Samstag, 21. Januar 2023

Der Alkohol auf dem Prüfstand der Wissenschaft

Während das Rauchen in den letzten Jahrzehnten viel an Ansehen verloren hat und auch der Konsum von Tabak zurückgegangen ist, hat sich der Alkohol unbeschadet in einer zentralen Stelle unserer Gesellschaft behaupten können und in der Coronazeit noch zugelegt. Wir leben in einer alteingesessenen Alkoholkultur, die sich durch alle Gesellschaftsschichten zieht und mit ihren Riten das Feiern aller Feste gestaltet. Es wird angestoßen, es findet ein Umtrunk statt, es wird jemand mit dem Glas in der Hand hochleben gelassen, und das gilt alles nichts, wenn sich im Glas kein Alkohol befindet. Rührselige Lieder sind ihm gewidmet, und aufmunternde Lieder sollen zum Genuss animieren. Der Alkohol genießt also ein hohes Renommee in unserer Gesellschaft. Es gilt noch immer als Initiationsherausforderung, die natürliche Hemmung gegen Alkohol zu überwinden; der erste Rausch oder das Trinken bis zur Bewusstlosigkeit stehen für eine Mutprobe und für den Einstieg ins Erwachsenenleben.

Auf der anderen Seite wissen wir, dass der Alkoholismus eine gefährliche Erkrankung darstellt. In Österreich gibt es ca. 340 000 Alkoholiker, und fast jeder vierte Erwachsene trinkt Alkohol in einem akut gesundheitsgefährdetem Ausmaß. Aber wir beruhigen uns, indem die Folgen des Alkoholkonsums kleinredet und verharmlost werden. Schließlich wollen wir uns ein wenig Genuss in einem immer wieder schwierigen Leben nicht aus- und schlechtreden lassen. Sollen wir uns nur mehr kasteien und einschränken? Was wäre das dann für ein amputiertes und fremdbestimmtes Leben?

Es gibt viele Verteidiger des Alkoholkonsums, an ihrer Spitze der Wiener Genussphilosoph Robert Pfaller. Bevor er oder Seinesgleichen hinter den folgenden Zeilen ein lebensfeindliches moralinsaures Lustverbot ausfindig macht und dann einer wortgewaltigen Kritik unterzieht, möchte ich den nachstehenden Ausführungen voranstellen, dass es hier nicht um die Verkündung von moralischen Geboten geht. Vielmehr folgt hier die Darstellung dessen, was die Wissenschaften insbesondere im Bereich der Neurologie in den letzten Jahren an Erkenntnissen über die Wirkungsweise des Alkohols im menschlichen Körper herausgefunden haben. Ich fasse hier zusammen, was der Stanford-Professor Andrew Huberman auf seinem Podcast zu diesem Thema referiert (). Unter dem Video finden sich auch die Links zu den einzelnen Studien.

Jeder Leser und jede Leserin dieses Artikels kann selbst beobachten und entscheiden, ob sich durch die Kenntnis dieser Fakten das eigene Verhalten verändert oder nicht. Jeder Mensch ist frei, und die Freiheit können wir am besten nutzen, wenn wir möglichst viel über uns selbst und die Vorgänge in unserem Körper wissen.

Aus den Erkenntnissen wird auch deutlich, warum jemand trinkt und sich unter Umständen schwer tut, davon loszukommen, oder auch, warum manche meinen, sie könnten jederzeit mit dem Trinken aufhören, wenn sie nur wollten, es aber nie probieren. Es wird deutlich, warum das Alkoholtrinken eine starke soziale Bedeutung enthält. Deshalb brauchen wir keinen mahnenden Zeigefinger vor jenen erheben, die „ein Alkoholproblem“ haben oder von denen wir meinen, dass sie eins haben. Falls wir selber frei von solchen Anfechtungen sind, gar nichts trinken oder nur selten mit einem Glas anstoßen, können wir uns anerkennen, auf unsere Gesundheit zu schauen, müssen aber niemanden verurteilen, der sich damit schwerer tut.

