Donnerstag, 21. März 2024

Eine große Mehrheit für den Klimaschutz

Eine weltweite Studie  mit 130 000 Personen aus 125 Ländern hat ergeben, dass es eine überwältigende Mehrheit für den Klimaschutz gibt. 69 Prozent der Weltbevölkerung können sich vorstellen, auf 1 Prozent ihres Einkommens für Maßnahmen gegen den Klimawandel zu verzichten. 86 Prozent meinen, dass die anderen auch etwas gegen den Klimawandeln tun sollten, 89 Prozent finden, dass es eine stärkere Klimaschutzpolitik geben sollte.

Bei diesen Zahlen würde man sich denken, dass alle Parteien wetteifern, um die Wünsche ihrer Wähler und Wählerinnen nach einer effektiveren Klimapolitik zu erfüllen. Aber bei den meisten Parteien ist dieses Thema nachgereiht, wenn es überhaupt als sinnvoll angesehen wird. Es gibt ja nach wie vor genügend Anhänger der These, dass der Klimawandel nicht von den Menschen verursacht wird oder dass es ihn überhaupt nicht gibt, und damit auch Wählerstimmen, die vor allem rechte Parteien einheimsen wollen.

Diese Diskrepanz beruht auf sozialpsychologischen Phänomenen. Diese Zahlen sind so unbekannt, sodass die, die die Mehrheitsmeinung vertreten, glauben, dass sie in der Minderheit sind. Die Realität gibt ihnen ja Recht, es wird mäßig viel oder eher mäßig wenig gegen die Erderwärmung unternommen. Die meisten politischen Entscheidungsträger hängen sich gerne ein grünes Mascherl um, aber wenn es um die kurzfristigen Vorteile der eigenen Klientel geht, wird der Klimaschutz schnell in den Prioritäten weit nach hinten zurückgereiht. Es wissen also weder die Politiker noch ihre Wähler, dass sich die Mehrheit eine radikalere Klimapolitik wünscht. Die Meinung, zu einer Minderheit zu gehören, verleitet zur Resignation und hindert viele daran, für die Anliegen der Klimapolitik einzutreten. Dazu kommt, dass es neben den politischen auch handfeste wirtschaftliche Interessen gibt, die wirkungsvolle Klimamaßnahmen verhindern wollen und eine entsprechende Propagandamaschinerie zur Verfügung haben, die die sozialen Medien mit Falschmeldungen fluten. Man kann z.B. permanent lesen, wie leicht E-Autos brennen (was nicht stimmt) und wie schrecklich die Produktionsbedingungen sind (was auch nicht stimmt). Oder dass Windräder so viele Vögel umbringen (die meisten kommen durch Straßenverkehr um), usw.

Die Klimaproblematik können wir nur verbessern, wenn wir unseren Eigennutz einschränken. Diese Entscheidung wird uns erleichtert, wenn wir wissen, dass wir nicht alleine sind. Eine US-Studie hat ergeben, dass sich viele Menschen deshalb wenig für den Klimaschutz engagieren, weil sie annehmen, auch die anderen wollen nichts beitragen. Kaum jemand will der einsame Held sein, der auf seinen eigenen Vorteil zugunsten der Gemeinschaft verzichtet, während alle andere davon profitieren, aber selbst nichts beitragen. Da kommt man sich schnell blöd vor und reiht sich lieber in die Masse der selbstsüchtigen Ignoranten ein, als dass man als nützlicher Idiot dasteht. Wir verlassen uns auf einen gewissen Grad an Fairness, und wenn dieser nicht gegeben ist, sind wir auch bereit, unsere eigenen Werte zu verraten.

Dieser Rechtfertigungsmechanismus gilt übrigens auch für Kollektive. Ein in Österreich beliebtes Argument, um sich vor klimarelevanten Entscheidungen, z.B. Tempo 100, zu drücken, besteht darin, dass in dem kleinen Land – global gesehen – verschwindend wenige Treibhausgase reduziert würden, falls diese Maßnahme eingeführt würde. Wir tragen die „Kosten“ (weil sich damit für einige die Fahrzeiten verlängern) und der Nutzen könne vernachlässigt werden. Statt ein mutiger Vorreiter zu sein, warten wir ab und tragen unvermindert unser Scherflein zur Erderwärmung bei. Kommt eines Tages eine EU-Verordnung mit einem generellen Tempolimit, dann werden viele die Maßnahme als unzumutbaren Zwang auffassen uns sich dagegen aufregen. Aber nur  ist das böse Brüssel schuld, während die unschuldigen einheimischen Politiker auf ihre Wiederwahl hoffen dürfen, indem sie sich auf die EU ausreden können.

Dass es eine billige Verweigerung der Verantwortungsübernahme darstellt, das eigene klimaschädliche Verhalten durch Zahlenspiele zu rechtfertigen, habe ich schon an anderer Stelle argumentiert. Da diese Einsicht mit Scham verbunden wäre, wird sie entsprechend abgewehrt. Es ist also die Scham, die maßgeblich an klimaschädigender manipulativer Propaganda und Selbstrechtfertigung beteiligt ist.

Konflikt zwischen Gemeinwohl und Eigennutz

Nach dem Verhaltensökonomen Achim Falk, der auch die oben zitierte Studie geleitet hat, liegt das Problem des ethischen Handelns in einem fundamentalen Zielkonflikt zwischen positiven externen Effekten und dem Eigennutz, oder: zwischen Altruismus, also der Berücksichtigung der Bedürfnisse der anderen, und dem Egoismus, also der Verfolgung dessen, was uns selber den größten Gewinn bringt, unbesehen, ob es anderen schadet. Psychologisch betrachtet, schwanken wir zwischen der angstgesteuerter Sicherung des eigenen Überlebens und der schamgesteuerter Rücksicht auf die Gemeinschaft. Anders ausgedrückt, haben wir es mit einer Variante des Konfliktes zwischen Autonomie und Bindung zu tun, der sich quer durch alle wichtigen Themen des Lebens zieht.

