Freitag, 21. Januar 2022

Vom Anfang des Universums zum Nichtwissen

Welchen Sinn macht es, wenn wir uns mit dem Anfang des Universums beschäftigen, außer, wir sind Physiker oder Kosmologen, deren Beruf und Berufung darin besteht, diese Anfänge zu erforschen? Ich möchte hier einen Aspekt näher beleuchten, der für unser Selbst- und Weltverständnis von Bedeutung ist: Die Frage nach der Existenz eines Schöpfergottes. 

Am Anfang war der Urknall, so wissen wir es seit geraumer Zeit, und fragen gerne keck, was denn davor war, schließlich muss es ja etwas gegeben haben, was da geknallt hat. Mit der Frage haben wir allerdings ignoriert, was die Physiker, die auf den Urknall gekommen sind, dazu herausgefunden haben: Mit diesem Ereignis beginnt das Universum, und mit dem Universum beginnen Raum und Zeit. Wir sind es gewohnt, dass jedem Krach eine Ursache zugrundeliegt – die Nachbarn haben Streit, jemand hat sein Handy nicht auf lautlos gestellt, usw. Überhaupt alles, was passiert hat, ein Vorher und ein Nachher, wir sind gar nicht in der Lage, uns irgendetwas als zeitlos oder als unverursacht vorzustellen.  

Unsere Wahrnehmung, unsere Vorstellungen, unser Handeln – alles ist in Raum und Zeit, wie auch der Körper, mit dem und durch den das alles abläuft, in Raum und Zeit existiert, als dreidimensionales Gebilde mit einer Geschichte. Deshalb ist die Frage nach der Ursache des Urknalls verständlich; sie stammt aber aus den Gewohnheiten eines Lebens in Raum und Zeit; bezogen auf die Anfänge führt sie allerdings ins Leere und bringt uns dazu, die Grenzen unseres Existierens anzuerkennen. Wir sind gewissermaßen eingesperrt in Raum und Zeit. Was darüber hinausgeht, ist nur mit Hilfe von mathematischen Modellen darstellbar. Jede Vorstellung oder Idee, die wir uns von Raum- und Zeitlosigkeit bilden, ist eine raum-zeitliche Vorstellung oder Idee, von der wir versuchen, das Raum-Zeitliche wegzudenken oder wegzuhalluzinieren, aber das alles passiert in Raum und Zeit. Wir kommen aus diesem Rahmen nicht heraus, weil wir ihn überall mithaben, wo immer wir unterwegs sind: Im Spüren, Fühlen, Vorstellen, Denken, Intuieren usw.   

Es gibt also einen absoluten Anfang des Universums, der vor ca. 13,8 Milliarden Jahren das Universum „aus dem Nichts“ entstehen ließ. Wohlgemerkt: Auch dieses Nichts ist eine abstrakte Idee unseres raum-zeitlich geprägten Denkens. Wir können weder wissen noch verstehen, was “vor” dem Urknall war, weil es kein Vorher gibt. Denn jedes Vorher erfordert Zeit, die es da noch nicht gegeben hat. Weil wir in diesem Universum entstanden sind, sind wir raum-zeitliche Wesen, deren Erleben untrennbar an diesen Rahmen gebunden ist. 

Seither gibt es Raum und Zeit, seither dehnt sich das Universum aus und schafft immer mehr Raum, während die Zeit weitergeht, solange dieses Universum noch besteht. 

Unser raum-zeitliches Gehirn

Mit unserem Gehirn sind wir in der Lage zu abstrahieren, uns also von der sinnlich wahrgenommenen Wirklichkeit zu lösen und Allgemeinbegriffe zu bilden. So bezeichnet z.B. das Wort „Idee“ etwas, das wir nicht in unserer Umgebung irgendwo finden können, sondern das als Realität in unserem Kopf existiert. Auch wenn eine Idee scheinbar keinen Raum einnimmt, gibt es sie nur, weil wir über ein räumliches Gehirn verfügen. Außerdem hat sie nur insoweit Bedeutung, als sie Auswirkungen auf das Leben im Raum hat. Alle Allgemeinbegriffe sind also raum-zeitliche Konstruktionen. 

