt es keine Entschuldigung für Bildungs- und Reflexionsmangel. In unserer Gesellschaft gibt es eine Vielzahl von niederschwelligen Zugängen zu Bildung und Fortbildung. Informationen sind über viele Kanäle leicht zu erlangen. Und zu lernen, dass ungefilterte Nachrichtenfluten im Internet nicht per se Wahrheit vermitteln, sondern dass diese z.B. durch Vergleiche und Prüfung der Quellen erarbeitet werden muss, ist jedem internetfähigen Menschen zumutbar.
Wir können Verständnis aufbringen für die Gründe von Bildungsferne, Horizonteinschränkungen, Ideologieanfälligkeiten, Naivität gegenüber Propaganda, anonymen Hassausbrüchen. Sie liegen in misslungenen Lebensbiografien, die ihre Wurzeln in pränatalen und postnatalen Traumatisierungen haben.
Können wir als Gesellschaft, die sich ihre Freiheitsrechte erkämpft hat, verlangen, dass sich jeder den Anstrengungen der aufgeklärten Bildung unterzieht, um diesen nicht zu schaden? Freiheit besteht auch darin, Bildung zu verweigern und aus Ignoranz heraus populistisch die eigenen Hassgefühle auszuagieren. Gruppen mit dieser Haltung sind genauso Teil der demokratischen Gesellschaft. Dort allerdings, wo Schaden entsteht, müssen der Freiheit Grenzen gesetzt werden. Will die Demokratie als Forum freier Meinungsbildung weiterbestehen und nicht in einem blind emotionalisierten Meinungssumpf enden, dann braucht es auch eine effektive Kontrolle von Falschinformation, Irreführung, Manipulation und Täuschung. Wir brauchen also kein Propagandaministerium, sondern ein Aufklärungs- und Informationsministerium, das Aussagen und Fakten gegenüberstellt.
Kleines Beispiel: Der Präsidentschaftskandidat Norbert Hofer hat bei der jüngsten Fernsehdebatte behauptet, dass jeder Flüchtling dem Staat (dem Steuerzahler) 277 000,- EURO kostet. Dazu gesagt wurde nicht, dass sich diese Zahl auf eine Schätzung über einen Zeitraum von 45 Jahren bezieht, inklusive aller Ausgaben für Gesundheit, Bildung und andere "externe" Kosten. Die Kosten beziehen sich also auf den Zeitraum von mehr als einem halben Menschenleben – und sind eine grobe Schätzung – und berücksichtigen nicht die Gegenleistungen, die ein Flüchtling durch seine Arbeit usw. einbringen kann. Die scheinbar so riesige Zahl bleibt beim Zuseher hängen, der Kandidat punktet, die Relativierung geht unter. (Zur Quelle)
Zwei Diskurssysteme?
Zerfällt damit die Gesellschaft in zwei Diskurssysteme? Klassisch sprechen die Linguisten vom elaborierten und vom restringierten Code, also von ausgefeilter und simpler Sprache. Der Unterschied geht aber noch tiefer: Das Bemühen nach Faktizität und ethischer Verantwortung auf der einen Seite und die Nachlässigkeit, aus Vorurteilen und Bauchgefühlen heraus Einstellungen zu entwickeln, die dann ohne kritische Reflexion in den Diskurs einfließen. Zwei deutlich unterschiedliche Qualitäten von Information stehen dann in den Kommunikationsräumen nebeneinander, die eine kritisch überprüft, die andere aus Vorurteilen erzeugt.
Kann es da noch Brücken geben zwischen diesen Diskurssystemen oder schotten sie sich voneinander ab? Haben wir es bereits mit zwei Parallelgesellschaften zu tun, die noch dazu von den Zentralisierungsmaschinen in den sozialen Medien voneinander abgesondert und intern zusammengeschweißt werden? Denn aus einfachen monetären Gründen werden „Echokammern“ eingerichtet: Facebook, Google und Konsorten haben ihre Algorithmen darauf eingestellt, jedem seine meinungskonformen Nachrichten und Kommentare zu servieren und Gegenteiliges zu blockieren. Was die Leute wollen, klicken sie an, und das bringt Geld, was sie laut Kalkül nicht wollen, wird weggefiltert, weil es ökonomisch nichts bringt. Damit kriegt jeder sein Meinungsfutter, das ihm schmeckt, und andere Geschmacksrichtungen sind nicht im Angebot.
Und was wir jetzt schon in Österreich beobachten können, wo die Wahl des Bundespräsidenten nach einem halben Jahr bald zu einem Ende kommen soll, ist diese Aufteilung in zwei Sphären. Wie immer die Wahl ausgeht: Es stehen sich zwei annährend gleich starke Diskurssysteme gegenüber, die viel Misstrauen und fallweise sogar Hass gegeneinander aufgebaut haben. Bei einem Blick auf die Facebook-Seiten oder Twitter-Accounts der beiden Kandidaten wird dieser Unterschied sofort unübersehbar. Unterschiedliche Sprachstile, Argumentationsweisen, Wortwahlen etc. – eine Fundgrube für Linguisten. Und: Ein Fragezeichen für die Zukunft der Demokratie in einer Welt, in der die Wirklichkeit kaum mehr entwirrbar mit Cyberfetzen durchzogen ist.
Zum Weiterlesen:Arroganz und Liberalität
Wird die Demokratie manipuliert?
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