Donnerstag, 23. Januar 2025

Die Emotionalisierung der Politik

Der Kapitalismus und der Druck auf seine Akteure

Der Kapitalismus hat die Demokratie befördert, weil sie dazu beigetragen hat, die traditionellen Produktions- und Handelshemmnisse zu beseitigen. Zwar sind durch die Verallgemeinerung des Wahlrechts linke Parteien entstanden, die sich für die Rechte der Schwächeren und Benachteiligten eingesetzt haben. Der Kapitalismus hat seine Anpassungsfähigkeit unter Beweis gestellt, sodass im Rahmen von stabilen Demokratien mehr Gewinne erwirtschaftet werden konnten als unter autoritären Systemen. Die sozialistischen Parteien haben sich an den Kapitalismus angepasst und Rahmenbedingungen geschaffen, innerhalb derer die hemmungslose Ausbeutung der Arbeitskraft eingeschränkt wurde, was sich langfristig auf die Produktivität ausgewirkt hat, weil resilientere und motiviertere Arbeitskräfte besser arbeiten. Die kommunistischen Bewegungen haben versucht, den Individualkapitalismus durch einen Staatskapitalismus zu ersetzen, ohne damit Verbesserungen für die Menschen zu erreichen. Die höhere soziale Sicherheit, also der Schutz vor Arbeitslosigkeit, wurde mit einer drastischen Verringerung der Freiheitsrechte erkauft, die zur Demotivation der Bevölkerung beigetragen hat. Deshalb sind die kommunistischen Regime in Osteuropa nach 1989 sang- und klanglos untergegangen. Andere kommunistische Staaten, vor allem China, haben den Kapitalismus stark aufgebaut, ohne die politischen Freiheiten zu lockern.

Unabhängig vom System des Kapitalismus lastet der Erwerbsdruck auf den Menschen mit der Zumutung, die eigene Existenz mit Leistungen für das Wirtschaftssystem zu sichern. In unseren Breiten haben wir uns daran gewöhnt, dass der Staat ausgleichend eingreift, wenn jemand die Forderungen der Existenzsicherung nicht schafft. Das Credo des Sozialstaates besagt, dass niemand völlig durch den Rost fallen darf, nach dem Prinzip der Solidarität. 

Depression und Aggression als Reaktion

Wenn es nicht oder nur schwer und unter Entbehrungen gelingt, die eigene Existenz und/oder die der eigenen Familie zu sichern, entsteht Verzweiflung und Scham. Es gibt zwei Hauptrichtungen, mit dieser Schambelastung umzugehen. Die eine besteht im depressiven Rückzug. Menschen verstecken oft ihre Armut vor anderen, um der Beschämung zu entgehen. Die andere äußert sich in Forderungen an das politische System, Abhilfe zu leisten, und im Zorn auf dieses System bzw. auf dessen Repräsentanten, wenn das nicht geschieht. Da kommen dann Politiker gerade recht, die versprechen, das System als Ganzes umzukrempeln, falls sie an die Macht kommen. Besonders wirksam scheint es, wenn dieser Angriff auf das System mit Aggressivität vorgebracht wird. So scheint es, dass diese Politiker nicht nur Verständnis für die prekäre Lage der Schlechtergestellten oder der von Schlechterstellung bedrohten Personen aufbringen, sondern auch die Wut auf die herrschenden „Eliten“ teilen. Oft wird dabei die politische Wut mit Tatkraft und rationaler politischer Kompetenz verwechselt. Jemandem, der auf den Tisch hauen kann, wird zugetraut, in der Politik zum eigenen Wort zu stehen und umzusetzen, was er verspricht.

Auch diejenigen, die mit Rückzug und Depression auf die Bedrohung der wirtschaftlichen Existenz reagieren, können in aggressiv auftretenden Politikern eine Hoffnung finden. Oft entsteht die Depression aus der Unterdrückung von Wutgefühlen. Die unterdrückten Emotionen werden in den Wutpolitikern wiedergefunden und bewundert. Sie bieten gleichsam einen Ausweg aus der eigenen Gefühlsmisere, der ja darin bestehen könnte, die eigene Wut zu spüren. Da diese jedoch von einer starken Scham bedeckt sein kann, findet gerade der unverschämt aggressive Politiker besondere Verehrung und Gefolgschaft.

Die Zerstörung der politischen Kultur

Solche Gefühlsdynamiken können wir hinter dem stetigen Zulauf zu rechten und rechtsextremen politischen Parteien und Personen erkennen. Da das Modell im Sinn des Erfolgs bei Wahlen erfolgreich ist, steht zu erwarten, dass der politische Diskurs noch mehr mit Aggressionen aufgeladen wird, was sukzessive zu seiner Zerstörung führt. Denn sinnvolle politische Auseinandersetzungen können nur in einer Atmosphäre des Respekts und der gegenseitigen Achtung gedeihen. Insofern bedroht die Verrohung der politischen Sprache und das Schwinden des Respekts direkt die Demokratie. Sie findet ihre Legitimation und ihre Lebendigkeit in einer vernunftgeleiteten  Kultur der politischen Auseinandersetzungen, die ohne Herabwürdigung und mit der Achtung für die jeweiligen Gegner und Andersdenkenden geführt werden. 

Es liegt an allen Teilnehmern des politischen Prozesses, also an allen Mitgliedern der Zivilgesellschaft, den Trend zur aggressiven Aufladung der Meinungs- und Interessenverschiedenheiten zu unterbinden und sachbezogene, am Gemeinwohl orientierte Debatten zu fördern. Wir kommen nicht weiter in der Bewältigung der großen Themen, vor denen die Menschheit steht, wenn wir auf primitivere Formen des Konflikts zurückfallen. Wir können nur dann eine menschenwürdige Zukunft für die Menschheit gestalten, wenn wir die Kräfte der erwachsenen Vernunft und der ethischen Redlichkeit frei von destruktiven und toxischen Emotionen einbringen. 

Wir müssen dabei der Versuchung widerstehen, Wut mit Wut und Unverschämtheit mit Unverschämtheit zu begegnen. In diesen Gefühlen sind Ängste und Nöte versteckt, die unser Mitgefühl verdienen.

Zum Weiterlesen:
Links-Rechts - Versuch einer Unterscheidung
Hass im Internetzeitalter
Demokratie und Gefühle
Die Standpunkttheorie und ihre Schwächen


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