Freitag, 29. April 2016

Epigenetische Weitergabe von Stress über die Generationen

Die Weitergabe von Stress über die Generationen

Hier folgt die Übersetzung einer Forschungsarbeit zum Thema der epigenetischen Weitergabe von Stress und seelischen Bürden von Generation zu Generation. Die Wissenschaft findet mehr und mehr Beweise dafür, dass emotionale Belastungen von einer Generation zur nächsten weitergegeben werden können. Die Vorgänge selbst sind komplex und der genauere Blick zeigt auch, dass es keine Kausalketten gibt, also dass wenn in der einen Generation ein schlimmes Ereignis passiert, die darauffolgende automatisch traumatisiert sein muss. Vielmehr sind so viele Faktoren im Spiel, dass es starke Streuungen in der epigenetischen Prägung gibt. Doch zeigen auch diese Studien, dass die ersten Phasen im Leben eines Kindes besonders anfällig sind für Änderungen im Erbmaterial, die sich dann erst später in körperlichen oder seelischen Beschwerden äußern. Was wir aus der Therapie in vielen Fällen dokumentieren können, findet hier eine wissenschaftliche Erklärung auf biologischer Basis.

Hier nun übersetzte Ausschnitte aus dem Artikel von V.A.Rozanov  in der Fachzeitschrift Neurophysiology (
September 2012, Volume 44, Issue 4, pp 332-350) zum besseren Verständnis der wissenschaftlichen Hintergründe.
Moderne Technologien haben es ermöglicht, die Übertragung von psychosozialem Stress mit Genvariationen in Verbindung zu bringen.  Dieser Zusammenhang wurde zwischen Mutter und Kind untersucht, nämlich die DNA-Modifikationen in den neuronalen und in anderen Geweben des Kindes bezogen auf die mütterlichen Bindungsfähigkeiten. Ebenso wurden Korrelationen zwischen dem Muster der sozialen Unterstützung und der Aktivität des Stresssystems beim Kind erforscht.

Nach Daten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) leiden ca. 10% der Erwachsenen an der einen oder anderen mentalen Störung innerhalb jedem Zeitintervall, und 25% der Menschen können eine solche Störung irgendwann in ihrem Leben erleiden. Klar zeigen die Daten, dass die Zahlen dieser Störungen in der Jugend- und Teenagerzeit im Ansteigen begriffen sind.

Bei komplexeren Organismen, und besonders bei den Säugetieren wird die Kontrolle der Genexpression zu einem großen Teil durch Hormone gesteuert. Das Zusammenwirken der Hormone mit den entsprechenden Rezeptoren reguliert die Genexpression, also das Wirksamwerden eines Gens in einer Zelle. Die Unbeständigkeit und direkte Abhängigkeit von der An- oder Abwesenheit der einen oder anderen Veränderung in der Umgebung sind die Haupteigentümlichkeiten dieser Prozesse. Das heißt, dass diese Prozesse unvermeidlich gelöscht oder eliminiert werden, sobald die Notwendigkeit der Anpassung abnimmt.

Es gibt einen entscheidenden Moment in dieser Situation. Negative Einflüsse – Stress oder die Nichtbefriedigung fundamentaler Bedürfnisse z.B. in der Nahrungsversorgung oder in der emotionalen Unterstützung –, die in frühen Entwicklungsstadien auftreten, führen später zu einem programmierenden Einfluss auf die Entwicklung von physiologischen, biochemischen und Verhaltensphänomenen im ganzen weiteren Leben. Das wird durch biologische Mechanismen der Hormonregulierungen vollzogen. Der Hauptmechanismus solcher Programmierungseffekte dürfte in epigenetischen Veränderungen des Chromatins liegen, vor allem im Auftauchen von Etiketten (Einprägungen, Epimutationen) an den DNA-Molekülen oder an Proteinen im Zellkern (Histonen).
Diese Veränderungen zwingen die Gene dazu, in einer neuen modifizierten Weise zu funktionieren, entweder werden sie stillgelegt oder besonders aktiviert. Solche Etikette können nicht nur neue Funktionen innerhalb eines individuellen Lebens bewirken (übertragen durch die mitotische Zellteilung). Diese können auch transgenerational übertragen werden (d.h. in einer Abfolge von Zellen in einer embryonalen Linie, übertragen durch meiotische Zellteilung=Reifeteilung von Keimzellen). Das bedeutet tatsächlich, dass erworbene Eigenschaften vererbt werden, also dass also Anlage und Umwelt zusammenfallen und dieser Alternative hinkünftig sinnlos ist.

