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Freitag, 17. Juni 2016

Langeweile, eine Form der Selbsttäuschung

Dieses Gefühl tritt auf, wenn die Verbindung mit dem Moment - mit unserem Inneren und der Realität außer uns - verloren geht und die Kostbarkeit, die sich in jeder Erfahrung verborgen hält, übersehen wird. Häufig liegt der Zusammenhang darin, dass wir bestimmte Erwartungen an die Realität haben, die dann enttäuscht werden. Z.B. warten wir auf einen Zug, der nicht und nicht kommt. Wir beginnen uns zu langweilen und werden zugleich ungeduldig. Beide Gefühle verschwinden, wenn wir uns mit etwas beschäftigen, das uns ablenkt und unser Interesse fesselt.

In der Meditation können wir ganz andere Erfahrungen machen. Die Augen sind geschlossen, das Hauptmaß der Aufmerksamkeit ist nach innen gerichtet, vor allem, wenn das Außen ruhig ist und keinen Anlass für Ablenkungen bietet. In diesen Fällen muss die meditierende Person erst lernen, der Versuchung, akustischen Außenreizen zu folgen und inneren Körperempfindungen Aufmerksamkeit zu geben, nicht nachzugeben. Für manche Anfänger ist es schon eine Hürde, über längere Zeit die Augen geschlossen zu halten. Vor allem Menschen, die in ihrer Geschichte häufig durch Außenreize irritiert und aus dem inneren Rhythmus geworfen wurden, unterliegen einem Kontrollzwang, sodass sie dauernd wachsam sein müssen und mit Ängsten reagieren, wenn sie die Augen geschlossen halten sollen.

Sind wir jedoch einmal geübt im Meditieren, gibt es genug im Inneren zu entdecken, sodass manchmal die Zeit wie im Flug vergeht. Allerdings kennt jeder Meditierer Phasen der Innenversenkung, die sich lange hinziehen, die nicht zu enden scheinen, bis sich irgendwann der Blick auf die Uhr stiehlt. Es ist in solchen Situationen ungemein mühsam, die Aufmerksamkeit im Innen zu halten. Der einzige Weg, dennoch bei sich zu bleiben, besteht darin, die Nervosität und innere Anspannung, die hinter der Schwierigkeit zur inneren Konzentration steckt, genauer zu erforschen, also zu spüren, wie sie sich anfühlt. Diese Übung kann wie Schwerarbeit erscheinen, weil wir gegen unseren Drang zur Ablenkung ankämpfen. Dieser Drang wird aus einem Hintergrundstress genährt.

Natürlich nützen sich wiederholende Reize ab, und im Aktivitätsmodus verlangt das Nervensystem beständig nach neuartigem Kitzel, wenn die immer gleichen Nervenverbindungen durch Übernutzung ausgeleiert werden. Besonders wenn wir uns in Anspannung befinden, wollen wir einen schnellen Wechsel im Reizangebot, das zwar den Stressmodus selber zusätzlich anheizt, aber uns das Gefühl gibt, die Kontrolle zu wahren. Im Entspannungsmodus verlangsamt sich das innere Tempo und die Versorgung mit neuen Reizen wird weniger wichtig. Da können wir die Wolkenformationen oder den Wellenschlag am Ufer, das Wiegen von Blättern im Wind und die Schönheit von Blumen auf einer Wiese betrachten, ohne dass uns fad wird.

Langeweile ist also immer ein Indikator von Anspannung, manchmal nur im Hintergrund bemerkbar. Der Ablenkungsdrang kommt aus einem Kontrollbedürfnis, das wiederum von einer unbewussten Angst genährt wird. Weil es unangenehm ist, die Angst zu spüren, drängt uns unser Bewusstsein, schnell einen Reiz zu finden, der unsere Aufmerksamkeit fesselt. Die Anspannung bleibt und meldet sich, sobald sich die Neuigkeit des Reizes abgenutzt hat.

Die Langeweile und der Verstand


Langeweile tritt auf, wenn der Verstand mit sich selbst beschäftigt ist. Irgendwann läuft sich er sich tot, weil er seine Energien verbraucht, ohne neue zu produzieren. Dann bemängelt er das Fehlen von äußerem Input. Er leidet also an einem selbsterzeugten Mangel. Da er von unbewussten Ängsten kontrolliert ist, kann er schwer die Konzentration auf den Moment halten. Er meint, dass immer irgendetwas an diesem Moment falsch oder gefährlich ist. Deshalb versucht er, dem Jetzt zu entkommen, indem er die Sinne fortwährend auf die Suche nach neuen Reizen schickt.