Wie wirkt Alkohol?

Es ist schon etwas seltsam, dass wir etwas trinken und trinken wollen, das uns nachher ein lausiges Gefühl gibt. Aber der Alkohol bewirkt selber, dass wir uns nicht mehr gegen ihn wehren können.

Alkohol ist wegen seiner chemischen Struktur sowohl wasser- wie auch fettlöslich. Wenn man Alkohol trinkt, kann er in jede Zelle und jedes Gewebe des Körpers eindringen, und das geht ganz leicht und schnell. Während andere Drogen an die Zelloberfläche andocken und von dort aus eine Kaskade von Wirkungen verursachen, kann der Alkohol direkt in die Zellen eindringen. Das ist der Hauptgrund für die vielfachen schädlichen Folgen von Alkoholkonsum.

Der Äthylalkohol ist die einzige Alkoholform, die der Mensch konsumieren kann. Dennoch ist er giftig, weil er schweren Stress und schwere Schäden an den Zellen anrichtet. Wenn man Alkohol konsumiert, muss er in etwas anderes umgewandelt werden, eben weil er für den Körper ein Gift ist. Wir haben in jeder Zelle ein Molekül, das NAD heißt und das das Ethanol in Acetaldehyd umwandelt. Acetaldehyd ist hochgiftig und zerstört Zellen, ohne jeden Unterschied. Der Körper geht mit dem Problem so um, dass er Acetaldehyd in Acetat umwandelt. Das ist eine Substanz, die der Körper als Treibstoff (ATP) verwenden kann. Wenn es dem Körper nicht gelingt, den dritten Schritt schnell und ausreichend genug zu machen, dann bleibt zu viel von dem schädlichen Acetaldehyd im Körper. Diese Prozesse laufen in der Leber ab. Wo der letzte Schritt gelingt, werden Kalorien produziert, die man leere Kalorien nennt, weil der ganze Stoffwechselprozess teuer ist und diese Kalorien keinen Nährwert haben. Man kann sie nicht speichern, und sie haben keine Vitamine, Aminosäuren, Fettsäuren. Der Alkoholkonsum ist also immer ein Verlustgeschäft für den Körper.

Es ist das Acetaldehyd, das das Gefühl von Betrunkensein hervorruft. Menschen, die regelmäßig Alkohol trinken, fühlen sich währenddessen energetischer und glücklicher; bei Menschen, die seltener Alkohol trinken, ist diese Phase kürzer, und sie kommen schneller in eine Phase, in der sie sich müde fühlen, motorische Fähigkeiten einbüßen oder undeutlich reden.

Alkohol überwindet die Gehirnschranke. Er kann in jede Nervenzelle des Gehirns eindringen, doch gibt es Bereiche, die bevorzugt werden: Nach den ersten Schlucken nimmt die Aktivität im präfrontalen Kortex ab.  Dieser Bereich hat mit Denken und Planen zu tun und auch mit der Unterdrückung von impulsivem Verhalten durch das Ausschütten des Botenstoffes GABA. Eine Folge davon ist z.B., dass Personen unter Alkoholeinfluss keine Bewusstheit über die Lautstärke beim Reden haben und ihre Stimmmodulation zurückgeht.

Der Alkohol hat einen stark unterdrückenden Effekt auf die Bereiche, die mit dem Entstehen und Speichern von Gedächtnisinhalten zu tun haben. Gehirnbereiche, die mit Flexibilität zu tun haben (ich könnte A machen oder B), werden völlig abgeschaltet. Unser Verhalten wird also stereotyper.

Das Folgende gilt für Menschen, die regelmäßig trinken (wenn auch nur einmal in der Woche): Man wird impulsiver und habitueller im Verhalten, auch in der Zeit, in der man nicht trinkt. Wenn man trinkt, dann werden diese Änderungen stärker sichtbar. Die Synapsen, die habituelles Verhalten (= etwas tun, von dem man schon weiß, wie es geht) steuern, werden vermehrt. Die Synapsen in den Bereichen, die impulsives Verhalten hemmen, werden verringert.

