Freitag, 29. April 2016

Reinkarnation - Glaube oder Symptom?

Ist dieses Leben, das wir da leben, einzigartig und einmalig, zu Ende mit dem Tod? Die Menschheit scheint sich in zwei Gruppen geteilt zu haben: Die eine Hälfte, vor allem in Asien, glaubt an die Wiedergeburt, die andere an das singuläre Leben mit einem Weiterleben nach dem Tod. Soweit die religiösen Aussagen, die keine eindeutige Antwort erlauben, sondern nur die Vielfalt der Reaktionen auf das Mysterium des Todes. So bleibt allenfalls eine Glaubensfestlegung: Ich glaube an eine Wiedergeburt oder nicht.

Reinkarnation und Wissenschaft


Die nächste Frage geht an die Wissenschaft. Hier stößt man auf das Lebenswerk von Ian Stevenson, der eine große Zahl an Dokumenten von Kindern gesammelt hat, die angebliche Vorleben erinnern. Doch sagt er zu seinen Forschungen, sie habe keine Beweise geliefert, sondern Fälle, die eine Reinkarnation nahelegen. Weiters kann man lesen:
 „Obwohl das Studium der Kinder, die behaupten, ein früheres Leben zu erinnern, mich überzeugt hat, dass einige unter ihnen in der Tat reinkarniert haben mögen, so hat es mir doch auch die Gewissheit verschafft, dass wir nahezu nichts über die Reinkarnation wissen.“ (Ian Stevenson: Wiedergeburt. Kinder erinnern sich an frühere Erdenleben. Aquamarin-Verlag 1992)


Die verschiedenartigen Kritiken an den Forschungen von Stevenson reichen von methodischen Fehlern, Beeinflussungen der interviewten Personen bis zur Nichtberücksichtigung von kulturellen Beeinflussungen durch die vorherrschenden religiösen Traditionen.  Johannes Mischo, ein bekannter  Freiburger Parapsychologe schreibt: „Eine überzeugende empirische Belegbasis für die Reinkarnation gibt es nach meiner persönlichen Einschätzung derzeit nicht. Die zentralen Fragen der menschlichen Existenz, Beweise für ein Überleben des persönlichen Todes können von den empirischen Wissenschaften nicht geliefert werden, bestenfalls Hinweise, die weiterer Nachforschung bedürfen.“
Zitiert nach: Helmut Obst: Reinkarnation. Weltgeschichte einer Idee. München: C.H.Beck 2009


Ken Wilber, der Dalai Lama und die Reinkarnation


Der US-Philosoph und Autor Ken Wilber hat sich auch mit dem Thema auseinandergesetzt. Er schließt nicht aus, dass Reinkarnation  möglich ist, es ist ihm aber klar, dass es auf der theoretischen Ebene eine Menge zusätzlicher Hypothesen braucht, um sie einzuführen. Sein umfassendes Weltmodell müsste durch spekulative Zusatzannahmen erweitert werden, um der Existenz von Vorleben einen Platz geben zu können. Definitiv verneint er aber die Möglichkeit, sich an frühere Leben zu erinnern:


„Wenn also Menschen behaupten, ein vergangenes Leben ‚zu erinnern‘ – wo sie lebten, wovon sie lebten und so weiter –, dann erinnern sie sich sicherlich nicht an irgendein aktuelles vergangenes Leben, und dies entspricht jeder größeren Religion oder jedem Zweig der immerwährenden Philosophie. Nur Buddhas (oder Tulkus [= aus der Geisterwelt heraus erschaffene Wesen; Anm.d.Übers.]), sagt man, können sich gewöhnlich an vergangene Leben erinnern – die Hauptausnahme von der Regel. Sogar der Dalai Lama hat gesagt, er könne sich nicht an vergangene Leben erinnern, dies sollte als eine Mahnung für alle dienen, die denken, sie könnten es.“

(Ken Wilber: Death, rebirth and meditation, in: G. Doore (ed.), What survives? Contemporary explorations of life after death , Los Angeles, J.P. Tarcher. (übersetzt von Hape Lin)) Link

Wilber verweist darauf, dass in den alten religiösen Traditionen, wie z.B. im Buddhismus oder Hinduismus, in denen die Seelenwanderung als zentrales Lehrstück vertreten wird, das Wiedererleben solcher vergangener Leben keine Rolle spielt. Vielmehr geht es darum, im jetzigen Leben gute Grundlagen für ein nächstes Leben zu schaffen.


