Samstag, 28. Januar 2023

Über das Rat-Schlagen

Manchmal sind Ratschläge gesucht und willkommen. Wir sind als soziale Wesen auf Austausch untereinander angewiesen und wollen von den Erfahrungen anderer lernen. Wenn wir irgendwo nicht weiter wissen, sind wir auf den Erfahrungsvorsprung anderer angewiesen und suchen nach Rat. 

Manchmal befinden wir uns in der gegenteiligen Situation. Wir bekommen einen Rat, obwohl wir gar keinen wollen. Dann spricht man häufig von Rat-Schlägen, gewissermaßen von einem Gewaltakt, der uns angetan wird. Wir fühlen uns als inkompetent und unfähig abgewertet und beschämt. Es handelt sich dabei um einen Moment, in dem wir keine Lösung für unser Problem suchen, sondern Verständnis für das brauchen, was uns gerade stört und belastet. Wir wollen also emotionalen Beistand und wünschen uns empathisches Verständnis. 

In solchen Situationen erscheint uns jeder Rat als besserwisserisch oder überheblich oder als eine überflüssige Mitteilung über etwas, das wir sowieso schon wissen. Wir reagieren mit Abwehr und fühlen uns missverstanden.

Männer sind praktisch und Frauen sind emotional (?)

Solche Missverständnisse kommen häufig zwischen Männern und Frauen vor. Man sagt ja, dass Männer praktisch veranlagt und lösungsorientiert sind und sich auf der emotionalen Ebene nicht so gut auskennen, was natürlich Frauen gelten als kompetenter auf der emotionalen Ebene, während sie in logischen oder logistischen Fragen weniger fähig sind, was auch nicht immer zutrifft. Männer wollen häufig ein Problem durch eine Aktion aus der Welt schaffen, während Frauen Verständnis für ihre Problemerfahrung suchen, aus der heraus sie erst dann eine Lösung entwickeln. Auch wenn es sich hier um Stereotype handelt, die nicht in allen Fällen stimmen und bei denen es immer Ausnahmen und Mischformen gibt, haben wir es doch mit einer weit verbreiteten Prägung zu tun, die immer wieder wirksam wird und Sand in das Getriebe der zwischengeschlechtlichen Beziehungen streut.

In Konflikten, die sich aus diesen unterschiedlichen Erwartungen entwickeln, fühlen sich beide Seiten missverstanden und ungerecht behandelt: Die Männer, weil sie doch alles tun, um den Frauen zu helfen, und die Frauen, weil die Männer nicht auf sie und ihre Gefühle eingehen. 

Ratschläge der Eltern

Auch zwischen Eltern und Kindern kommt es zu solchen Formen der missverständlichen Kommunikation. Je kleiner die Kinder sind, desto stärker ist ihr Erleben von Emotionen geprägt und desto mehr brauchen sie es, auf dieser Ebene verstanden zu werden. Sie fühlen sich allein gelassen, wenn die Eltern mit Ratschlägen, Verbesserungsvorschlägen oder Kritik auf eine emotionale Not reagieren, und ziehen den Schluss, dass sie mit ihren Gefühlen falsch liegen. Wenn diese Art von Reaktion immer wieder vorkommt, bildet sich im Kind eine Spaltung zwischen den Gefühlen und dem Selbst, das sich mehr und mehr vom Spüren entfernt, weil es dafür kein oder zu wenig Verstärkung und Bestätigung bekommt. Es passt sich den Erwartungen der Eltern an und distanziert sich zugleich innerlich von ihnen. Es kann entweder seine Emotionen unterdrücken und immer weniger spüren, oder lernt nicht, die Gefühle zu regulieren, sodass sie immer wieder in übertriebenem Maß herausbrechen. In beiden Fällen kann das Kind sein Selbstgefühl nicht ausreichend entwickeln und der Selbstwert wird geschwächt.

Die Dynamik hinter dem Ratschlagen

Warum geben wir unwillkommene Ratschläge? Zum einen kann es immer sein, dass wir nicht erkennen und wissen, was die andere Person gerade braucht. Wir können nicht immer die Gefühle und Gedanken unserer Mitmenschen lesen. 

Zum anderen kommt aber immer wieder das subtile Spiel zum Tragen, das damit beginnt, dass sich der Zuhörer nicht vom Leid der klagenden Person abgrenzen kann. Er übernimmt es im Sinn von einem Mit-Leiden und kippt, vielleicht sogar, ohne es zu merken, in das Leid oder die Problematik der anderen Person hinein. 

Der Rat, der dann ausgesprochen wird, dient in solchen Situationen der eigenen Entlastung: Er bietet einen Ausweg aus dem Ohnmachtsgefühl, das uns in solchen Momenten der Identifikation mit fremdem Leid befällt. Indem wir einen Rat bereitstellen, erwarten wir, dass sich unsere eigene Belastung erleichtert und wir uns von dem Problem distanzieren können. 

Wir erteilen uns den Rat gewissermaßen selbst, um unserer eigenen Ohnmacht zu entkommen. Wir fühlen uns dabei besonders sozial und altruistisch, bemerken aber den Gewinn, den wir selber aus dem Ratschlag ziehen, nicht. 

Häufig reagieren wir verständnislos und ungehalten, wenn die andere Person den Rat nicht befolgt. Statt ihr die Verantwortung zu überlassen, kommt unsere Reaktion aus der Identifikation mit dem Problem, die weiterbesteht und sich für uns nur lösen kann, wenn die andere Person das tut, was wir ihr vorschlagen. Sobald sie sagt, sie wolle oder könne nicht, was wir für das Beste halten, geraten wir wieder in unsere Hilflosigkeit. Wir nehmen der anderen Person ihr Problem weg, heften eine Lösung dran, geben beides zurück und übernehmen das Problem gleich wieder, sobald sie nicht in unserem Sinn handelt. 

Wir können aus dieser Dynamik nur aussteigen, wenn wir das Problem dort belassen, wo es ist, und wo es allein gelöst werden kann: Bei unserem Mitmenschen. Statt uns in seine Problemlösung einzumischen, können wir ihm alles Gute wünschen und Verständnis für seine emotionale Belastung ausdrücken.

Zum Weiterlesen:
Mitgefühl und Mitleid - eine wichtige Unterscheidung


 

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