Sonntag, 4. März 2012

Im Unfrieden im Frieden sein

Wo herrscht Frieden auf dieser Welt? Schlagen wir eine Zeitung auf, schalten wir den Fernseher oder das Radio ein, werden uns die Megakonflikte präsentiert, von denen viele Jahr und Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte dahinschwelen. Und wir wissen, dass uns nur eine kleine Auswahl an Unfriedlichkeiten vorgeführt wird und dass es neben den „offiziellen“, CNN-fähigen Weltthemen viele mehr gibt, die es mangels Lobbying nicht in die Schlagzeilen schaffen.

Das ist die große Welt der Unfriedlichkeiten; dann gibt es unsere kleinere Welt , die verschiedenen Lebensbereiche, in denen wir uns bewegen, in denen es immer wieder Streit, Missgunst, Hass usw. gibt. Manchmal scheint ein Beziehungsfeld im Frieden, und schon bricht anderswo ein Streit aus, und wenn sich in einem Moment alles harmonisch und ruhig anfühlt, kann im nächsten etwas explodieren, das das Ganze durcheinander wirbelt.

Nicht viel anders zeigt sich unser Inneres. Mal fühlen wir uns wohl und im Einklang mit uns selber, dann fängt eine Auseinandersetzung in uns an, wir verspannen uns oder leiden körperlich oder emotional. Wir hadern mit einem Körperteil, der uns schmerzt, mit einem Gedanken, der uns plagt, mit Plänen, die wir nicht umsetzen und mit Bedürfnissen, die ungestillt bleiben.

In solchen Erfahrungen können wir erkennen, dass all diese Unfriedlichkeiten zusammenhängen und sich gegenseitig hochschaukeln. Jede innere Unpässlichkeit hat die Tendenz, sich als Belastung für Beziehungen auszudrücken, angespannte Beziehungen können sich störend auf größere Beziehungsnetze auswirken, die dann wiederum auf Mentalitäten und Kulturmuster Einfluss nehmen. So hängt vieles mit vielem, wenn nicht gar alles mit allem zusammen. 

Wie können wir im Frieden sein bei so viel Unfrieden? Ist das überhaupt sinnvoll? Sollten wir uns nicht permanent aufregen über all das Unrecht und die Grausamkeiten? Ist es nicht bloße Heuchelei und Vogelstraußverhalten, wenn wir den inneren Frieden suchen, während die Welt im Chaos versinkt? Was soll das für ein Friede sind, in einem Elfenbeinturm oder Wolkenkuckucksheim, auf einer illusionären Insel der Seligen? Wie können nach Auschwitz noch Gedichte geschrieben werden, fragte Theodor W. Adorno.

Erst wenn überall Friede herrscht, kann es Frieden im Einzelnen geben, so die Position der Skeptiker. Nochmals Adorno: „Es gibt kein richtiges Leben im falschen“. Allerdings, wenn es erst etwas Richtiges gibt, wenn es überhaupt nichts Falsches mehr gibt, können wir lange auf das Richtige warten. Wenn es erst Frieden geben kann, sobald aller Unfriede beseitigt ist, verrennen wir uns in eine fixe Idee. Wir warten auf einen absoluten Frieden, auf eine durch und durch heile Welt. Wir tun so, als wäre das möglich, wenn auch weit, weit in der Zukunft. Und als wäre vorher nichts möglich.

Doch der absolute Friede ist eine Geburt unseres Denkvermögens, die wir nicht zu einem Ding machen dürfen, das es irgendwann einmal zu bestaunen geben wird. Vielmehr genügt es, diesen absoluten Frieden als „regulative Idee“ im Sinn von Immanuel Kant anzunehmen: Etwas, wo wir hin wollen, etwas, was uns nicht  ruhen lässt, ehe es nicht verwirklicht ist. 

Die Idee des ewigen oder absoluten Friedens dürfen wir nicht loslassen oder verwässern, aber wir dürfen sie auch nicht dafür missbrauchen, an der Entwicklung der Welt zu verzweifeln. Wir können sie als Spannung erleben, die uns nicht lähmt, sondern kräftigt und im Weitergehen antreibt, wie die Kraft, die im Weiterdrängen der Evolution des Bewusstseins sichtbar wird.

Wir sollten nichts unversucht lassen, immer wieder Verbindung zu dieser Kraft aufzunehmen, es ist die Kraft des Lebens selbst, die uns weiterführen will. Und nur wir selber sind in der Lage, diesen Strom mit einem ganz besonderen Punkt in Kontakt und in Austausch zu bringen, zu dieser einen Stelle im unermesslichen Netz, zu der wir einen ganz intimen und einzigartigen Zugang haben, weil wir das selber sind. Dort können wir den Frieden entstehen und wachsen lassen, sodass er größer wird und sich ausbreitet, ansteckend wird und verführerisch.
 
Inmitten des Unfriedens, wie in dem Foto, das den Chellisten in der ausgebombten Stadtbibliothek von Sarajewo beim Spiel zeigt – Symbolträger für das, was kein Krieg zu zerstören vermag, den Geist und die Schwingung des Menschlichen in intimer Eintracht mit dem Unendlichen und der jenseitigen Schönheit. Dieser Friede ist sanft und leise, er geht leicht unter im Geschrei und in der Verwirrung der Ängste, doch ist er beharrlich und unzerstörbar, weil er tief unter allem wohnt, was in Unfrieden geraten kann.

 Quelle: en.wikipedia.org

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