Die Langweile macht uns also auf die Natur unseres Verstandes aufmerksam: Mit großer Umsicht schafft er es, zu verhindern, was helfen könnte, und das Problem, an dem das Leiden besteht, durch die scheinbare Lösung zu verstärken. Denn er bräuchte sich nur zurückzuziehen, schon wird die Sicht auf die schöpferischen Aspekte des aktuellen Moments frei, und das Leiden am Reizmangel ist verschwunden. Aber er hält sich für die wichtigste Instanz, schließlich hat er all seine Ideen und Schlussfolgerungen aus gefährlichen Situationen gewonnen und tut so, als wären diese immer noch aktuell. Deshalb ist er immer anderswo, in Bereichen, die keine neuen Energien schaffen, sondern nur die noch vorhandenen verbrauchen. Die Lösung verstärkt also das Problem.

Dieser selbstbestätigenden Problemspirale brauchen wir uns nicht auszuliefern, außer wir wollen uns selbst einen Schildbürgerstreich spielen. Wenn wir Langeweile erleben, können wir das vielmehr als Gelegenheit ansehen, um uns von der Zwangsjacke unseres Verstandes zu befreien und unseren Sinnen ihre explorative Freiheit zurückzugeben.

Mangel an Präsenz


Langeweile ist ein Gefühl, das, sobald wir es erforschen, verschwindet. Es signalisiert nicht einen Mangel an Außenreizen, sondern einen Mangel an Präsenz, am Sein mit dem, was gerade ist. Es ist ein schnelles Opfer der Bewusstheit: Sobald wir die Achtsamkeit auf den Moment lenken, brauchen wir es nicht mehr. Dafür schleicht es sich leicht bei der Hintertür herein, und oft braucht es eine Kraftanstrengung des bewussten Teils, um gegen die Langeweile anzukommen. Aber mit etwas Übung geht es leichter, und das quälende Gefühl ist rasch vergessen. Statt dessen schwelgen wir in der Üppigkeit der Wirklichkeit.


Vgl. Meditation und Langeweile
Störungen in der Meditation

Mittwoch, 15. August 2012

Meditation und Langeweile


Ob du mehr oder weniger in Meditation geübt bist – es würde mich wundern, wenn du beim Meditieren noch nie mit Langeweile in Kontakt gekommen bist. Da nehmen wir uns vor, uns eine halbe Stunde hinzusetzen, um nach innen zu schauen. Doch wir finden nichts, was uns interessiert, die Gedanken schweifen immer wieder ab, und das Sitzfleisch beginnt zu schmerzen. So hoffen wir, dass die Zeit endlich um ist. Da schauen wir auf die Uhr … und es sind erst fünfzehn Minuten vergangen. Wir wollen bei unserem Vorhaben bleiben und schließen wieder die Augen und öffnen sie hoffnungsvoll nach einer genügend langen Zeit, nur um zu sehen, dass wir noch immer fünf Minuten bis zur halben Stunde haben. Die Zeit zieht sich ganz seltsam in die Länge, sie dehnt und dehnt sich.


Es wäre ungewöhnlich, wenn uns die Langeweile in der Meditation nie begegnen würde. In der Meditation sollten wir auf alles stoßen, was wir von unserem Erleben kennen. Meditation ist kein vom sonstigen Leben abgesetzter, außergewöhnlicher Zustand, sondern ist die Zeit, die wir uns geben, um unserem Leben von innen her bewusst zu begegnen. Das kann alles umfassen, von Nervosität bis Stille, von Freude bis Traurigkeit, von Gedankenfülle bis innerer Stille, und eben auch Langeweile.

Das Eigentümliche der Langeweile besteht nun darin, dass sie verschwindet, sobald wir uns ihr bewusst zuwenden. Wenn wir also innerlich erforschen, wie wir uns fühlen, wenn uns langweilig ist, ist das nicht mehr langweilig, und das, was wir erforschen wollten, hat sich aufgelöst – in andere Gefühle und Empfindungen, z.B. Nervosität, Unruhe, Bewegungsimpulse, rastlose Gedanken usw. Sobald uns diese Inhalte unseres Bewusstseins bewusst werden, sobald wir also unsere innere Aufmerksamkeit auf sie lenken, werden sie interessant, vielfältig und bunt. Die lähmende und fahle Leblosigkeit, die dem Langeweile-Zustand eigen ist, weicht, und das Starre kommt ins Fließen.

Ich war vor kurzem auf einem Langstrecken-Nachtflug von Brasilia nach Lissabon „unterwegs“ (etwas Eingetümliches bei Flugreisen liegt ja darin, unterwegs zu sein, fast ohne sich bewegen zu können, d.h. der Weg wird nahezu bewegungslos zurückgelegt). Eingekeilt in den engen Sitz, desinteressiert am Filmangebot und unbegabt zum Schlafen im Flugzeug hatte ich viel Gelegenheit, die Langeweile zu erforschen, und am Ende der neun Stunden, als das Flugzeug europäischen Boden berührte, hatte ich nicht den Eindruck, eine endlos langweilige Zeit überstanden zu haben, sondern viel Interessantes erlebt zu haben, sodass sich der Geist frisch anfühlte (im Gegensatz zum Körper...).