Die Idee, dass das Aufsuchen von früheren Leben heilsame Wirkungen haben kann, ist in Wirklichkeit viel jünger und stammt aus den Anfängen der theosophischen Bewegung, die von Helena Petrovna Blavatsky begründet wurde und deren Reinkarnationslehre dann von Rudolf Steiner übernommen wurde.  Hierin liegen Hauptquellen für die moderne westliche Esoterik, in der die Reinkarnationslehre einen festen Platz behauptet. 


Reinkarnationserleben als neurotische Störung?


Ein interessanter Hinweis zu dieser Thematik ergibt sich aus den Erforschungen des Peakstates-Institutes in Vancouver unter Leitung von Grant McFetridge: Es gibt zwar Erinnerungsphänomene an frühere Leben, im Sinn einer unmittelbar einleuchtenden Erfahrung, kurzzeitig in einem Lebenszusammenhang zu sein, der vor dem eigenen Leben liegt. Doch beruhen diese nicht auf einer Seelenwanderung, werden also nicht durch eine zuerst exkorporierte und dann wieder inkorporierte Seele von einem Leben zum nächsten weitergetragen, sondern sind Illusionen, die durch einen defekten traumabedingten Vorgang, der auf der Zellebene etabliert ist,  hervorgerufen werden. Reinkarnationserlebnisse sind also nach dieser Auffassung Ausdruck einer psychischen Störung und keine spirituellen Einsichten. Das Institut hat auch eine Methode entwickelt, die Menschen von dieser Störung heilen kann, sodass sie dann keine Reinkarnationserlebnisse mehr haben. Da viele der Pastlife-Erfahrungen mit Gewalt, Grausamkeit, Verletzungen usw. zu tun haben, kann das für viele, die unter solchen Phänomenen leiden, eine Erleichterung sein.


In diesem Zusammenhang ist auch noch erwähnenswert, dass unser Gehirn in der Lage ist, außerkörperliche Erfahrungen zu produzieren. Wird ein bestimmtes Gehirnareal elektrisch gereizt, erlebt die Person, dass sie mit ihrem Bewusstsein aus ihrem Körper heraustritt und sich von oben sieht. Es ist also keine mystische Fähigkeit, den eigenen Körper zu verlassen, sondern eine Reaktionsform, die in unserem Gehirn angelegt ist. Möglicherweise handelt es sich um einen dissoziativen Mechanismus, den das Gehirn bereithält, um sich vor überwältigenden Erfahrungen zu schützen. 


So wäre es auch nicht weiter verwunderlich, sollte das Gehirn sogar ganze Szenen mit Menschen in historischen Kostümen produzieren können, um einen inneren neurotischen Konflikt verschleiert zu Bewusstsein zu bringen. Beim Träumen geht es ja auch so. Methodisch ist dann freilich klar, dass die Reinkarnationstherapie, die also innere Themen durch den Rückgang auf Erfahrungen in früheren Leben auflösen will, auf einem Holzweg ist, weil sie nur den Konflikt in der Verkleidung auflöst und nicht auf der Ebene, auf der er eigentlich entstanden ist. Damit verschafft sie zwar eine momentane Erleichterung, die dann als Beweis für die Wirksamkeit der Therapie in Anspruch genommen wird, es ist aber nicht gewährleistet, dass die Symptome nicht wieder auftauchen werden, vielleicht in einer neuen Verkleidung. 


Vgl. Kritische Fragen an die Reinkarnationstherapie
Das Modell der Inkarnation und die praktischen Konsequenzen

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