Ob du mehr oder weniger in Meditation geübt
bist – es würde mich wundern, wenn du beim Meditieren noch nie mit Langeweile
in Kontakt gekommen bist. Da nehmen wir uns vor, uns eine halbe Stunde
hinzusetzen, um nach innen zu schauen. Doch wir finden nichts, was uns
interessiert, die Gedanken schweifen immer wieder ab, und das Sitzfleisch
beginnt zu schmerzen. So hoffen wir, dass die Zeit endlich um ist. Da schauen
wir auf die Uhr … und es sind erst fünfzehn Minuten vergangen. Wir wollen bei
unserem Vorhaben bleiben und schließen wieder die Augen und öffnen sie
hoffnungsvoll nach einer genügend langen Zeit, nur um zu sehen, dass wir noch
immer fünf Minuten bis zur halben Stunde haben. Die Zeit zieht sich ganz
seltsam in die Länge, sie dehnt und dehnt sich.
Es wäre ungewöhnlich, wenn uns die
Langeweile in der Meditation nie begegnen würde. In der Meditation sollten wir
auf alles stoßen, was wir von unserem Erleben kennen. Meditation ist kein vom
sonstigen Leben abgesetzter, außergewöhnlicher Zustand, sondern ist die Zeit,
die wir uns geben, um unserem Leben von innen her bewusst zu begegnen. Das kann
alles umfassen, von Nervosität bis Stille, von Freude bis Traurigkeit, von
Gedankenfülle bis innerer Stille, und eben auch Langeweile.
Das Eigentümliche der Langeweile besteht
nun darin, dass sie verschwindet, sobald wir uns ihr bewusst zuwenden. Wenn wir
also innerlich erforschen, wie wir uns fühlen, wenn uns langweilig ist, ist das
nicht mehr langweilig, und das, was wir erforschen wollten, hat sich aufgelöst –
in andere Gefühle und Empfindungen, z.B. Nervosität, Unruhe, Bewegungsimpulse,
rastlose Gedanken usw. Sobald uns diese Inhalte unseres Bewusstseins bewusst
werden, sobald wir also unsere innere Aufmerksamkeit auf sie lenken, werden sie
interessant, vielfältig und bunt. Die lähmende und fahle Leblosigkeit, die dem
Langeweile-Zustand eigen ist, weicht, und das Starre kommt ins Fließen.
Ich war vor kurzem auf einem
Langstrecken-Nachtflug von Brasilia nach Lissabon „unterwegs“ (etwas
Eingetümliches bei Flugreisen liegt ja darin, unterwegs zu sein, fast ohne sich
bewegen zu können, d.h. der Weg wird nahezu bewegungslos zurückgelegt). Eingekeilt
in den engen Sitz, desinteressiert am Filmangebot und unbegabt zum Schlafen im
Flugzeug hatte ich viel Gelegenheit, die Langeweile zu erforschen, und am Ende
der neun Stunden, als das Flugzeug europäischen Boden berührte, hatte ich nicht
den Eindruck, eine endlos langweilige Zeit überstanden zu haben, sondern viel
Interessantes erlebt zu haben, sodass sich der Geist frisch anfühlte (im
Gegensatz zum Körper...).
Was lernen wir dabei über die Langeweile?
Natürlich, sie ist ein Produkt des Verstandes, denn wenn wir im Moment sind,
also in der unmittelbaren Erfahrung, so gibt es dort immer etwas Neues, aber
keine Langeweile. Der Verstand konstruiert einen Zustand, der etwas Aufregendes
fordert, etwas Reizvolles und Spannendes. Er hungert nach Beschäftigung und
Herausforderung und übersieht das Unspektakuläre und Einfache, das das Erleben
im Moment kennzeichnet, z.B. die Eigenart und Besonderheit des gerade aktuellen
Atemzuges.
