Hier geht es um ungeordnete Gedankenspiele zu einem komplexen Thema, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, Stringenz oder Fachlichkeit.
Das Wirtschaftswachstum wird als ein wichtiger Kennwert für die „Gesundheit“ einer Volkswirtschaft angesehen. Wächst die Wirtschaft, kann nichts schiefgehen, und wir brauchen uns keine Sorgen zu machen, um die Wirtschaft und damit um uns selbst. So lautet die Botschaft.
Die Angst vor einem Rückgang der Wirtschaftsleistung ist so groß, dass der Ausdruck „Minus-Wachstum“ erfunden wurde, um die Worte „Schrumpfung“, „Verkleinerung“, „Abnahme“ zu vermeiden, die Ängste auslösen könnten. Wir freuen uns, wenn etwas größer wird, weil wir mit Leben Wachstum verbinden. Rückgang assoziieren wir mit Einschränkung, Schwächung, Verringerung. Wir wollen mehr und mehr und leiden, wenn zu wenig da ist oder wenn das, was da ist, weniger wird.
Der Kapitalismus gewinnt seine Überzeugungskraft aus der Naturmetapher des Wachstums und überträgt sie auf den Bereich der Dinge und Waren. Das ist sein Erfolgsrezept: Lebloses zu vermehren, indem Materie in Waren umgewandelt wird. Die Tatsache, dass Materie endlich ist, dass es also irgendwann einmal keine Waren mehr gibt, wird verdrängt. Der Kapitalismus feiert den Moment und ignoriert die Zukunft.
Wir denken, dass wir gesund sind, wenn unser Bankkonto wächst, wie wir denken, dass die Zimmerpflanze gesund ist, wenn sie neue Blätter und Blüten bekommt. Ein Wirtschaftssystem, das unser Einkommen und unseren Wohlstand wachsen lässt, erleben wir deshalb gesund und attraktiv.
Small is beautiful, ist der Gegenslogan von E.F.Schumacher gegen diese Einprägung (der Untertitel seines gleichnamigen Buches aus dem Jahr 1973 lautet: A Study of Economics as if People Mattered frei übersetzt: Eine Studie über die Wirtschaft, wenn man so tut, als ob in ihr die Menschen eine Rolle spielten.) Wir brauchen diesen Slogan dringend, weil die Wachstumsmetapher nur begrenzt für den Weiterbestand unserer Gesellschaft tauglich ist.
Relativ jung in der Geschichte sind die Phänomene des ungesunden Wachsen, z.B. des Bauches aufgrund von Überernährung, der Institutionen aufgrund der Überbürokratisierung, des Ressourcenverbrauches aufgrund des Überkonsums. Dafür hat sich der Ausdruck der Gesundschrumpfung eingebürgert. Wir wurden 1972 auf die „Grenzen des Wachstums“ aufmerksam gemacht, ein neues Konzept, das der ungehemmten Weiterentwicklung den Spiegel vorhielt. Wachstum geht nicht einfach weiter und weiter, sondern endet spätestens dort, wo es keine Rohstoffe mehr gibt, wo also die Quellen, die uns die Natur zur Verfügung stellt, erschöpft sind.
Trotz dieser Gegenströmungen, trotz des statistisch seit 50 Jahren feststellbaren kontinuierlichen Rückgangs der Wachstumsraten in den hochentwickelten Volkswirtschaften (wobei die krisenhaften Einbrüche weggerechnet werden) hängen wir immer noch am Konzept des quantitativen Wirtschaftswachstums fest: Die Wirtschaft wächst, wenn viele Waffen produziert und viele Medikamente geschluckt werden, und wenn viele Autounfälle und Naturkatastrophen passieren. Die Wirtschaft wächst nicht, wenn die Menschen keine Waffen und Medikamente brauchen oder Unfälle produzieren und wenn Katastrophen ausbleiben.
Wenn es uns gelingt, uns durch bewussteres Konsumieren von der Idee des quantitativen Wachstums abzukoppeln, bedeutet das keinen Stillstand oder Rückfall. Wachstum wird es immer geben, weil Menschen aus sich heraus kreativ sein und Neues entwickeln wollen. Doch sollte sich das Wachstum nicht am Ausmaß an Ressourcenvernichtung bemessen, sondern seinen Maßstab im Zuwachs an Qualität finden – der nur ungenau in Zahlen übersetzt werden kann.
Qualitatives Wachstum besteht darin, dass die Qualität des Lebens der Menschen ansteigt. Das kann sich daran zeigen, dass sie weniger Autofahren und mehr zu Fuß gehen, dass sie sich gesünder ernähren und weniger krank werden, und damit das materielle Wachstum reduzieren. Es kann sich aber auch daran zeigen, dass mehr Dienstleistungen im Wohlfühlbereich konsumiert werden, wie Massagen oder Duftaromen, Saunabesuche oder Fitnessstudios, dass die Menschen die emotionalen Lasten, die sie an der Lebenszufriedenheit hindern, in der Therapie aufarbeiten, dass sie Kunst konsumieren und dabei mehr von ihrer Innerlichkeit entdecken usw., womit auch das quantitative Wachstum stimuliert wird. Und es kann sein, dass mehr Bereiche entstehen, die sich weder so noch so auf das Wachstum auswirken.
Wir brauchen also qualititatives Wachstum, weil wir mehr Qualität in unserem Leben wollen und weil wir gern dazu beitragen: Alles, was wir mit Liebe und Leidenschaft machen, steigert die Lebensfreude und Zufriedenheit. Wir können als Menschen gar nicht anders, als zu wachsen – in dieser Qualität. Die quantitativen Bestrebungen dagegen können wir ohne Bedenken zurückfahren – je mehr wir uns in ihnen verlieren, desto größeren Schaden erleidet unsere Glücksfähigkeit.
Würde man sich selbst und unsere Zeitgenossen befragen, ob sie qualitatives oder quantitatives Wachstum in ihrem Leben bevorzugen, würden wohl die meisten sagen, dass ihnen die Qualität ihres Lebens wichtiger ist als die Menge an Besitztümern (außer jenen, die sagen, dass sie möglichst viele Güter wollen – und wofür? Dass sie eine besonders üppige Qualität in ihrem Leben haben.) Die peinlichere Frage wäre dann wohl, welche Handlungen im eigenen Leben dieser Steigerung der Qualität dienen und welche sie eher mindern. Da käme vielleicht raus, dass viele Aktivitäten gar keinen Bezug zur Verbesserung des Lebens haben, sondern in sich wenig Qualität aufweisen, aber sich aus der Hoffnung auf eine spätere Qualitätssteigerung motivieren.
Wir tun vieles, nicht weil es uns gut tut, sondern weil wir hoffen, dass, wenn wir es tun, es uns ein andermal gut gehen wird. Wir verbrauchen damit die Ressourcen des Moments (der immer mehr für uns auf Lager hat, als wir wahrnehmen können, z.B. den einfachen Genuss eines tiefen Atemzugs), die mit ihm verschwunden sind, ähnlich wie das quantitative Wachstum die Rohstoffe unwiederbringlich aufbraucht. Nur: der nächste Moment bietet sich wieder an mit all seinen Möglichkeiten, und es liegt an uns, sie zu ergreifen oder sie zu übersehen, weil wir auf ein verheißenes Glück irgendwo irgendwann fixiert sind.
Vgl.: Wirtschaft ohne Gier, Das System der Gier, Kultur der Gier
Vgl.: Wirtschaft ohne Gier, Das System der Gier, Kultur der Gier
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