Freitag, 11. April 2025

Weltmacht ohne Mitgefühl

Bei einer geleiteten Meditation in der Natur, an der ich kürzlich teilgenommen habe, wurde ein Text vorgelesen, in dem neben vielen schönen und erhebenden Worten zweimal „Amerika“ erwähnt wurde. Mir wurde in dem Moment bewusst, wie sehr sich das Wort „Amerika“ in wenigen Wochen in meiner Gefühlswahrnehmung von neutral bis leicht positiv in einen extrem schlechten Bereich verschoben hat. Es löst Gefühle von Ekel bis Abscheu, Ärger und Unsicherheit aus.

Mir ist klar, dass Amerika viel, viel mehr als die USA ist und auch, dass das, was gegenwärtig in diesem Land geschieht, von vielen US-Bürgern abgelehnt wird. Aber die Mächtigsten im Land zählen auch zu den Mächtigsten auf dieser Welt, und ihre Einstellungen und die daraus folgenden Handlungen haben zum Teil massive Auswirkungen auf große Teile der Weltbevölkerung. Darum kann es uns nicht egal sein, was in den Machtzentren der USA abläuft und welche Absichten jene haben, die an den Schalthebeln sitzen.

Mein erstes Amerikabild war geprägt von den Erzählungen der Erwachsenen in meiner Kindheit, und das war überwiegend positiv, vor allem im Gegensatz zu den Russen, die als barbarisch und bedrohlich geschildert wurden – eine Mischung aus realen Erfahrungen mit vergewaltigenden russischen Soldaten und solchen, die die Armbanduhren in der Bevölkerung abkassierten und aus der Nazi-Propaganda, die viel Hass und Angst auf die „bolschewistischen Untermenschen“ schürte.

Über das Bild der zuckerlverteilenden amerikanischen Besatzungssoldaten legte sich später das des „hässlichen Amerikaners“, gespeist aus den Bildern und Debatten um den Vietnamkrieg. Der US-General, der damals drohte, ganz Vietnam „zurück in die Steinzeit“ zu bomben, steht als Symbolfigur für ein rücksichtsloses und gewaltbereites Land, dem viele damals wünschten, mit ihrer überheblichen und menschenverachtenden Politik zu scheitern, was auch in Vietnam geschah und als kollektives Trauma bis heute im Selbstbild der US-Amerikaner nachwirkt. Auch weltweit hat dieser Krieg zu einem Prestigeverlust für die Staaten geführt. Das Misstrauen gegen die machtgierigen Amerikaner ist bei vielen Linksgerichteten weit verbreitet und tief verwurzelt. Es spielt beispielsweise bei der Beurteilung der Ursachen des Ukrainekrieges mit. Die Sichtweise, dass in diesem Fall Russland als Angreifer die alleinige Verantwortung und Schuld am Kriegsausbruch trägt, wird von vielen Linken, auf der Grundlage eines notorischen Misstrauens in die Machtambitionen der USA, in Frage gestellt. Es gibt aus diesem Blickwinkel verschiedene Narrative, die in den USA und der von ihr dominierten NATO die Hauptverursacher dieses blutigen Konflikts sehen.

Die Ambivalenz, Mehrdeutigkeit und Vielschichtigkeit des Amerikabildes, die sich in meiner Beurteilung im Lauf der wechselhaften Geschichte der letzten Jahrzehnte niedergeschlagen hat, ist nun durch die jüngsten Ereignisse übertönt worden. Es scheint kaum zu glauben, wie schnell die Demokratie in den USA kollabieren kann, wenn ein selbstbesessener Präsident skrupellos sein autoritäres Programm durchzieht. Es ist viel die Rede von einer Schockstarre, in die die nunmehrige Opposition und die Zivilgesellschaft gefallen wären, überrollt vom Dauerfeuer aus dem Weißen Haus. Aber nun mehren sich die Anzeichen von Widerstand – mit wenig Aussicht auf Erfolg.

Für viele Generationen von Menschen auf der Welt galten die USA über lange Zeit als Symbol einer Freiheitsverheißung. Doch das Land der unbegrenzten Möglichkeiten hat zur Zeit nur eine etwas weniger brutale Kopie von Hitlerdeutschland zu bieten: Militärische Hochrüstung, Unterdrückung der Meinungsfreiheit, Machtlosigkeit des Parlaments, Gängelung der Justiz, aggressive Außenpolitik, Rassismus und Ausgrenzung von Minderheiten.

Macht ohne Verantwortungsübernahme

Die USA sind aus der Menschheitsgemeinschaft ausgeschert, weil sie laut gegenwärtiger Regierung auf keinen Fall mehr Verantwortung tragen wollen außer für die von der eigenen Ideologie diktierten engstirnigen Maßnahmen, die angeblich Amerika groß machen sollen. Bei der Erdbebenkatastrophe in Myanmar sind die amerikanischen Hilfsteams ausgeblieben, vor Ort waren die Chinesen und Russen, die in dieser Hinsicht die USA an gelebter Empathie weit in den Schatten gestellt haben.