Mit unserem Gehirn sind wir weiters in der Lage zu verneinen. Wir können also vor alles, was wir denken, ein Nicht- stellen, und schon ist es negiert. Da wir über diesen Denkmechanismus verfügen, sind wir übrigens in der Lage, die Anfänge des Universums zu verstehen, wofür wir die Begriffe von positiver und negativer Energie benötigen. Die Verneinung, die wir im Denken vornehmen, ist wiederum nur dann wirkungsvoll, wenn sie sich auf die Realität auswirkt.  

Universelle Gesetze 

Die universelle Geltung der Naturgesetze, also im Universum geltend. Das Universum verhält sich gesetzeskonform, bzw. sind die Gesetze das, was die Menschen an Regelmäßigkeiten berechnen und entdecken konnten und was durch Vorhersagen, die dann eintreffen, bewiesen werden kann. Die Entwicklung des Universums ab seinem Anfang hat eine Folgerichtigkeit, die es erlauben, Schlüsse auf die weitere Entwicklung zu ziehen. Die Entwicklung des Universums ab seinem Anfang hat sich nach diesen Richtlinien verhalten. Oder, umgekehrt betrachtet, konnten die Forscher herausfinden, welche Richtlinien im Universum gelten, sodass die Abläufe nach- und vorausberechnet werden können. Zu diesen Regeln zählen neben der Gravitation die Relativitätstheorie und die Quantenmechanik. Es fehlen der Physik noch ein paar Bausteine, um alle Phänomene in mathematische Modelle einordnen zu können und zu verstehen. Nach all den Fortschritten in den letzten hundert Jahren scheint es nicht mehr allzu lange zu dauern, bis alle wichtigen Puzzlesteine für ein geschlossenes physikalisches Weltmodell gefunden sind. 

Die Fragen nach der Funktionsweise des Universums kommen aus unserem Verstand, der eben verstehen und erklären will, um die Angst vor dem Unbekannten zu bannen. Die kosmologischen Fragen haben als Folge der Forschungen genialer Menschen weitgehend zufriedenstellende Antworten erhalten. Wie die Welt funktioniert, wissen wir in den Dimensionen, die die Physik untersucht, sehr umfassend. Unser Verstand kann also froh sein und die Arbeit der Wissenschaftler bewundern. 

Der Luxus eines Schöpfergottes

Wir können verstehen, warum die Physiker keinen Schöpfergott mehr brauchen, wie er z.B. im Alten Testament beschrieben wurde. Er ist ein Luxus, entsprungen der Fantasie unseres Verstandes. Er kann nichts zum weiteren Verständnis der Welt oder zu deren Weiterbestehen beitragen. 

Der Schöpfergott wäre nichts anderes als ein Exekutor der Gesetze, die ohne ihn auch bestehen. Er hätte höchstens die Freiheit, eine andere Welt nach anderen Gesetzen zu schaffen, aber müsste sich dann wieder genauso daran halten. Für den menschlichen Verstand, der verstanden hat, was es bei diesen Abläufen zu verstehen gibt, der die Logik nachvollziehen kann und der daraus Schlüsse für die Zukunft ziehen kann, die dann überprüft werden können, ist keine weitere Instanz notwendig, die da sagt: „Aber das habe alles Ich gemacht.“  

Jeder ist frei, eine solche Instanz einzuführen und an sie zu glauben, wie es auch freisteht, an andere Schöpfungsmythen als den biblischen zu glauben. Es bleibt aber nichts als eine reine Glaubensentscheidung, die einen Schöpfergott einführt und ihm eine Existenz zuspricht. Und ein Gott, dessen Existenz vom Glauben von Menschen abhängt, ist ein Widerspruch in sich. 

Schon Immanuel Kant, der als erster die Beschränktheit der menschlichen Erkenntnis in ihrer ganzen Tragweite untersucht hat, hat den Schöpfergott weggekürzt, weil die Annahme seiner Existenz in unlösbare Antinomien der menschlichen Vernunft verstrickt. Er konnte dann noch Gott als Postulat der praktischen Vernunft, also als Garanten einer moralischen Ordnung unter den Menschen für unverzichtbar erklären. In theoretischer Hinsicht hingegen, also was die Fassenskraft des Denkens anbelangt, bleibt es nach Kant unentscheidbar, ob ein absolutes Wesen existiert oder nicht; es lassen sich Gründe dafür wie dagegen finden. Damit wurde einem intellektuellen Zugang zum Beweisen der göttlichen Existenz ein Riegel vorgeschoben. 240 Jahre später können wir aus den Erkenntnissen der modernen Physik ableiten, dass wir ein solches Wesen für die Entschlüsselung und das Nachvollziehen der Grundgesetze des Universums nicht brauchen und dass es zum Verstehen der Welt nichts beiträgt. 

