Hier möchte ich ein paar Gedanken zur Rolle des Körpers in
den ersten drei Stufen der Bewusstseinsevolution entwickeln.
Auf der ersten, der tribalen Stufe, ist das Verhältnis von
Mensch und Körper noch ganz einfach. Diese Stufe ist die körperlichste von
allen. Denn die Beziehung zum eigenen Körper und zu den Körpern der anderen ist
so direkt und unmittelbar, wie sonst auf keiner der folgenden Stufen. Es gibt
noch wenige kulturelle Imprägnierungen des Körpers. Da diese Stufe durch eine
fast intime Nähe von Mensch und Natur gekennzeichnet ist, werden auch die
Körper als Teil der Natur erfahren und in Ritualen gefeiert. Allerdings ist die
Nähe keine Einheit, der Unterschied besteht und ist ebenfalls Gegenstand von
Ritualen.
Auf der zweiten emanzipativen Stufe gewinnt die Bekleidung
des Körpers, also seine Verhüllung größere Bedeutung. Damit wird die
Vergrößerung des Abstandes zur Natur zum Ausdruck gebracht. Es geht ja auch um
die Emanzipation aus der Kontrolle durch die Natur. Wie sich die Menschen
Häuser bauen, um sich vor den Unbilden der Natur zu schützen, werden auch die
Körper von Hüllen umgeben, zum Schutz und zur Symbolisierung, dass die Körper
jetzt nicht mehr der Natur gehören. Der Eigentumsbegriff, der auf dieser Stufe
eingeführt wird, hinterlässt auch auf den Körpern der Menschen seine Spuren. In
der Sklaverei werden Menschen und damit vor allem ihre Körper in Besitz
genommen. Für den Freien ist der Körper sein Eigentum, das er aber auch
verlieren kann.
Mit der Konzentration und Verkleinerung der Familie, die auf
dieser Stufe stattfindet, werden die Besitzansprüche in den Geschlechtsbeziehungen
verstärkt. Der trojanische Krieg wird durch einen „Frauenraub“ Helenas durch
Paris ausgelöst. Auf Wikipedia heißt es dazu: „Helena galt als die schönste
Frau ihrer Zeit. Ihre Schönheit soll so groß gewesen sein, dass jeder Mann, der
sie sah, Helena besitzen wollte.“ Selbst der Wikipedia-Erzähler berschreibt das
Begehren einer Frau durch einen Mann als den Wunsch nach Besitz. Frauenkörper
werden zum Eigentum der Männer. Bei Verletzung des Eigentumsrechtes gibt es
Krieg (selbst wenn „das Eigentum“ dem Besitzerwechsel zugestimmt hat).
Die männliche Dominanz, die in den homerischen Epen im
Bewusstsein schon fest verankert ist, hat keine andere Begründung als die
überlegene Körperkraft, die für die emanzipatorischen Großtaten notwendig war.
Damit verschärfen und vertiefen sich die Unterschiede unter den Geschlechtern.
Diese Neubewertungen und Kategorisierungen legen sich über die Körper wie die
Kleider, die sie verhüllen und schleichen sich in die Körper ein, um ihren Lebensausdruck
zu prägen.
Der Männerkörper wird freigespielt (in Spiel und Sport),
weil er die Abenteuer bestehen muss, während der Frauenkörper den
Besitzansprüchen untergeordnet wird. Deshalb wird der letztere umfangreicher
verhüllt, manchmal bis zur völligen Verbergung. Die griechischen Männer
vollzogen ihre olympischen Wettkämpfe nackt, die Frauen waren dabei nicht
einmal anwesend. Mit dieser Freilegung des Männerkörpers (und auch mit seiner
Ästhetisierung in der griechischen Kunst) einher geht die Entfesselung des
männlichen Gefühlskörpers, insbesondere der Wut. Zugleich findet eine
Einschränkung statt, denn der männliche Körper ist nur in seiner aggressiven
Form brauchbar, während seine Verletzlichkeit nicht gefragt ist. Der
Männerkörper hat zwei widerstrebende Aspekte zu vereinigen, die Öffnung für die
Energie der Wut und die Abschottung gegen die des Schmerzes. Das ist das
Programm der Körpererziehung und Körperbildung für die weitere Geschichte, und
das ist die Geburt des Macho-Körpers.