Solche Änderungen in der Aktivität der Gene im Gehirn und in allen anderen Geweben, die den Wirkungen von Stress über das neuroendokrine System ausgesetzt sind, verschwinden nicht nach der Geburt, sondern sie bleiben das ganze Leben hindurch bis ins hohe Alter wirksam. Solche epigenetischen Transformationen finden nach der Keimteilung (Mitose) statt, auch in endgültig geteilten Zellen, die sich also nicht weiter teilen können, vor allem in den Neuronen. Gehirnneurone leben ein langes Leben ohne Zellteilung. Dennoch zeigen sie eine überraschend hohe Plastizität, sie können lernen, indem sie auf psychoaktive Einflüsse reagieren und von ihnen abhängig werden. Gleichzeitig sind die frühen Entwicklungsstadien, die sogenannten Fenster, die sensibelsten Phasen in Hinblick auf die epigenetischen Umgestaltungen des Genoms im Vergleich zu späteren Stadien im Lebenszyklus.

Das Epigenom


Die epigenetischen Umformungen werden als das Epigenom bezeichnet. Das ist eine dynamische Schnittstelle zwischen veränderbaren Mechanismen, die auf die Langzeitprogrammierung der Genexpression ausgerichtet sind, d.h. auf die Kontrolle der Transkription. Dieses Muster ist in jedem Gewebe unterschiedlich. Es ist dynamisch, seine Wirkungen sind reversibel und es kann (mit endgültigen Modifikationen oder ohne) auf die nachfolgenden Generationen übertragen werden. Der dynamische Modus des Epigenoms wird durch biochemische Reaktionen bestimmt, die durch Enzyme kontrolliert werden. Es gibt vor allem zwei Mechanismen: (1) die Methylierung der DNA-Moleküle durch Zytosin-Rückstände und (2) verschiedene gleichwertige Modifikationen von Kernproteinen (Methylisierung, Phosphorylierung, Ribosylierung, Ubiquitinierung, Acetylierung usw. der Histone).

Die Übertragung der Methyl-Etiketten auf nachfolgenden Generationen wird mit Hilfe der sogenannten unterstützenden Zytosin-DNA-Methyltransferase durchgeführt. Dieses Enzym erkennt halb-methylisierte Bereiche und bindet eine Methylgruppe an das nicht-methylisierte Zytosin. Auf diese Weise nutzt dieser Mechanismus schon vorher existierende Methyl-Etiketten für deren Reproduktion.

Soweit der Textauszug aus der Studie von Rozanov, und hier noch ein paar ergänzenden Informationen zum Thema Methylierung - hier zur Quelle.

Die DNA-Methylierung


Bei der DNA-Methylierung handelt es sich, als wichtigste epigenetische Veränderung, um eine chemische Abänderung an Grundbausteinen der Erbsubstanz einer Zelle. Diese Modifikation wird durch die Übertragung von Methylgruppen durch Enzyme (DNA-Methyltransferasen) auf Nukleobasen an bestimmten Stellen innerhalb der DNA hervorgerufen. Da der jeweilige Grundbaustein an der jeweiligen Stelle erhalten bleibt, ist die DNA-Methylierung keine genetische Mutation. Die DNA-Methylierung ist eine DNA-Modifikation durch Methylierung der DNA; sie kommt in sehr vielen verschiedenen (möglicherweise in allen) Lebewesen vor und hat verschiedene biologische Funktionen. Die Abfolge der DNA-Methylierung ist Teil des epigenetischen Codes einer Zelle.

Die wichtigste epigenetische Veränderung ist die Methylierung von Cytidin-Basen der DNA. Dabei werden überhaupt nur solche Cytidine methyliert, die innerhalb von Cytosin-Guanosin-Dinukleotiden angetroffen werden. Andere Cytidine werden durch die bekannten menschlichen DNA-Methyltransferasen (DNMT) nicht verändert.