Diese Änderungen sind grundsätzlich reversibel, wenn auf das Trinken verzichtet wird: Nach zwei bis sechs Monaten mit Alkoholverzicht normalisiert sich das Verhalten. Ausgenommen sind Menschen, die über viele Jahre regelmäßig große Mengen von Alkohol konsumiert haben. Sie brächten wesentlich längere Zeiten der Abstinenz.

Manche Leute meinen, dass sie mit Nahrungsaufnahme die Wirkung von Alkohol verringern können. Das stimmt zum Teil: Wenn vor dem Trinken etwas gegessen wird, kommt der Alkohol nicht so schnell in den Blutkreislauf und die Entwicklung der Trunkenheit wird verlangsamt. Wenn man während des Trinkens isst, hat das keinen Einfluss auf das Ausmaß der Alkoholisierung.

Euphorisierung durch den Alkohol

Jeder Alkoholkonsum verändert Schaltkreise im Gehirn, indem er sie zunächst hyperaktiv macht. Deshalb reden die Leute viel und fühlen sich gut, sobald sie zu trinken beginnen. Nach mehr Alkoholkonsum oder wenn die Wirkung nachlässt, werden diese Schaltkreise schnell schwächer, und deshalb schwindet das Wohlgefühl. Sofort entsteht der Drang nach dem nächsten Drink, um sich wieder gut zu fühlen. Aber wenn man den dritten, vierten oder fünften Drink nimmt, gibt es absolut keine Chance, wieder in die gute Stimmung zurückzukommen. Die meisten Menschen fühlen sich mehr und mehr bedrückt. Das Frontalhirn schaltet ab, und Zentren, die mit der motorischen Koordination und willentliche Bewegungen befasst sind, werden stillgelegt. Man beginnt undeutlich zu reden, mit den Füßen zu scharren, sich anzulehnen oder in eine Couch zu sinken. Es kommt zur Verringerung der Wachheit und Erregung, und schließlich schläft man weg.

Es gibt aber auch Leute, die aufgrund von chronischem Alkoholkonsum und/oder von Genvariationen beim dritten oder vierten Drink zu mehr Wachheit und Erregung erleben. Sie reden mehr und haben viele Ideen, die ihnen Spaß machen. Das sind Leute, die eine höhere Alkoholtoleranz aufgebaut haben oder die genetisch bestimmte chemische Grundlagen haben, sodass sich, je mehr Alkohol konsumiert wird, das Wohlgefühl steigert und steigert. Aber auch bei ihnen gibt es eine Schwelle, bei der sie umfallen, einschlafen, nur ist die Schwelle viel höher.

Dabei ist das Blackout beim Trinken signifikant: Es gibt Leute, die im Zustand der Betrunkenheit alles Mögliche tun (im Meer schwimmen, Radfahren, Autofahren…), weil sie die Energie dazu haben. Und sie fühlen sich dabei gut, aber sie merken nicht, dass der Hippokampus, die Gedächtnisfunktion, völlig ausgeschaltet ist. Es gibt also keine Erinnerung über das, was geschehen ist. Wenn es öfters zu einer Betrunkenheit mit Blackout kommt, sollte man besorgt sein, denn das stellt eine Vorstufe zum Alkoholismus dar. Wer sich nach einigem Alkoholkonsum nicht sediert fühlt, hat eine Neigung zum Alkoholismus. Überaktivität im Zustand der Trunkenheit ist lebensgefährlich: Immer wieder sterben Menschen durch solche Aktionen.

