Wo herrscht Frieden auf dieser Welt? Schlagen wir eine Zeitung
auf, schalten wir den Fernseher oder das Radio ein, werden uns die
Megakonflikte präsentiert, von denen viele Jahr und Jahrzehnte, wenn nicht
Jahrhunderte dahinschwelen. Und wir wissen, dass uns nur eine kleine Auswahl an
Unfriedlichkeiten vorgeführt wird und dass es neben den „offiziellen“,
CNN-fähigen Weltthemen viele mehr gibt, die es mangels Lobbying nicht in die Schlagzeilen
schaffen.
Das ist die große Welt der Unfriedlichkeiten; dann gibt es
unsere kleinere Welt , die verschiedenen Lebensbereiche, in denen wir uns
bewegen, in denen es immer wieder Streit, Missgunst, Hass usw. gibt. Manchmal
scheint ein Beziehungsfeld im Frieden, und schon bricht anderswo ein Streit aus, und
wenn sich in einem Moment alles harmonisch und ruhig anfühlt, kann im nächsten etwas
explodieren, das das Ganze durcheinander wirbelt.
Nicht viel anders zeigt sich unser Inneres. Mal fühlen wir
uns wohl und im Einklang mit uns selber, dann fängt eine Auseinandersetzung in uns an, wir
verspannen uns oder leiden körperlich oder emotional. Wir hadern mit einem
Körperteil, der uns schmerzt, mit einem Gedanken, der uns plagt, mit Plänen,
die wir nicht umsetzen und mit Bedürfnissen, die ungestillt bleiben.
In solchen Erfahrungen können wir erkennen, dass all diese Unfriedlichkeiten
zusammenhängen und sich gegenseitig hochschaukeln. Jede innere
Unpässlichkeit hat die Tendenz, sich als Belastung für Beziehungen auszudrücken, angespannte
Beziehungen können sich störend auf größere Beziehungsnetze auswirken, die dann
wiederum auf Mentalitäten und Kulturmuster Einfluss nehmen. So hängt vieles mit
vielem, wenn nicht gar alles mit allem zusammen.
Wie können wir im Frieden sein bei so viel Unfrieden? Ist
das überhaupt sinnvoll? Sollten wir uns nicht permanent aufregen über all das
Unrecht und die Grausamkeiten? Ist es nicht bloße Heuchelei und
Vogelstraußverhalten, wenn wir den inneren Frieden suchen, während die Welt im
Chaos versinkt? Was soll das für ein Friede sind, in einem Elfenbeinturm oder
Wolkenkuckucksheim, auf einer illusionären Insel der Seligen? Wie können nach
Auschwitz noch Gedichte geschrieben werden, fragte Theodor W. Adorno.
Erst wenn überall Friede herrscht, kann es Frieden im
Einzelnen geben, so die Position der Skeptiker. Nochmals Adorno: „Es gibt kein
richtiges Leben im falschen“. Allerdings, wenn es erst etwas Richtiges gibt,
wenn es überhaupt nichts Falsches mehr gibt, können wir lange auf das Richtige warten. Wenn es erst
Frieden geben kann, sobald aller Unfriede beseitigt ist, verrennen wir uns in
eine fixe Idee. Wir warten auf einen absoluten Frieden, auf eine durch und
durch heile Welt. Wir tun so, als wäre das möglich, wenn auch weit, weit in der
Zukunft. Und als wäre vorher nichts möglich.
Doch der absolute Friede ist eine Geburt unseres
Denkvermögens, die wir nicht zu einem Ding machen dürfen, das es irgendwann
einmal zu bestaunen geben wird. Vielmehr genügt es, diesen absoluten Frieden
als „regulative Idee“ im Sinn von Immanuel Kant anzunehmen: Etwas, wo wir hin
wollen, etwas, was uns nicht ruhen
lässt, ehe es nicht verwirklicht ist.
Die Idee des ewigen oder absoluten
Friedens dürfen wir nicht loslassen oder verwässern, aber wir dürfen sie auch
nicht dafür missbrauchen, an der Entwicklung der Welt zu verzweifeln. Wir
können sie als Spannung erleben, die uns nicht lähmt, sondern kräftigt und im
Weitergehen antreibt, wie die Kraft, die im Weiterdrängen der Evolution des
Bewusstseins sichtbar wird.
Wir sollten nichts unversucht lassen, immer wieder
Verbindung zu dieser Kraft aufzunehmen, es ist die Kraft des Lebens selbst, die
uns weiterführen will. Und nur wir selber sind in der Lage, diesen Strom mit
einem ganz besonderen Punkt in Kontakt und in Austausch zu bringen, zu dieser
einen Stelle im unermesslichen Netz, zu der wir einen ganz intimen und
einzigartigen Zugang haben, weil wir das selber sind. Dort können wir den
Frieden entstehen und wachsen lassen, sodass er größer wird und sich
ausbreitet, ansteckend wird und verführerisch.
Inmitten des Unfriedens, wie in dem Foto, das den Chellisten
in der ausgebombten Stadtbibliothek von Sarajewo beim Spiel zeigt –
Symbolträger für das, was kein Krieg zu zerstören vermag, den Geist und die
Schwingung des Menschlichen in intimer Eintracht mit dem Unendlichen und der
jenseitigen Schönheit. Dieser Friede ist sanft und leise, er geht leicht unter
im Geschrei und in der Verwirrung der Ängste, doch ist er beharrlich und
unzerstörbar, weil er tief unter allem wohnt, was in Unfrieden geraten kann.
Quelle: en.wikipedia.org
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