Während der DNA-Verdopplung vor jeder Zellteilung gibt es den alten DNA-Strang, an dem bestimmte Cytidine methyliert sind, während der neugebildete DNA-Strang noch nicht methyliert ist. Das Enzym DNMT3 methyliert jedes Cytidin in einem halbmethylierten CG/CG-Paar. Eine solche CG-Methylierung führt dazu, dass Methyl-CG-erkennende Proteine an solche meCG-Paare binden. Diese Bindung führt zur Anlagerung weiterer Proteine und zur Verdichtung der Nukleosomen. Dadurch ist die DNA nicht mehr ablesbar und das darunterliegende Gen ist inaktiv.

Methylierte Cytidine sind anfällig für Desaminierung (Verlust einer Amino-Gruppe). Ein desaminiertes, nichtmetyliertes Cytidin ist ein Uracil. Dieses ist keine der vier normalen DNA-Basen Adenin, Cytosin, Guanin oder Thymin. Daher wird ein Uracil in der DNA als Fehler erkannt und schnellstens ausgetauscht. Wird aber ein 5-Methylcytidin desaminiert, entsteht daraus ein Thymin, das ein DNA-Baustein ist. Hier kann der DNA-Reparaturapparat nicht erkennen, ob das Thymin oder das gegenüberliegende Guanin falsch eingebaut ist. Daher bleibt die Umwandlung eines Methylcytidins in ein Thymin erhalten und wird, wenn diese Methylierung in einer Keimzelle stattgefunden hat, auch vererbt.

Methylierung und Traumaspeicherung


In einer Studie von Michael Meaney und Moshe Szyf
(University of Montreal) wurden epigenetische Prägung beim Menschen erforscht. Sie wählten für ihre Studie einen ungewöhnlichen Ansatz. Sie untersuchten die Gehirne von 13 Selbstmördern, die in ihrer Kindheit missbraucht worden waren. Die Gewebeproben vom Hippocampus der Selbstmörder erhielten die Forscher von der »Suicide Brain Bank« in Quebec. Sie untersuchten die Methylierungsmuster aus den Proben und verglichen sie mit denen von Unfalltoten, die keine frühkindlichen Traumata erlebt hatten. Die Analyse ergab, dass im Gehirn der Missbrauchsopfer wichtige Gene durch chemische Markierungen auf »Aus« gestellt waren. Bei den Unfalltoten ohne Missbrauchsgeschichte waren die Gene nicht methyliert und somit funktionstüchtig. Die Sequenz der Gene unterschied sich in den beiden Gruppen nicht, berichten die Forscher im Fachjournal »PloS One« (Band 3, e2058).

Stillgelegt war in den Gehirnen der Missbrauchsopfer ein Set von Genen für ribosomale RNA (rRNA), ein wichtiger Bestandteil des Ribosoms, das für die Produktion von Proteinen in Zellen verantwortlich ist. Diese Gene waren ausschließlich im Hippocampus, einer für das Lernen und Erinnern wichtigen Hirnregion, der Betroffenen abgeschaltet. Dagegen waren sie in anderen Hirnregionen und anderen Körperteilen noch aktiv, wie die Forscher in weiteren Experimenten nachwiesen. Aus älteren Untersuchungen ist bekannt, dass Missbrauchsopfer einen Hippocampus mit geringerem Volumen aufweisen als Menschen ohne traumatische Erfahrungen. Die Stilllegung der rRNA-Gene und die somit gestörte Proteinproduktion im Hippocampus könnten eine Erklärung hierfür sein. Doch Szyf ist vorsichtig: »Es könnte sein, dass die Unterschiede in der Methylierung durch den frühkindlichen Missbrauch verursacht wurden, doch eine Kausalität nachzuweisen, ist bei Menschen deutlich schwieriger als bei Tieren.« Es ließe sich nicht eindeutig klären, wann die Methylierungen erfolgten. Szyf ist aber der Ansicht, dass traumatische Erfahrungen in der Kindheit Markierungen im Gehirn hinterlassen, die bis ins Erwachsenenalter erhalten bleiben und das Suizidrisiko erhöhen.


Vgl. Materialien zur Epigenetik 
Kindliche Traumatisierung verändert die Gene
 

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