Montag, 16. Juli 2012

Der Weg des Helden

Anmerkung: Der Held ist immer auch die Heldin.

Der Held ist der, der sich aus Abhängigkeiten löst, die er nicht mehr braucht. Es können innere Abhängigkeiten sein oder äußere, z.B. eine ungesunde Lebensweise oder die Bande der Herkunftsfamilie. Er spürt, dass er in den Bereichen, die durch Abhängigkeiten abgedeckt waren, selbst aktiv und kreativ werden kann. Es sind nur noch Gewohnheiten und Bequemlichkeiten, die ihn darin festhalten. Sobald er das erkennt, ist sein Heldentum gefragt. Damit ist die emanzipative Kraft gemeint, welche die Widerstände zum Wachsen überwindet, die sich in Gewohnheit und Bequemlichkeit manifestieren.

Im klassischen Bild zeichnet sich der Held geradezu dadurch aus, dass er seinen Weg geht, indem er sich von nichts beirren lässt, das sich ihm entgegen stellt. Er hält stur an seiner Richtung fest, und führt sie ihn auch „über Leichen“. Die Gefühle der anderen kann er missachten, wenn sie ihm entgegen stehen. Er ist bereit zu verletzen, emotional oder physisch. Er ignoriert die Schuldgefühle, die ihn dabei plagen mögen.

So wird aus dem Helden ein gefühlskaltes Monstrum. Er vermeint, dass er seine Schwächen gemeistert hat, bemerkt aber nicht, dass er sie nur mit derselben Unerbittlichkeit unterdrückt hat, die er auch nach außen zeigt. Das Scheitern ist die einzige Möglichkeit, die das Leben hat, um ihn auf sich selbst zurückzuwerfen. Und dann ist die Katastrophe vollkommen, denn er hat nichts in seinem Repertoire, was ihm im Versagen helfen könnte. Denn er hat die geheimnisvolle Kraft nicht erkannt, die darin liegt, sich den eigenen Schwächen zu stellen.

Es ist also nur die halbe Kraft, mit deren Hilfe der Held aus den Schatten der Vergangenheit herausgetreten und in ein neues Licht der Zukunft gekommen ist. Es ist nur die halbe Wahrheit des Heldenweges. Zum wirklichen Helden wird er erst, wenn er sich auch den Schatten stellt, die ihn aus der Vergangenheit mit begleiten, wohin auch immer ihn sein Weg führt.

Wenn er auf dem inneren Weg weiterkommen will, muss der Held sich also seiner Verletzlichkeit stellen. Er muss den Schmerz und die Angst in sich selbst spüren, die mit dem Schritt aus der früheren Abhängigkeit verbunden sind. Das Annehmen der Gefühle der Verletzlichkeit erst macht wirklich stark und unabhängig. Solange er sich diesen Gefühlen nicht gestellt hat, hängt der Held in unbewältigten Themen der eigenen Kindheit fest. Seine Taten geschehen aus Trotz und nicht aus Selbstbestimmung.

Sobald sich der Held den Gefühlen des Schattens stellt, erkennt er sein Schuldgefühl: Die Stimme, die ihm sagt, dass er Rücksicht nehmen muss und anderen nicht weh tun darf. Da er aber meint, dass das Brechen des äußeren Widerstandes keine Rücksichtnahme verträgt, meidet er tunlichst jedes Zugeben einer Schwäche. Hinter der Angst, andere zu verletzen, steckt die Angst vor Liebesverlust. Es ist ein kindliches Gefühl, das an die Erfahrungen aus frühen Beziehungen und deren Frustrationen und Traumatisierungen erinnert.

 „Hänschen klein, ging allein, in die weite Welt hinein...“

 Das ist der Held, der sich von den Fesseln der Kindheit befreit. Er muss eine Strecke des Weges alleine gehen, um sich zu beweisen, dass er die Abhängigkeiten gelöst hat. Er erobert eine neue Welt für sich, mit Stock und Hut. Er weiß, dass er damit Erwartungen enttäuscht und Verletzungen bewirkt. Doch vertraut er dem inneren Impuls, der ihn auf den Weg schickt.

 „Aber Mutter weinet sehr, hat ja nun kein Hänschen mehr, da besinnt sich das Kind, kehret heim geschwind.“

Hier bricht der Held seinen Emanzipationsweg ab, er spürt, wie das Schuldgefühl in ihm hochsteigt, und er ist noch nicht stark genug, ihm zu widerstehen. So kehrt er um in die Position des reumütigen Kindes, das der Mutter nicht weh tun will. Die alte Welt der bequemen und gewohnten Abhängigkeiten ist wieder hergestellt.

Doch irgendwann wird sich der Impuls wieder melden, der zum Ausbruch aus der Enge der Kindheit mahnt. Und irgendwann wird der Held zu seinem Impuls stehen und den Weg weiter als bis zur nächsten Kurve gehen, gleich, ob alle damit glücklich oder darüber traurig sind.

Er verweigert eine Form der Liebe, deren oberste Maxime darin liegt, anderen (z.B. der Mutter) keinen Schmerz zuzufügen und alles zu vermeiden, was den anderen verstören könnte. Diese Liebe beschränkt die Welt auf einen engen Kreis von Menschen, die sorgsam und unablässig aufeinander achten, sich bedingungslos unterstützen und sich auch untereinander behindern und in feststehenden Konventionen blockieren, wie wir es von der tribalen Bewusstseinsstufe kennen.

Stattdessen beruft sich der Held zunächst auf die Selbstliebe, auf den Egoismus, der ihm erlaubt, nur für sich selber einzustehen, rücksichtslos vorzugehen und die Gefühle anderer Menschen zu ignorieren. Er hat die Erfahrung gemacht, dass er nicht weiterkommt, sondern in seinem angestammten Platz festkleben bleibt, wenn er nur dem gehorcht, was andere für ihn wollen und für ihn (oder für sich selber) für gut befinden.

Der Schritt, den das Heldentum gebietet, verändert die Welt. Er verändert nicht nur die Welt des Helden, der ein neues Reich erobert, sondern auch die Welt derer, die er verlassen hat. Auch wenn sie enttäuscht und verletzt sind, auch wenn sie den Helden beschuldigen und sich selbst als Opfer fühlen, lernen sie mit der Zeit, mit der neuen Situation zurecht zu kommen und neue Kraft daraus zu schöpfen. So begegnen sie dem Helden, wenn er wieder in seine alte Welt zurückkehrt, als neue Menschen. Die alte Welt gibt es nicht mehr.

1 Kommentar:

  1. Danke für diesen großartigen Text, der für mich genau zur rechten Zeit aufgetaucht ist. Ich befinde mich gerade auf dem Weg der Heldin und ein paar Mal war ich schon drauf und dran, mich reumutig in den "Mutterschoß" zurückzubegeben... aber diese Texte und viele großartige menschen an meiner seite haben mich, wenn ich voller Ängste und mutlos war, wieder bestärkt darin, weiterzugehen. Der Weg der Heldin ist zunächst einmal ein sehr mühsamer und anstrengender, aber auch ein unglaublich kraftvoller Weg. Noch nie in meinem Leben habe ich mich so frei gefühlt. Zum ersten Mal trage ich selbst für mich und mein Leben und meine Lieben meine volle Verantwortung. Das fühlt sich unglaublich gut an.

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