Der Beginn des Lebens aus anorganischen Materialien vollzog
sich auf unserer Erde vor ca. 4 Milliarden Jahren. Damit beginnt eine spannende
Entwicklung, zu deren Verständnis wir zwei Ebenen unterscheiden können: Die
individuelle Lebensperspektive und die größere Weisheit des Lebens.
Zur Definition des Lebens gehört, dass sich die Lebewesen
als System von außen abschließen. Sie organisieren sich selbst (Autopoiesis nach
Maturana und Varela). Sie pflanzen sich fort und verfügen über einen Stoffwechsel.
Lebewesen sind also immer Individuen, die sich von ihren
Verwandten unterscheiden. Deshalb hat jedes Lebewesen auch seine eigene
Geschichte und sein individuelles Schicksal. Wiewohl alle Lebewesen mit anderen
verbunden sind, also immer in Kommunikation stehen mit der belebten und
unbelebten Außenwelt, haben sie, davon unterschieden, eine spezielle
Kommunikation nach innen, eine Selbstbezogenheit. Trotz der kommunikativen
Verbundenheit hat also jedes Lebewesen seinen „Privatbereich“.
Die andere Perspektive der Lebensintelligenz (die wir manchmal
Gaia nennen), begleitet diese individuellen Lebenswege und sorgt für die
Verbindung zueinander sowie für die Weiterentwicklung. Sie zeigt sich in der ordnenden
und weiterdrängenden Funktion in der Evolution.
Was können wir uns unter dieser Intelligenz vorstellen? Wenn
wir uns einen „einfachen“ Vorgang, wie den einer Zellteilung anschauen,
erkennen wir einen Plan mit genau festgelegten Schritten, die absolviert werden
müssen, damit die Teilung gelingt. Dieser kann nur ablaufen, wenn sich die
interne Kommunikation diesem Plan unterordnet. Würde sie sich in den Ablauf
einmischen, käme alles durcheinander, und die Teilung würde misslingen.
Ein Beispiel dafür ist auch die „Sprache“, über die jedes
Lebewesen in zumindest zweifacher (miteinander verschränkter, aber unterschiedlicher)
Hinsicht verfügt, nämlich die Verständigung mit der Umwelt und mit sich selbst.
Die Sprache als solche wird von dieser Intelligenz zur Verfügung gestellt, da die
Entstehung von Sprache nicht aus der Kreativität eines Individuums denkbar ist.
Im Entwicklungsplan des Lebens gibt es krisenhafte Momente,
die dann auftreten, wenn es darum geht, höhere Organisationsformen zu bilden. Die
Entwicklung des Lebens, das Wachstum, verläuft nicht linear, sondern
stufenförmig. Jede neue Stufe erfordert eine Umbildung innerhalb des
Lebewesens. Die individuelle Intelligenz verfügt dabei nicht über ein umfassenden
Verständnis dieses Ablaufes, weil sie nur über Erfahrungen aus der individuellen
Erinnerung verfügt, in der der neue Schritt eben noch nicht vorgekommen ist. Außerdem
unterliegen nicht alle Bedingungen und Unstände der individuellen Kontrolle. Deshalb
wird der Entwicklungsschritt als Krise erlebt, die mit Unsicherheit, Angst und
Verwirrung erlebt werden kann.
Nehmen wir die Geburt als Beispiel für einen derartigen
Entwicklungsschritt. Wenn wir die Geburt innerlich nacherleben, stoßen wir auf
Ängste, die auftauchen, wenn die Wehen einsetzen (zweite Geburtsphase nach Stan
Grof). Diese Ängste entstehen im individuellen Bewusstsein, und dabei verliert
es das Vertrauen im Bezug auf das größere Bewusstsein. Die Gaia-Intelligenz
hingegen weiß, dass eine Geburt nur stattfinden kann, wenn Wehen einsetzen. Sie
„kümmert“ sich nicht um die individuellen Ängste, sondern treibt die Geburt
weiter. Aus der individuellen Sicht sind die Ängste begründet, das Baby hat
keine Sicherheit, ob die Geburt gut verlaufen wird. Es kann die Umstände (die bewussten
und unbewussten Reaktionen der Mutter, die Eingriffe der Geburtshelfer usw.) nicht
kontrollieren und sich nicht auf die Lebensweisheit verlassen.
In Momenten, in denen das individuelle Bewusstsein in eine
Krise kommt und Angst empfindet, verliert es den Kontakt zur größeren Weisheit,
und dabei entwickelt sich das Ego. Wie es in vielen spirituellen Traditionen
heißt, zeigt sich das Ego in der Abspaltung des Einzelnen vom Göttlichen. Und
die Aufhebung der Spaltung liegt in der Hingabe an das Ganze.
Die biologische Basis dieser Einsichten können wir
introspektiv nachvollziehen, wenn wir die Innenerfahrung von Krisenmomenten wie
der Empfängnis, der ersten Zellteilung, der Geburt usw. nacherleben. Dann
kommen die Ängste, Widerstände, Zweifel und Irritationen zu Bewusstsein. Es ist
die Erfahrung, ganz auf sich allein gestellt zu sein, die Erfahrung des
schutzlosen und ausglieferten Egos, das dann z.B. beschließt: „Ich muss alles
alleine schaffen“ oder: „ich kann mich auf niemanden verlassen“ oder: „alleine
schaffe ich gar nichts“ usw.
Wir kommen damit auch zu einer neuen Definition von Trauma:
Es entsteht dann, wenn sich das individuelle Bewusstsein aufgrund einer als
krisenhaft erfahrenen Situation vom organischen Gesamtbewusstsein abspaltet und
wenn diese Krisenerfahrung nachträglich nicht entsprechend integriert werden
kann, wenn also in der individuellen Erinnerung die Abspaltung mitsamt all den
Angstgefühlen abgespeichert wird. Traumatische Erfahrungen sind also die
Wurzeln des Egos, und dieses setzt sich aus Traumaerinnerungen zusammen und
verarbeitet diese weiter zu seinen charakteristischen Mustern.
Wie geschieht dann die Heilung? Das individuelle und das organische
Gesamtbewusstsein finden wieder zusammen, indem sich das Ego mit all seinen
Ängsten und Verwirrungen der Gaia-Intelligenz hingibt. Wenn wir in der
Regression zu den Krisenpunkten unserer Entwicklung zurückgehen, lassen wir zu,
dass das Ego all seine Gefühle und Empfindungen voll erleben darf, und umfassen
sie zugleich mit dem Strom des Lebens, das weitergeht und alles in sich
aufnimmt, bis sich das aufgeregte und verstörte Ego beruhigt und im Ganzen
auflöst.
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