Falk weist darauf hin, dass „das Gute“ meistens etwas kostet, etwa einen Vorteil, auf den wir verzichten müssen, wenn wir auf andere und auf das Gemeinwohl Rücksicht nehmen. Es gibt auch Studien, die feststellen, dass altruistisches Verhalten umso wahrscheinlicher ist, je größer die positiven Außenwirkungen einer Handlung sind, je mehr Leute also davon erfahren. Unsere Reputation steigt, und das ist ein Ausgleich für den Nachteil, den wir auf uns nehmen.

Das prosoziale Verhalten wird wahrscheinlicher, wenn andere davon wissen, nach dem Motto: Tu Gutes und sorge dafür, dass möglichst viele davon wissen. Es ist das Bedürfnis nach Stolz, das uns dazu beflügelt, von unseren guten Taten zu berichten oder uns für das Gute zu entscheiden, wenn wir von anderen beobachtet werden. Wir stehen besser da, für uns selber, insofern wir uns mit den Augen der anderen betrachten. Wir fühlen uns als guter Mensch, weil wir annehmen, dass wir von den anderen so wahrgenommen und beurteilt werden.

Egoistisch zu sein, fällt uns leichter, wenn wir uns unbeobachtet fühlen.  Wir tun uns schwerer, die Plastikflasche im Wald wegzuwerfen, wenn uns andere Wanderer begegnen oder geben mehr Trinkgeld, wenn wir in einer größeren Runde ausgehen. Noch raffinierter kann man es anlegen, wenn man anonym spendet, und die Welt erfährt es hintenherum über Dritte. Hier zeigt sich die mächtige Wirkung der Scham, die uns zu mitmenschlichem Verhalten anspornt und uns dazu motiviert, eben vor allem dann gut zu handeln, wenn es andere bemerken oder Kenntnis erlangen können. Wenn wir uns im Verborgenen unsolidarisch verhalten, schämen wir uns höchstens vor uns selbst, müssen aber keine Missbilligung durch andere befürchten.

Gutes zu tun tut gut

Soweit die wissenschaftlichen Forschungen. Wissenschaftliche Studien beziehen sich offensichtlich auf ein durchschnittliches Niveau des moralischen Urteils, weil sie ja repräsentativ sein sollen. Darum spielt dieser intrinsische Faktor keine Rolle. Ich möchte aber über diesen Tellerrand hinausschauen.

Die Kosten-Nutzen-Rechnung hat nämlich auch ihre Grenze. Denn wir können die Erfahrung machen, dass Gutes tun gut tut, weil es sich gut anfühlt, Gutes getan zu haben, gleich ob die Kosten dafür hoch oder niedrig waren. Wir sind also nicht nur berechnende Wesen, sondern auch mitfühlende Menschen, die das Gute wegen seiner selbst bzw. wegen dem Glück unserer Mitmenschen wollen. Nur im Zustand des egoistischen Eigennutzes, der von Ängsten angetrieben ist, sind sie uns egal. In diesem Zustand geht es uns nur um unser eigenes Überleben. Sind wir frei von Angst, so denken wir immer auch die anderen Personen bei unseren Entscheidungen mit und sind an ihrem Wohl interessiert. Durch das Erweitern des Horizontes für unsere Handlungsmotivation haben wir den Zugang zu einer Glücksdimension, indem uns das Tun des Guten selbst beglückt. Allerdings erfordert es ein gewisses Maß an innerer Einsicht und ethischer Reflexion, um diesen intrinsischen Wert des Tuns des Guten zu erkennen.

Schlechtes zu tun macht ein schlechtes Gefühl, wenn wir uns des Schlechten bewusst sind. Vieles von unserem Tun ist zwar objektiv schlecht, weil es anderen Schaden zufügt, z.B. jede Autofahrt mit einem Verbrenner oder jeder Kauf eines Billig-T-Shirts. Aber subjektiv versuchen wir, das Schlechte unseres Tuns wegzurationalisieren, weil uns solche Wertkonflikte Stress verursachen. Das Bewusstsein, dass wir alle, die wir in dieser Konsumkultur und auf diesem Wohlstandsniveau leben, permanent in solchen ethischen Konflikten stecken, ist schwer aushaltbar und erfordert ein hohes Maß an ethischer Integrität und Schamkompetenz.

Es macht allerdings einen Unterschied, ob wir das schlechte Gefühl, insbesondere in seiner Schamkomponente zulassen, statt es durch schwache Gegenargumente zu übertönen. Wir wachsen in unserer Würde und Mitmenschlichkeit. Wir werden zu solidarischeren Menschen. Wir sind nicht mehr von unseren Ängsten abhängig. Wir richten unser Handeln immer mehr nach dem größtmöglichen Nutzen für möglichst viele andere aus statt nach dem, was uns selber am meisten bringt. Wir erkennen, dass es uns nicht glücklich machen kann, wenn wir die einzigen sind, die glücklich sind, bloß weil wir Glück gehabt haben. Auf dieser höheren Ebene des Bewusstseins wird es uns auch leichter fallen, mit den Herausforderungen der Zeit fertig zu werden.

Literatur:

Achim Falk: Warum es so schwer ist, ein guter Mensch zu sein ... und wie wir das ändern können: Antworten eines Verhaltensökonomen. Siedler Verlag München 2022

Zum Weiterlesen:
Die Notwendigkeit der universalen Ethik
Vom Gruppenegoismus zur globalen Ethik
Ist der Mensch von Natur aus egoistisch oder sozial?

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