Der Frauenkörper erfährt die gegenteilige Prägung – die
Freilegung der Verletzlichkeit und die Unterdrückung der Aggression.
Möglicherweise sprechen hormonelle und andere organische Dispositionen für die
Plausibilität dieser Unterscheidung, doch werden sie im emanzipatorischen
Bewusstsein polarisiert und festgeschrieben, d.h. die Mittelbereiche der
Streuung – weniger aggressive Männer und weniger verletzliche Frauen – müssen
sich den Polen zuschlagen. Dieser Prozess des Auseinanderdrängens der nach
Geschlecht unterschiedenen Körper wird in die verschiedenen Bereiche der Gesellschaft
und Kultur übersetzt. Eine Folge ist, dass die Frauenkörper faktisch weitgehend
aus der Öffentlichkeit verschwinden.
Wir können nur spekulieren, ob sich durch diese kulturellen
Zuschreibungen die Körper selbst verändert haben; nach den Erkenntnissen der
Epigenetik ist das durchaus denkbar – dass also durch den sozialen Druck zur
Polarisierung die Frauenkörper „weiblicher“ und die Männerkörper „männlicher“
geworden sind. Jedenfalls wurden Zwischenbereiche, die sich z.B. in der
Homosexualität ausdrücken, massiven Sanktionen ausgesetzt, während die
verkörperten Pole, die starken Männer und die schwachen Frauen, Karriere machen
konnten und zu prägenden Stereotypen wurden.
Die Körper auf der dritten Stufe der Bewusstseinsevolution
Die oben skizzierte Entwicklung des Auseinanderdriftens der
geschlechtlich differenzierten Körper in der zweiten Stufe der
Bewusstseinsentwicklung wird in der dritten, der hierarchischen, fortgesetzt
und institutionalisiert, z.B. durch kirchliche Verbote des Waffentragens für
Frauen.
Es geht jetzt darum, die Körper der Macht der Bürokratie
unterzuordnen und sie in das Über- und Unterordnungssystem einzupassen. Da
Körper als solche nicht einfach formbar sind, muss die Bekleidung der sozialen
Differenzierung dienen. Zu diesem Zweck gibt es in vielen Kulturen
Kleiderordnungen, die die öffentliche Darstellung der sozialen Stellung einer
Person regeln. „Kleider machen Leute“ und machen auch Körper – das Tragen
bestimmter Kleidungsstücke formt die Körper und die Körpersprache der
Bekleideten. Ein König kann nicht irgendwie gekleidet sein und sich nicht
irgendwie bewegen, sondern hat sich an die vorgesehenen Normierungen zu halten.
Er hat sich imponierend und majestätisch zu bewegen, sonst ist er der
Lächerlichkeit preisgegeben und muss um seine Macht fürchten.
Ähnliches gilt
auch für die Angehörigen des Adelsstandes, in abgestufter Form. Die Formung der
Körpersprache reicht hinein in die verbale Sprache, die auch solchen Normen
folgt. Ein gutes Beispiel ist dafür England nach der Invasion durch die
Normannen, die eine neue Herrschaftssprache mitbrachten. Ein Engländer hat mir
einmal erzählt, dass die sprachlichen Feinregulierungen zur sozialen
Differenzierung nach wie vor in Geltung sind und genutzt werden, sodass jeder
Engländer „hören“ kann, aus welcher Schicht eine Person kommt. Ähnliches gilt
sicher auch für andere Kulturen, wenn auch die Tendenz zur Einebnung solcher Unterschiede
im Zug der Demokratisierung im Laufen ist.