Der Reizhunger unseres Verstandes folgt
einem Suchtmuster. Je mehr wir uns mit Reizen füttern, desto mehr steigt das
Verlangen nach noch mehr und noch vielfältigeren Reizen. Das Suchtmuster hat
also eine quantitative und eine qualitative Komponente und ist deshalb
praktisch unendlich in seiner Gier. Es ist übrigens eine Ableitung aus der im
materialistischen Bewusstsein geprägten Steigerungsform im Anhäufen von
materiellen Werten. Wir suchen z.B. den Besitz von Geld zu steigern, ohne je zu
einem befriedigenden Endzustand zu gelangen, wie auch die Zahlenreihe kein happy end kennt. So treibt das Verlangen
immer weiter, bis zur Erschöpfung oder bis zum Tod.
Dem Stillen dieser Gier nach Reizen widmet
sich eine riesenhafte Industrie, die das Vertreiben der Langeweile verspricht
und dabei immer mehr derselben produziert. Wenn wir uns Fernsehsendungen aus
den sechziger Jahren anschauen, halten wir das kaum aus, weil sie so
umständlich und langsam dahinplätschern, mit einfachen Mitteln und simplen
Dekorationen. Doch wer damals die Anfänge des Fernsehens (zunächst schwarz-weiß
und dann farbig) mitverfolgt hat, weiß, wie aufregend jede Sendung war. Seither
hat sich unser Reizhunger beständig weiter entwickelt, bis hinein in die
Schnitttechnik von Spielfilmen, die in immer kürzeren Sequenzen die Zuschauer
in Bann halten will. Beinahe im Sekundenrhythmus muss Neues geschehen, bricht Unerwartetes
an Bildern und Emotionen auf das Publikum ein, das damit in Dauerstress
versetzt wird. Die Lücken zwischen einem Gag und dem nächsten werden immer
kürzer (damit braucht der Gag keine besondere Qualität mehr, muss also nicht
besonders witzig sein, weil die Zeit zum Lachen sowieso nur kurz ist).
In dieser Art wird die Stresserwartung
unseres Verstandes befriedigt und zugleich gekräftigt. So dreht sich die
Spirale weiter, immer schneller. Innerlich dehnt sich die Spannung zwischen
maximaler Reizfütterung und Erschöpfung. Langeweile muss um jeden Preis
vermieden werden, da sie uns auf uns selbst zurückwirft und uns zwingt, uns
selbst zu spüren. Das ist unangenehm, deshalb gieren wir nach dem nächsten
Außenreiz.
Wie wohl tut uns deshalb die Natur, weil
sie uns einen beständigen ruhigen Fluss von sanften Reizen vermittelt. Die
Natur verspricht nie mehr als sie ist und geht nicht auf unsere
Stresserwartungen ein, sondern zeigt uns, wie wir uns mit der Fülle dessen, was
schon da ist, begnügen können und entspannen dürfen.
Und wie wohl tut uns Meditation, in der wir
uns auf den Weg zur inneren Stille machen. Dass wir dabei der Langeweile
begegnen, sollte uns nicht verwundern. Sie zeigt uns, wie wir unser Leben bis
an den Rand mit Dingen ausgefüllt haben, damit uns keine Lücke Angst machen
kann. Wenn wir in die Angst hineinspüren, die dort auftauchen kann, wo es
innerlich leer wird, kommen wir an die Wurzel der Langeweile-Stimmung. Wir
machen uns vertraut mit der Angst und nehmen ihr ihren Schrecken. Dabei wandelt
sich die Sucht nach Außenreizen in ein inneres Abenteuer, das uns näher zu uns
selbst führt. Je mehr wir diesen Innenraum zu schätzen lernen, desto freier
werden wir von den Verlockerung der Unterhaltungsindustrie und zugleich von der
öden Stimmung der Langeweile. Statt dessen lernen wir den Reichtum in der
Einfachheit zu schätzen und zu mehren.
Vgl.: Störungen in der Meditation
Vgl.: Störungen in der Meditation
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