Alkohol und die Stressachse

Der Alkoholkonsum führt zu Veränderungen im Verhältnis zwischen dem Hypothalamus, der Hypophyse und den Adrenalindrüsen in den Nebennierenrinden (HPA-Achse). Der Hypothalamus hat seinen Sitz oberhalb des Rachens und ist zuständig für Wut, Sextrieb, Temperaturregulation, Hunger und Durst etc. Er schickt der Hypophyse ganz spezielle Signale und diese schüttet dann Hormone aus, die zu den Adrenalindrüsen oberhalb der Nieren gehen. Sie setzen die Stresshormone Adrenalin und auch Cortisol frei.

Die HPA-Achse hält das physiologische Gleichgewicht zwischen Stress und Entspannung aufrecht. Sie wird bei Menschen geschwächt, die regelmäßig trinken (auch wenn es nur 1x die Woche ist). Sie haben einen signifikant höheren Cortisolspiegel, auch wenn sie nicht trinken. Folglich fühlen sie sich gestresst und empfinden mehr Angst, auch in den Zeiten, in denen sie nicht trinken. Deshalb sehnen sie sich nach einem Drink, der ihnen ein wenig Entspannung verspricht. So wird verständlich, warum Leute dann immer wieder trinken, weil sie dabei erleben, wie sie kurzzeitig vom Stress herunterkommen und ein Wohlgefühl erleben, das sie sonst nicht haben.

Der Teufelskreis besteht also darin, dass regelmäßiges Alkoholtrinken den Grundstress erhöht, die Stimmung verschlechtert und Wohlgefühle vermindert. Zugleich werden als Folge des Trinkens die neuronalen Schaltkreise, die den Konsum einschränken, umgepolt, sodass das neuerliche Trinken als einziger Weg erscheint, um das frühere Niveau der Stimmung wieder zu erreichen.

Wenn der Alkoholkonsum sehr früh im Leben beginnt, z.B. mit 13 oder 14, ist das Risiko, zum Alkoholiker zu werden, sehr hoch, unabhängig von der Familiengeschichte mit Alkohol. Wer erst mit 21 beginnt, ist weniger bedroht, Alkoholiker zu werden.

Die  Eingeweide-Leber-Hirn-Achse

Der Bauch und das Gehirn kommunizieren über Nervenverbindungen, vor allem über den Vagus und über chemische Signale. Die gleichen Kommunikationskanäle bestehen zwischen den Eingeweiden und der Leber und zwischen der Leber und dem Gehirn. Jeder Alkoholkonsum bringt das Darm-Mikrobiom durcheinander, das aus Billionen Bakterien besteht und das über chemische und elektrische Signale mit dem Gehirn kommuniziert und Hormone wie Serotonin und Dopamin in Umlauf bringt und die Stimmung im allgemeinen positiv beeinflusst. Alkohol wurde schon immer zur Desinfektion verwendet, also zum Abtöten von Bakterien. Deshalb geht der Alkohol auch auf das Mikrobiom los und tötet unterschiedslos Darmbakterien, auch und besonders die guten.

Zugleich ist der Prozess in der Leber, bei dem Alkohol umgewandelt wird, entzündungsfördernd. Es werden entzündungsförderliche Zytokine freigesetzt, u.a. IL6 und der tumornekrotische  Faktor Alpha. Diese Moleküle werden ausgeschüttet und in Umlauf gebracht. Im Darm entstehen zumindest vorübergehend Löcher. Durch diese können ungesunde Bakterien in den Blutstrom gelangen, die aus ungenügender Verdauung entstehen. Die Nahrung wird bei Alkoholkonsum nur teilweise aufgespalten und Abfallprodukte der Verdauung kommen aus dem Darm in den Blutkreislauf, während gesunde Bakterien direkt vom Alkohol abgetötet werden. Die ungesunden Bakterien können in die Blutbahn entkommen, noch bevor sie durch den Alkohol zerstört werden könnten, und gelangen bis ins Gehirn, was als Neuroimmunsignal bezeichnet wird. Dort kommt es zur schädlichen Entwicklung, dass speziell diejenigen Nervenbahnen unterbrochen werden, die den Alkoholkonsum einschränken und kontrollieren könnten, und die Folge ist die Neigung zu mehr Alkoholkonsum.