Die Untertanen haben eine Untertanenhaltung einzunehmen, mit
der sie eine jederzeitige Unterwerfung signalisieren. Diese ist uns so
eingeprägt, dass sich unsere Nackenmuskeln anspannen, um den Kopf zu senken,
wenn wir Vorgesetzte treffen. Der Schuster hat bei seinem Leisten zu bleiben,
und nur im Märchen wird der Müllerssohn zum König.
Es geht dabei auch um die Fesselung des Gefühlskörpers. Er
darf der Herrschaftshierarchie nicht in die Quere kommen und muss kontrolliert
werden. Auf die Aggressionsenthemmung der zweiten Stufe folgt die
Aggressionshemmung auf der dritten. Damit sollen die Menschen massentauglich
gemacht werden, also in die Lage versetzt werden, in einer Großgesellschaft zu
funktionieren. Und dazu ist es wichtig, genau den eigenen Rang und den der
anderen in der Hierarchie zu kennen, ähnlich wie die Inder trotz offizieller
Abschaffung des Kastenwesens die Kastenzugehörigkeit jedes Gesprächspartners
sofort erkennen.
Die Verfügung über den Körper wird öffentlich kundgemacht durch
die grausamen Bestrafungen von Verbrechern und „Regimegegnern“, die der
Bevölkerung nicht nur zeigen sollen, dass der Staat, der Herrscher, den
Untertanen das Leben wegnehmen kann, sondern dass er die Verfügungsmacht über
ihre Körper hat, mit denen er tun und lassen kann, was er will. Die Verbreitung
der Folter für die Wahrheitsfindung in der Justiz ist ein weiteres Zeichen für
den ungehemmten Zugriff des Staates auf die Körper der Menschen. Wenn der
Verdächtige nicht freiwillig die Wahrheit sagt, wird sie aus seinem Körper
heraus gepeinigt.
Erwähnenswert ist noch der Einfluss des Christentums auf die
Körperformung im hierarchischen Bewusstsein. Unter dem Einfluss des
Manichäismus, einer Glaubensrichtung aus dem vorderen Orient, nahm die
Leibfeindlichkeit Einzug ins frühe Christentum, mit Folgen bis in unsere Zeit,
vor allem in der katholischen Kirche. Der Körper galt als sündig und unrein.
Die Frauenkörper erfahren auf dieser Stufe bis ins Absurde
gehende Verformungen. Die spanische Mode des 16. Jahrhunderts z.B. sollte den
Frauenkörper derart einschnüren, dass er ein streng geometrisches Aussehen
erreichte, zwei auf ihren Spitzen ruhende Dreiecke mit einem Kreis obenauf. Ein
anderes Beispiel bieten die verunstalteten Füße der chinesischen Frauen, die
mit diesem „Schönheitsmerkmal“ ihre Fortbewegungsfähigkeit einbüßten.
Jede selbständige Möglichkeit des Ausdrucks soll unterbunden
werden, für die Frauen noch stärker als für die Männer. Die körperliche Leidenschaftlichkeit
hat keinen Platz in der Öffentlichkeit, und die Gewissensprägung durch die
Religionen sorgen zusätzlich dafür, dass auch im Privaten oder Intimen
intensive Gefühlserregungen mittels Schuldgefühlen gedrosselt werden. Deshalb ist
es nicht verwunderlich, dass viele Menschen (bis heute) den Körper als
Gefängnis der Seele erleben und diese Verkümmerung der freien Lebendigkeit manchmal
noch als spirituelle Erkenntnis verbrämen.
Die Befreiung des Körpers muss warten. Auch die vierte
Bewusstseinsstufe, die den Körper für die Produktionsprozesse in Dienst nimmt,
verheißt der körperlichen Freiheit nichts Gutes, im Gegenteil, die Ausbeutung
der Arbeitskraft im Kapitalismus ist vor allem eine Ausbeutung der Körper bis
an den Rand des Zusammenbruchs. Erst auf der fünften Stufe des
personalistischen Bewusstseins wird langsam und vorsichtig der Körper wieder
entdeckt und seine Lebendigkeit zurückgewonnen.
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