Der US-Regierung ist der Preis egal, der durch ihre Maßnahmen bezahlt werden muss – in der eigenen Bevölkerung, die unter dem Kahlschlag in der Verwaltung und im Gesundheitssystem sowie unter den Folgen der Zollpolitik leiden muss. Noch weniger schert man sich darum, wie es dem Rest der Welt mit den willkürlichen Maßnahmen geht (das bettelarme Bangla-Desh wird mit 74% „Strafzöllen“ belegt, weil es mehr Waren nach den USA liefert als umgekehrt, denn dort können sich nur wenige einen Tesla oder einen Whiskey kaufen. Tausende werden dort um ihre Arbeit und ihre Existenz gebracht). Soviel offensichtliche Selbstsucht und Rücksichtslosigkeit haben in der Geschichte der Menschheit nur skrupellose Diktatoren gezeigt, die allesamt letztlich katastrophal gescheitert sind, eine Spur der Zerstörung hinterlassend.

Macht ist in der Regel mit Verantwortung verbunden, viel Macht mit viel Verantwortung. Diese einfache Gleichung war den bisherigen Präsidenten der USA zumindest ansatzweise bewusst. Der jetzige Präsident fühlt sich offenbar nicht mehr daran gebunden und kehrt sie um: Je mehr Macht, desto weniger wird die Verantwortung für die Folgen der Machtausübung wahrgenommen, sowohl im eigenen Land als auch auf der ganzen Welt. Die Folgen sind bei weitem nicht abschätzbar, aber nach dem, was sich jetzt schon abzeichnet, sind die Aussichten trübe. Die Ökonomen sagen einhellig, dass es bei dem entfachten Zollkrieg nur Verlierer gibt; diese Erkenntnis gilt vermutlich für all die anderen Politikbereiche ebenso, in denen sich die Zerstörungswut des Präsidenten und seiner Gefolgsleute austobt.

Aus Katastrophen lernen

Die Erfahrung mit Rückschritten und Rückfällen in vormoderne, um nicht zu sagen primitiv barbarische Formen der Politik im Lauf der neueren Geschichte zeigt, dass nach der Überwindung der dadurch ausgelösten Katastrophen neue Anläufe zu mehr Menschlichkeit und zur Übernahme von globaler Verantwortung unternommen wurden. Jede Katastrophe löst unweigerlich Lernprozesse aus; mit mehr Vernunft und Bewusstheit könnte oder sollte es freilich die Menschheit schaffen, auch ohne Katastrophen die notwendigen Lernschritte zu setzen.

Die Beseitigung der Empathie, also der Mitmenschlichkeit im Bewusstsein der gegenseitigen Verantwortung für das Wohlbefinden der jeweils anderen, schlägt irgendwann hart auf dem Boden der Realität auf. An diesem Punkt wird plötzlich in aller Deutlichkeit bewusst, worum es eigentlich geht in den menschlichen Angelegenheiten. Wie ein Verbrecher, der im Gefängnis versteht, dass ihn das Ausleben des Bösen nicht glücklich gemacht hat, erkennen viele Menschen im Scheitern, dass sie sich im verantwortungslosen Verfolgen der Selbstsucht nur tiefer in die Selbstbezogenheit verstricken, die irgendwann unweigerlich in Verzweiflung und Sinnlosigkeit endet. Die Tragik der menschlichen Geschichte liegt darin, dass diese Erkenntnis oft erst zugänglich wird, wenn alles, was das Ziel der egoistischen Bestrebungen war, in Trümmer zerfallen ist. Das Ego will sich erst verabschieden, wenn es alles ruiniert hat, was es sich erträumte. Wo die Identifikation mit dem Ego so mächtig ist, gelingt ein Ausbruch aus seinen Fängen nur im Scheitern, im Zusammenbruch; tragisch wird es dann, wenn viele andere in diesen Strudel hineingezogen werden, wie z.B. im Ende des Großdeutschen Reiches in den Ruinen und Schuttbergen der deutschen Städte.

Mit unserer genetischen Grundausstattung kommen wir nicht über unser Ego hinaus, das sich höchstens auf ein Gruppenego ausweitet: Das Bindungshormon Oxytocin wirkt nur im vertrauten Umkreis und schürt Misstrauen gegen alles Fremde. Studien haben herausgefunden, dass die Empathie mit Machtgewinn schwächer wird. Je mehr Geld, desto mehr Macht, desto weniger Empathie – so will uns offenbar die Natur. Sie hat allerdings nicht mit den riesigen Anhäufungen von Geld und Macht gerechnet, die in der modernen Zeit durch den Kapitalismus möglich wurden. Die Natur hat uns allerdings auch eine enorme Lernfähigkeit mitgegeben, die wir nutzen können, um unsere Vernunft auszubilden. Sie ist in der Lage, das Ego und seine selbstdestruktiven Impulse zu durchschauen und zu überwinden.

Erst wo die Vernunft das Ego einzuschränken vermag, wird ein Handeln möglich, das von Verantwortung getragen ist. Die Vernunft vermag über den Tellerrand der eigenen individuellen und kollektiven Bedürfnisse schauen und ist offen für ein universelles Mitgefühl, also für ein Verständnis des Leides der gesamten Menschheit.

Zur Universalität des Mitgefühls:
Natan Sznaider: Politik des Mitgefühls. Die Vermarktung der Gefühle in der Demokratie. 
Weinheim: Beltz Juventa, 2021

Zum Weiterlesen:
Musk: "Empathie - eine Schwäche der westlichen Zivilisation"
Der heroisierte Verzicht auf Empathie
Der Propagandatrick der Umkehrung
Taktiken zur Machtergreifung
Muster der rechtsorientierten Propaganda

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