Was lernen wir dabei über die Langeweile? Natürlich, sie ist ein Produkt des Verstandes, denn wenn wir im Moment sind, also in der unmittelbaren Erfahrung, so gibt es dort immer etwas Neues, aber keine Langeweile. Der Verstand konstruiert einen Zustand, der etwas Aufregendes fordert, etwas Reizvolles und Spannendes. Er hungert nach Beschäftigung und Herausforderung und übersieht das Unspektakuläre und Einfache, das das Erleben im Moment kennzeichnet, z.B. die Eigenart und Besonderheit des gerade aktuellen Atemzuges.

Der Reizhunger unseres Verstandes folgt einem Suchtmuster. Je mehr wir uns mit Reizen füttern, desto mehr steigt das Verlangen nach noch mehr und noch vielfältigeren Reizen. Das Suchtmuster hat also eine quantitative und eine qualitative Komponente und ist deshalb praktisch unendlich in seiner Gier. Es ist übrigens eine Ableitung aus der im materialistischen Bewusstsein geprägten Steigerungsform im Anhäufen von materiellen Werten. Wir suchen z.B. den Besitz von Geld zu steigern, ohne je zu einem befriedigenden Endzustand zu gelangen, wie auch die Zahlenreihe kein happy end kennt. So treibt das Verlangen immer weiter, bis zur Erschöpfung oder bis zum Tod.

Dem Stillen dieser Gier nach Reizen widmet sich eine riesenhafte Industrie, die das Vertreiben der Langeweile verspricht und dabei immer mehr derselben produziert. Wenn wir uns Fernsehsendungen aus den sechziger Jahren anschauen, halten wir das kaum aus, weil sie so umständlich und langsam dahinplätschern, mit einfachen Mitteln und simplen Dekorationen. Doch wer damals die Anfänge des Fernsehens (zunächst schwarz-weiß und dann farbig) mitverfolgt hat, weiß, wie aufregend jede Sendung war. Seither hat sich unser Reizhunger beständig weiter entwickelt, bis hinein in die Schnitttechnik von Spielfilmen, die in immer kürzeren Sequenzen die Zuschauer in Bann halten will. Beinahe im Sekundenrhythmus muss Neues geschehen, bricht Unerwartetes an Bildern und Emotionen auf das Publikum ein, das damit in Dauerstress versetzt wird. Die Lücken zwischen einem Gag und dem nächsten werden immer kürzer (damit braucht der Gag keine besondere Qualität mehr, muss also nicht besonders witzig sein, weil die Zeit zum Lachen sowieso nur kurz ist).

In dieser Art wird die Stresserwartung unseres Verstandes befriedigt und zugleich gekräftigt. So dreht sich die Spirale weiter, immer schneller. Innerlich dehnt sich die Spannung zwischen maximaler Reizfütterung und Erschöpfung. Langeweile muss um jeden Preis vermieden werden, da sie uns auf uns selbst zurückwirft und uns zwingt, uns selbst zu spüren. Das ist unangenehm, deshalb gieren wir nach dem nächsten Außenreiz.

Wie wohl tut uns deshalb die Natur, weil sie uns einen beständigen ruhigen Fluss von sanften Reizen vermittelt. Die Natur verspricht nie mehr als sie ist und geht nicht auf unsere Stresserwartungen ein, sondern zeigt uns, wie wir uns mit der Fülle dessen, was schon da ist, begnügen können und entspannen dürfen.

Und wie wohl tut uns Meditation, in der wir uns auf den Weg zur inneren Stille machen. Dass wir dabei der Langeweile begegnen, sollte uns nicht verwundern. Sie zeigt uns, wie wir unser Leben bis an den Rand mit Dingen ausgefüllt haben, damit uns keine Lücke Angst machen kann. Wenn wir in die Angst hineinspüren, die dort auftauchen kann, wo es innerlich leer wird, kommen wir an die Wurzel der Langeweile-Stimmung. Wir machen uns vertraut mit der Angst und nehmen ihr ihren Schrecken. Dabei wandelt sich die Sucht nach Außenreizen in ein inneres Abenteuer, das uns näher zu uns selbst führt. Je mehr wir diesen Innenraum zu schätzen lernen, desto freier werden wir von den Verlockerung der Unterhaltungsindustrie und zugleich von der öden Stimmung der Langeweile. Statt dessen lernen wir den Reichtum in der Einfachheit zu schätzen und zu mehren.

Vgl.: Störungen in der Meditation