Die frühere Parteivorsitzende der österreichischen Grünen, Eva Glawischnig, hat für viel Aufsehen gesorgt und heftige Kritik geerntet, als sie vor kurzem erklärte, beim Glücksspielkonzern Novomatic anzuheuern. Die Grünen sind erklärte Gegner und Kritiker des Glücksspiels, und auch ihre ehemalige Vorsitzende hat sich früher in diesem Sinn geäußert.
Politiker unterliegen einem moralischen Maßstab, der sich am Grad der Integrität bemisst. Dieser Maßstab muss von der Öffentlichkeit immer wieder kritisch angelegt werden, denn jeder Politiker trägt sein Amt als „Leihgabe“ von den Mitgliedern dieser Gesellschaft, so zumindest gemäß der traditionellen Legitimation demokratischer Macht nach J.J. Rousseau. Das einzelne Mitglied der Gesellschaft tritt einen Teil seiner Macht an einen politischen Amtsträger ab, der diese möglichst im Sinn der Gesellschaft verwaltet. Der Politiker kann das nur, indem er möglichst weit von Eigeninteressen absieht und das Wohl des Ganzem im Fokus hat. Das versteht man unter Integrität, und jede Abweichung davon muss aufgezeigt und kritisiert werden, sonst erodiert die Rechtfertigung politischer Macht in einer Demokratie und schließlich diese selbst.
Solange Frau Glawischnig ein politisches Amt ausgeführt hat, war sie an ihrer persönlichen Integrität zu bemessen. Seit sie dieses Amt niederlegte, gelten diese Maßstäbe nicht mehr. Wer mit der Dame befreundet ist und ihr nahesteht, kann ihr seine Meinung über den überraschenden Jobantritt mitteilen, doch steht es der politischen Öffentlichkeit nicht zu, diesen Schritt nach den Maßstäben politischer Integrität zu bewerten. Jeder Mensch hat das Recht, seine Ideale und Überzeugungen zu ändern; wenn er das als Politiker macht, verliert er seine Glaubwürdigkeit; als Privatperson können nahestehende Personen irritiert sein. Doch was geht es Personen an, die mit der Dame keinerlei persönlichen Kontakt haben, moralische Urteile abzugeben und die Integrität in Frage zu stellen? Wer maßt sich das Recht an, über fremde Menschen und ihr Verhalten zu urteilen?
Jedem steht es frei, Ansichten über das Glücksspiel und die Organisationen, die es befördern und damit Geschäft machen, zu haben und diese zu äußern. Es ist auch wichtig, zu solchen Themen, die die Gesellschaft und ihre Mitglieder betreffen, Stellung zu beziehen. Lukas Resetarits hat das Glücksspiel einmal als „Deppensteuer“ bezeichnet, weil die Chancen etwas zu gewinnen so gering sind, dass nur ein „Depp“ an das große Glück glauben kann. Glücksspiel heißt Abzocke, Versprechen geben und Erwartungen aufbauen, um sie dann zu enttäuschen.
Beim Glücksspiel werden menschliche Schwächen zum eigenen Vorteil (für eine Person oder eine Firma) ausgenutzt. Es wird in Kauf genommen und sogar unterstützt, dass Menschen abhängig und süchtig werden. Oft verlieren Menschen und ihre Angehörigen ihre Existenz durch diese Schwächen, für die sie natürlich auf einer Ebene selbst verantwortlich sind. Andererseits kann es auch als Aufgabe der Gesellschaft gesehen werden, solche Ausbeutungsstrukturen einzudämmen und zu unterbinden. Wer in solchen Strukturen arbeitet und von der Abzocke verdient, sollte sich bewusst sein, dass der Schaden, der Menschen mit diesen Geschäften zugefügt wird, immer größer ist als der Nutzen.
All diese Argumente und noch viele mehr sollen im öffentlichen Diskurs benannt werden; sie könnten dazu beitragen, ein kritisches Bewusstsein über dieses Segment der Gesellschaft und des Wirtschaftslebens zu schaffen. Ein Urteil über eine Person hingegen, gleich aus welcher politischen Ecke sie kommt, steht niemandem zu. Wir wissen nichts über die inneren Beweggründe und Antriebe von anderen Menschen, außer sie stehen uns nahe, und sollten uns deshalb tunlichst des Urteilens enthalten. Wir sind keine Richter und keine Moralinstanzen, sondern Menschen mit eigenen Schwächen und Schattenseiten, und wir haben es auch nicht besonders gern, wenn andere über uns urteilen, vor allem dann nicht, wenn sie uns gar nicht kennen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen