Elisabeth Raether hat im vergangenen Sommer in der ZEIT einen Essay über die „Arroganz“, die die Autoritären so stark macht, geschrieben und damit vorab ein Erklärungsmodell für den Wahlsieg von Donald Trump geliefert. Die These lautet, dass die Liberalen, also die Vertreter der Menschen- und Minderheitsrechte, die Gegner von Rassismus und billiger Politpropaganda, die Verfechter von Bildung und kulturellem Wissen eine Überheblichkeit in sich tragen. Sie sind überzeugt, dass sie die bessere Weltsicht haben, dass ihnen die Zukunft gehört und dass sie menschlicher sind. Sie glauben, dass sie genau wissen, wie die Menschen leben müssen, damit alles besser wird. Alle diese Überzeugungen sind wesentlich und aus meiner Sicht absolut notwendig, damit sich die Gesellschaft und die Menschheit insgesamt in eine konstruktive Richtung weiterentwickelt, sie unterstützen also die Evolution des Bewusstseins.
Rituale der Rache
Diese Arroganz erzeugt allerdings als Gegenreaktion bei vielen, die sich als Opfer von Modernisierungsprozessen fühlen, eine Abneigung gegen jene, die es besser wissen, aber keine Verbesserung der eigenen Problemlage bewirken können. Diese werden als abgehobene Elite erlebt und für das eigene Unglück verantwortlich gemacht. Daraus entsteht Hass und die Identifikation mit jenen, die sich nicht von den Eliten beeindrucken lassen (nicht auf ihre “Lügen“ hereinfallen) und statt dessen die Welt in einfachen Formeln erklären können.
Die Rechnung wird von jenen, die noch ans Wählen glauben, bei den Wahlen beglichen. Viele andere gehen gar nicht mehr hin. Die Verachteten und Ausgegrenzten wählen Personen, die sie als verachtet und ausgegrenzt erleben, um es den Ausgrenzern zu zeigen. So dienen Wahlen als Ritual der Rache. Erniedrigung durch schlechte Erfahrungen im eigenen Leben werden vergolten, indem die Außenseiter die Stimme kriegen.
Die Illiberalität der Liberalen
Damit die Liberalität gegen ihre Feinde gerettet werden kann, ist es wichtig, Licht in ihren Schatten zu bringen. Denn im Schatten ist auch eine Kraft verborgen, die, solange sie im Schatten verbleibt, hinderlich wirkt, und die von großem Nutzen sein kann, wenn sie ins Bewusstsein gelangt. Die Überheblichkeit besteht nicht darin, über gute Ideen zu verfügen und eine weite und weltoffene Einstellung mit Toleranz und Respekt zu vertreten. Sie zeigt sich dort, wo alle abschätzig betrachtet werden, die nicht über diese Einstellung verfügen, weil sie auf Grund anderer Lebensumstände entweder nicht die formelle Bildung genießen konnten oder nicht in einer Atmosphäre aufgewachsen sind, in der die Bildung des Herzens möglich war. Liberalität wird dort illiberal, wo alle prä- oder antiliberalen Menschen abgewertet werden.
Diese Abwertung kann ganz einfach dadurch geschehen, das eigene Leben mit den eigenen Werten zu führen, ohne die Rahmenbedingungen zu erkennen, in denen und durch die es überhaupt möglich ist. Raether spricht von einer Klassengesellschaft, in der die einen führen und die anderen folgen. „Wenn wir über Trump und seine Melania lachen, dann entlarven wir nicht sie, sondern uns.“
„Wir“ sind dabei alle, die es besser wissen, aber nicht verstehen, dass das Schlechter-Wissen auch dazugehört und verstanden werden will. Damit bleiben wir in einem geschlossenen Zirkel, in dem jeder Platz hat, der benachteiligt ist, außer er spielt nicht nach den Regeln des Zirkels. Die Grenze des Kreises derer, die dazugehören, wird durch Verachtung gebildet: Wer im Zirkel nicht mitkann oder mitwill, ist kein Vollmensch, sondern eine Schwundstufe davon, der die notwendigen Voraussetzungen fehlen.
Geht es ohne Verachtung?
Wie aber soll der, der es besser weiß, den nicht verachten, der sich dumm, schäbig oder gewalttätig verhält? Wie kann man nicht die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, wenn die nunmehrige gewählte First Lady ihre Wahlrede von ihrer Vorgängerin, die noch dazu in der gegnerischen Partei verankert ist, abgeschrieben hat und sie nicht akzentfrei ablesen konnte?
Das ungläubige Kopfschütteln, das nach der Wahl vom 8. November durch die liberalen Kreise der Welt wie ein seuchenartiger Tick ging, ist Ausdruck eines verwunderten Aufwachens darüber, dass es noch etwas anderes geben kann als die heile Welt des liberalen Fortschritts. Die Verachteten sind plötzlich im Besitz der Macht und stehen strahlend im Rampenlicht, und die Liberalen drücken sich irritiert und verschämt im Hintergrund herum.
Es ist die Verwunderung und das Entsetzen darüber, dass außerhalb des Kreises des eigenen Denkens hinaus etwas entstehen kann, was Menschen mobilisiert und Partei ergreifen lässt. Menschen werden auch anders als über Vernunft und Argumente, ja sogar wider alle Rationalität politisch aktiv. Es ist die Verwunderung über die Wirkmacht des Postfaktischen, das auch ein Postrationales ist, freilich so, dass es vor allem die prärationalen Mechanismen regressiv nutzt.
All das kann aus der Position der intellektuellen und ethischen Überlegenheit konstatiert werden. Doch die Überlegenen haben solange nichts von ihrer Überlegenheit, solange sie in der Haltung der Ausgrenzung kultivieren. Denn die Mechanismen der Mediendemokratie konfrontieren sie mit der harten Realität der Unvernunft, gegen die jedes noch so geschliffene Argument und jede noch so profunde journalistische Recherche abprallt: Die Dummheit verschafft sich die Mehrheit und damit die Macht und übt sie aus, so gut oder schlecht sie kann, und die Besserwissenden müssen ohnmächtig zuschauen.
– Oder: Sie kämpfen: Sie bekämpfen jede Maßnahme, die die Entwicklung zurückschrauben will, sie treten gegen jede Form der Ungerechtigkeit auf und nutzen dafür alle Kanäle, die zur Verfügung stehen, shitstorms, flashmobs, Großdemonstrationen, ziviler Ungehorsam, gewaltfreier Widerstand usw.
Das ist die Kur für die Arroganz: die eigene Ohnmacht angesichts des Triumphs der Verdummung zu spüren und wieder von unten zu beginnen, den Widerstand in geduldiger Kleinarbeit und in großen Aktionen in die Öffentlichkeit einzubringen und damit die Zivilgesellschaft tiefer zu verankern: Verbunden mit den Interessen und Bedürfnisse derer, die zu kurz gekommen und unter die Räder gekommen sind und die befürchten müssen, an den Rändern der Wohlstandsgesellschaften zu verkümmern.
Das Projekt der Aufklärung steht immer wieder vor neuen Anfängen, die mit neuen Mitteln und auf neuen Wegen begangen werden müssen. Die vor allem ökonomischen Herausforderungen der Globalisierung sind gesellschaftlich noch kaum aufgefangen. Für dieses Beginnen ist ein Schub der Kreativität von Nöten, die der populistischen Machtausübung eine offene Kultur und ein Feuerwerk von Initiativen und Projekten entgegenstellt. Die Gesellschaft muss bunt bleiben und noch bunter werden, auch wenn deren autoritäre Idole und Führungsgestalten die Schwarz-Weiß-Optik bevorzugen.
Die Überwindung der Verachtung
Im liberalen Grundkanon, der im Modell der Bewusstseinsevolution, das auf diesen Seiten immer wieder diskutiert wird, der personalistischen Stufe angehört, kommt auch der Begriff der fundamentalen Gleichheit aller Menschen vor. Menschenrechte müssen allen Menschen zukommen, um ihren Namen zu verdienen, unbesehen der Hautfarbe, des Geschlechts usw., und auch der Intelligenz und des Bildungsgrades. Deshalb widerspricht das Verachten von politischen Gegnern, mögen sie noch so peinlich auftreten und primitiv argumentieren, dem Grundrecht jedes Menschen, geachtet zu werden. Niemand darf vorverurteilt werden, aber jeder muss sich gefallen lassen, an den eigenen Handlungen gemessen zu werden.
Das ist die rationale Umgangsform mit der Verachtung. Er leitet hinüber in die systemische Bewusstseinsform.
Verachtung ist auch ein emotionaler Vorgang, dessen Entstehen primär nicht verhindert werden kann. Er taucht auf, wann er auftauchen will und hat seine Wurzel in tiefliegenden Erfahrungen des Verachtet-Werdens, Erfahrungen, die wir alle in uns tragen. Verachtung ist kein angenehmes Gefühl und schränkt das Bewusstsein und die eigenen Lebendigkeit und Kreativität ein.
Wie kann die Verachtung überwunden werden? Der erste Schritt besteht darin, sie in sich wahrzunehmen. Der vielzitierte Gutmensch ist einer, der sich schwer tut, solche Tendenzen in sich zu spüren, weil sie nicht zum Selbstbild passen. Aber auch der arrogante Liberale wird schwer zugeben, solche Stimmungen in sich zu kultivieren. Deshalb braucht es auch einen gewissen Mut, sich solchen „politisch nicht korrekten“ Mustern in sich selbst zu stellen und zu akzeptieren, dass sie da sind.
In diesem Schritt wird schon deutlich, dass wir alle Grenzen in uns tragen, innerhalb derer wir Menschen akzeptieren und achten können und dass wir darüber hinaus Schwierigkeiten haben. Daraus folgt, dass wir in uns vieles, wenn nicht alles tragen, was wir an anderen ablehnen. Auch wir sind in mancher Hinsicht dumm, ignorant, intolerant, reflexionsfaul und vorurteilssüchtig usw.
Nutzen wir die einfache Übung, in der bei jeder bemerkten Ablehnung anderer der Satz „Auch ich bin…“ vollendet wird. Also z.B. „Auch ich bin primitiv, auch ich bin intolerant…“ Wenn wir die befreiende Wirkung der Übung erfahren haben, brauchen wir keine Arroganz und keine Verachtung mehr. Der Lohn besteht in einem Zuwachs an Menschenliebe, die uns selber reicher macht. Außerdem hilft die Übung, das Vertrauen in das Fortschreiten der Menschlichkeit zu festigen und unsere Handlungsfähigkeit in dessen Dienst zu stellen.
Der Artikel von Elisabeth Raether ist am 4.8.2016 in der ZEIT erschienen und kann hier nachgelesen werden.
(Ich danke Sebastian Ehrmann für den Hinweis auf diesen Artikel.)
Vgl. Krise der Liberalität
Faktizität und Bullshit
Dürfen wir Hofer für einen Nazi halten?
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