Die nachalkoholische Malaise (der Kater)

Bekannt sind die nachalkoholischen Symptome: Verdauungsbeschwerden, Kopfweh, Schwindel bis hin zu diffusen Angstzuständen, für die es im Amerikanischen den Ausdruck hangxiety (=hang over anxiety) gibt und die durch die erhöhten Cortisolwerte bewirkt werden.

Das verkaterte Gefühl entsteht durch Vasokonstriktion, durch das Zusammenziehen der Blutgefäße, das nach dem Trinken passiert. Der Alkohol wirkt als Gefäßerweiterer (Vasodilator), zumindest in manchen Blutgefäßen, als Folge des von ihm herbeigeführten parasympathischen Modus. In diesen Bereichen fließt mehr Blut. Durch das Nachlassen des Alkoholeinflusses ziehen sich die Blutgefäße zusammen und erzeugen z.B. Kopfschmerzen.

Alkohol und Schlaf

Schon ein einziges Glas Alkohol verändert den Schlaf: Langwelliger Schlaf, Tiefschlaf, REM-Schlaf werden unterbrochen, die Qualität des Schlafes wird also verschlechtert. Oft spricht man von Pseudoschlaf, der auch dafür verantwortlich ist, sich am nächsten Tag schlecht und ausgelaugt zu fühlen. Denn statt zu schlafen befindet man sich in einer Art von hypnotischer Trance mit häufigem Aufwachen, das gar nicht registriert wird. Der Erholungscharakter des Schlafes ist stark gestört.

Ein guter Schlaf wäre gerade wichtig nach Alkoholkonsum, weil der Körper die Ruhezeit nutzen kann, um die alkoholischen Getränke, das Äthanol und die Zusatzstoffe abbauen zu können. Einerseits verhindern die massiv notwendigen Entgiftungsprozesse einen guten Schlaf, andererseits können diese Prozesse nicht optimal ablaufen, weil der Schlaf zu seicht ist.

Absinken der Körpertemperatur

Der Alkohol führt zu leichter Hypothermie, also zu einem Absinken der Körpertemperatur, weil die Steuerung der Körpertemperatur im Hypothalamus unterbrochen wird. Kälteexposition, z.B. kaltes Duschen, führt zu einem Anstieg von Epinephrin, Adrenalin und Dopamin und kann die Alkoholisierungsfolgen abmildern.

Alkohol ist dehydrierend, und ausgeschieden wird nicht nur Wasser, sondern auch Natrium, das wichtig für das Funktionieren der Nervenzellen ist. Alkohol unterbricht auch die Vasopressin-Bahnen. Mit jedem Glas Alkohol sollten zwei Gläser Wasser, am besten mit Elektrolyten (Natrium, Magnesium, Kalium) getrunken werden. Geschieht das nicht, fällt der Kater umso heftiger aus.

Das Kater-Spektrum

Die Wissenschaftler haben ein Kater-Spektrum erforscht: Welche Form von alkoholischem Getränk führt zu weniger oder zu mehr Kater? Es gibt die Vermutung, dass das mit dem Zuckergehalt im Getränk zu tun hat, doch diese Annahme konnte nicht bestätigt werden. Die geringsten Nachwirkungen hat Bier, gefolgt von Wodka, Gin, Weißwein, Whisky, Rotwein, Rum, und der Brandy steht an oberster Stelle. Die Unterschiede entstehen durch Aromabestandteile (Kongener), die bei der Alkoholerzeugung entstehen, z.B. Methanol. Methanol wird im Körper in Ameisensäure und Formaldehyd umgewandelt, Stoffe, die die Leber und die Darmflora belasten und den Kater verstärken.