Die Rücknahme der Verantwortung

Es scheint zwar, dass es menschlichen Sehnsüchten entspricht, ein übermächtiges Wesen hinter den Abläufen des Universums anzunehmen. Oft fühlen wir uns hilflos und ohnmächtig angesichts der Herausforderungen des Lebens und wünschen uns eine allmächtige Figur, die uns beisteht. Diese Vorstellung hilft unserem Bedürfnis nach Sicherheit und erlaubt uns, nicht ganz erwachsen werden zu müssen. Ein Teil der Verantwortung für die misslungenen Ereignisse in unserem Leben und in der Menschheitsgeschichte lassen sich auf diesen Gott überwälzen. Wir können uns ausreden auf unsere Inkompetenzen, Schwächen und Bequemlichkeiten. 

Ohne Schöpfergott im Rücken, als Backup und Notnagel für die Härtefälle unseres Lebens sind wir hingegen ganz auf uns alleine gestellt. Wir müssen die Verantwortung für dieses Universum mit aller Kraft, mit Engagement und mit Mut für die Konsequenzen auf unsere Schultern nehmen. Es liegt an uns als Menschheit, ob wir es schaffen, unseren Heimatplaneten so zu verwalten und zu gestalten, dass er uns weiterhin als Heimat dienen kann, oder ob wir uns selbst ein vorgezogenes Ende antun, indem wir im Jetzt die Ressourcen verbrauchen, die für unser Überleben in der Zukunft notwendig sind. Auch in dieser Problematik ist ein Schöpfergott keine Hilfe; wir wissen es ohnehin, wie es steht, und wir wissen auch, was zu tun wäre. Unser Handeln auf Nachhaltigkeit umzustellen können nur wir selber. Ein Gott würde höchstens den Rat geben: Mach, was gut ist für die Menschen und für das Universum. Also nichts Neues, nichts, was wir selber nicht schon wüssten. 

Die Tür zum Nichts

Die Frage nach den Ursprüngen des Universums wirft uns ganz auf uns selber zurück. Wir entkommen der Beschränktheit nicht, die in diesem Universum grundgelegt ist. Wir sind den universellen Gesetzen vollständig unterworfen, auch wenn wir sie entschlüsselt und technisch in vielen Bereichen handhabbar gemacht haben. Diese Gesetze legen auch fest, dass wir sterblich sind, als Individuen und als Menschengattung, als Natur und als Universum. Was aus dem Nichts” entstanden ist, geht ins Nichts” zurück, ohne eine Spur zu hinterlassen. 

Das Akzeptieren dieser Endlichkeit und Begrenztheit bringt uns freilich an eine Tür, die zu öffnen riskant ist: Sie ist nämlich eine Falltür. Hinter ihr befindet sich ein Nichts, denn sie führt uns ins Jenseits des Begreifens und Verstehens, ins Jenseits der Worte und Zahlen, in einem Bereich, über den und in dem wir keine Kontrolle haben. Wir verstehen plötzlich, dass es nichts zu verstehen gibt, dass es nichts zu erklären gibt, sondern dass alles so ist, wie es ist. Wir haben keine Fragen mehr und brauchen keine Antworten.  

Wir sind im Bereich der Weisheit, von wo Lao Tzu zu uns spricht: 

Der Mensch richtet sich nach der Erde. 
Die Erde richtet sich nach dem Himmel. 
Der Himmel richtet sich nach dem Sinn. 
Der Sinn richtet sich nach sich selber. 
(Tao Te King 25) 

Zum Weiterlesen:
Letzte Fragen ohne Antwort
Der Anfang der Welt und das spekulative Denken
Das spielerische Universum


1 Kommentar:

  1. Lieber Wilfried, ich bin sehr erfreut, auf diese Weise von Dir zu hören - und das gleich mit einer solchen tiefschuerfenden Abhandlung zu einem Thema, das letztlich jeden einmal bewegt. Gratulation. Theo in

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