Als Faustregel dient die Farbe des alkoholischen Getränks: Je dunkler es ist, desto mehr Methanol ist enthalten und desto schwerer wiegen die Nachwirkungen des Konsums.

Alkoholtoleranz

Darunter versteht man die verringerten Effekte des Konsum bei wiederholter Alkoholexposition. Die Wurzeln liegen im Gehirn: Als direkte Konsequenz der Giftigkeit von Alkohol werden Neurotransmitter im Gehirn verändert. Wer Alkohol trinkt, bewirkt, dass sich der Dopamin- und Serotoninspiegel rasch erhöht, aber nur für sehr kurze Zeit. Danach sinkt der Spiegel langsam und über einen längeren Zeitraum kontinuierlich ab. Deshalb trinken Leute immer wieder, um wieder in einen Höhenflug zu kommen. Beim chronischen Trinken wird dieses Absinken noch langsamer und dauerhafter. Aber auch die erste Phase des Wohlfühlens wird kürzer. Es wird immer weniger Dopamin und Serotonin ausgeschüttet. Die lohnenden Aspekte werden weniger, die schmerzhaften und störenden mehr.

Alkohol und genetische Veränderungen

Jeder Alkoholkonsum, auch wenn er nur sehr gering ist, reduziert schon messbar die Dicke des Gehirns. Das Ausmaß dieser Verringerungen, die sowohl bei den grauen wie den weißen Zellen beobachtet werden kann, hängt ab von der Dosis. Doch nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ wirkt sich der Alkohol auf die Nervenzellen aus, denn er kann auch die DNA-Methylierung und die Genexpression in gefährlicher Weise verändern. Schon länger nachgewiesen ist der signifikanter Anstieg des Krebsrisikos, besonders für Brustkrebs, schon durch geringe Mengen von Alkohol. Mit einem kleinen Glas Bier oder einem Achtel Wein (10 Gramm Alkohol) pro Tag steigt das Risiko, an Krebs zu erkranken, zwischen 4 und 13 % (je nach Studie). Es ist erstaunlich, dass der Konsum von Alkohol angesichts eines gut erforschten und enormen Gesundheitsrisikos keinerlei legalen Einschränkungen unterliegt.

Alkohol und Geschlechtshormone

Testosteron und Östrogen sind wichtig für die Ausbildung der Geschlechtsteile vor und nach der Geburt, für die Libido und die sexuelle Entwicklung. Östrogen unterstützt das Gedächtnis und die Kognition und auch die Gelenksgesundheit. Alkoholkonsum führt dazu, dass die Umwandlung von Testosteron in Östrogen verstärkt wird, bei Frauen wie bei Männern. Man nennt das die Aromatisierung von Testosteron zu Östrogen, weil das Amoritase-Enzym dafür zuständig ist. Dieser Vorgang kann bei Frauen das Brustkrebsrisiko erhöhen und bei Männern zum Wachsen von Brustgewebe führen. Das bewirkt wieder einen verringerten Sextrieb und stärkere Fettspeicherung.

Was steht auf der Positivseite?

Nach der Beschreibung von so vielen Belastungs- und Risikofaktoren, die der Alkoholkonsum im menschlichen Körper hervorruft, sollte es doch auch Vorteile im Alkoholkonsum geben. Schließlich konsumieren die Menschen die Substanz seit Tausenden von Jahren, in vielen Kulturen. Doch schaut es damit auf der objektiven Seite äußerst mager aus: Alkohol ist und bleibt ein Gift. Es gibt die Geschichte von der Gesundheit des Rotweins wegen der Substanz Resveratrol und ihrer antioxidantischen Wirkungen. Allerdings müssten recht große Mengen von Rotwein getrunken werden, damit es zu nennenswerten Wirkungen kommen kann, und die Nebenwirkungen würden wohl die möglichen Vorteile übertreffen.

Es bleiben nur die subjektiven Faktoren, die angenehmen Gefühle, die das Trinken zumindest kurzfristig auslöst. Der Preis ist nicht unerheblich – im Subjektiven sind es die unangenehmen Gefühle, die mit Regelmäßigkeit nachher auftauchen, und auf der physiologischen Ebene die schweren Folgen der Vergiftungsprozesse, die den Körper auf vielen Ebenen destabilisieren und durch die Einwirkungen auf das Genom nachhaltig schädigen können. Wer gesundheitlich auf der sicheren Seite sein will, hat nur eine Option, nämlich nichts zu trinken. Wer nur moderat konsumiert, sollte auch über die Konsequenzen Bescheid wissen, die mit jeder Alkoholzufuhr verbunden sind. Und wer viel trinkt, sollte sich umschauen, welche Unterstützung ihm helfen könnte, dem Zwang der Sucht zu entkommen.

Die Entmachtung der Alkoholkultur

Die Alkoholkultur bedarf einer kritischen Reflexion. Sie verleitet zum Alkoholtrinken und verharmlost dessen Auswirkungen auf das Wohlbefinden und auf die Gesundheit. Wer im Alkoholismus landet, wird auch aus der feineren Alkoholkultur ausgegrenzt und als subjektiver Versager abgestempelt; die Verantwortung, die bei allen liegt, jemandem ins Trinken einzuführen, zum Trinken zu ermuntern und die „Trinkfestigkeit“ zu glorifizieren, wird dabei ausgeblendet.

Die Auswirkungen des Alkoholkonsums sollten in der Schulbildung umfassend vermittelt werden, als Informationen und nicht als moralische Unterweisungen; in Ländern, in denen der Alkohol einen erstaunlich zentralen und positiv konnotierten Stellenwert einnimmt, braucht es ein Gegengewicht aus solider Information, das jedem deutlich macht, welches Risiko auch schon mit leichter Alkoholisierung verbunden ist.

An der Zeit ist es, die Alkoholkultur zu relativieren und den Alkohol seines Nimbus zu entheben. Er ist ein Genuss- und Suchtgift, mit der Funktion, ein Bedürfnis zu befriedigen, das wir erst durch die Gewöhnung an den Alkohol entwickelt haben und das durch den Alkoholkonsum aufrechterhalten und verstärkt wird. Wir brauchen keine Kultur, die zum Trinken animiert und dessen Folgen verharmlost oder romantisiert. Wir brauchen eine klare Bewusstheit über die Auswirkungen des Alkohols auf unseren Körper, unsere Psyche und unsere sozialen Beziehungen. Wir brauchen eine alternative Kultur, in der ohne Konsum von Giftstoffen gefeiert werden kann.

Das Leben ist bekanntlich lebensgefährlich. Überall gibt es Risiken und es gibt kein risikoloses Leben. Der Alkohol ist eine dieser Gefahren. Am besten kommen wir durch das Leben, wenn wir die Gefahren, die uns drohen, einschätzen können. Dann können wir entscheiden, ob wir uns wir uns einer Gefahr aussetzen wollen, ob wir also bereit sind, ein Risiko auf uns zu nehmen.  

Es ist im Grund ein trauriger Befund für eine Gesellschaft, wenn viele ihrer Mitglieder glauben, dass sie zu Unbeschwertheit und Lebensfreude nur mit Hilfe einer Giftzufuhr gelangen können. Wir sollten stattdessen andere Quellen für unsere Glücksfähigkeit und Leichtigkeit erschließen, fördern und verbreiten, solche, die uns nicht schädigen, schwächen und abhängig machen, sondern die uns ohne Nebenwirkungen zu mehr Lebensglück führen, und das sind Quellen, die wir tiefer in uns selber tragen.

Zum Weiterlesen:

Der Alkohol und seine Kultur 1
Der Alkohol und seine Kultur 2
Neue Genusskultur
Verbindungen zwischen Missbrauch und Alkoholkonsum
Serotonin und Lebensfreude

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen