Oxytocin (OXT) ist ein Oligopeptid aus 9 Aminosäuren, das im Hypothalamus gebildet wird. Es ist dem Vasopressin strukturell ähnlich und wirkt im Gehirn als Neurotransmitter und im Körper über die Blutbahn als Hormon.
Oxytocin wird während der Geburt, beim Stillen und bei lustvoll empfundenem körperlichem Kontakt freigesetzt. Es heißt deshalb „Kuschelhormon“ oder „Liebespeptid“. Auch eine soziale Problematik, die zu ihrer Lösung viel Vertrauen erfordert, führt zu einer Oxytocin-Ausschüttung.
Die Wirkungen von Oxytocin
Viele der Wirkungen von Oxytocin haben mit der sozialen Bindungsfähigkeit zu tun:
- Stimulation der Uteruskontraktion unter der Geburt: Förderung des Geburtsvorgangs und gleichzeitig einer emotionalen Bindung an das Kind.
- Stimulation der Milchsekretion durch Kontraktion der Muskulatur um die Drüsenbläschen.
- Senkung des Blutdrucks, Auslösung eines Wohligkeitsempfindens.
- Beruhigung von Entzündungsreaktionen.
- Festigung sozialer Bindungen durch Förderung von Vertrauen und Abbau von Aggression sowie durch erhöhte Bereitschaft, Fehler von Gruppenmitgliedern zu vergeben. Insbesondere spielt das Oxytocinsystem für die Paar-Bindung und die Mutter-Kind-Beziehung eine entscheidende Rolle.
- Förderung der Stressbewältigung; dabei agiert Oxytocin als Gegenspieler des Stresshormons Kortisol.
Der „Single Nucleotide Polymorphism“ (SNP) rs53576 des Oxytocinrezeptor-Gens (OXTR) kodiert für die genetische Variante A. Die A- und G-Allele des Rezeptors lösen je nach ihrer Kombination etwas unterschiedliche Wirkungen aus. Menschen können daher geringfügig unterschiedlich in Situationen reagieren, in denen Oxytocin ausgeschüttet wird.
Oxytocin und Einsamkeit
Das Gefühl der Einsamkeit ist ein verbreitetes Phänomen vor allem in der Adoleszenz, einer Lebensphase, in der es um den Abschied von der Herkunftsfamilie mit dem Ziel einer eigenen Familiengründung geht. In dieser Umbruchsphase wird das Bedürfnis nach Zugehörigkeit und Kontakt mit anderen Menschen häufig nicht ausreichend befriedigt. Dabei reagieren Menschen unterschiedlich: Solche, die sich leichter einsam fühlen, suchen eher erneute Kontakte zum sozialen Schutz als solche, bei denen das Gefühl weniger stark ausgeprägt ist. Das Gefühl der Einsamkeit als Drang, aktiv eine Gemeinschaft aufzusuchen und Kontakte zu knüpfen, ist offenbar genetisch determiniert, allerdings in unterschiedlich starker Ausprägung (abhängig von den genetischen Varianten der A- oder G-Allele). (Zur Quelle)
Oxytocin und Stressbewältigung
Viele Studien haben nachgewiesen, dass stabile Sozialkontakte die Anfälligkeit für Depression, Angst, Drogenabhängigkeit und Krankheiten reduzieren. Umgekehrt kann sozialer Stress, insbesondere Vereinsamung oder Ausgrenzung (soziale Isolierung, Mobbing etc.) zu erheblichem Stress und zu Stresskrankheiten führen. Auf diese Zusammenhänge wird weiter unten noch genauer eingegangen.
Oxytocin und Vertrauen
Vertrauen ist eine unabdingbare Voraussetzung für Liebe, Freundschaft und im geschäftlichen und politischen Leben. Ohne Vertrauen können keine dauerhaften persönlichen Beziehungen und stabile Gemeinschaften aufgebaut oder Verträge und Abkommen geschlossen werden. Oxytocin spielt dabei eine tragende Rolle.
Oxytocin verbessert die kognitive Empathie (bekommen Versuchspersonen das Hormon über einen Nasenspray, so können sie besser an der Augenpartie eines Gegenübers abzulesen, wie es diesem geht, aber auch mehr Mitgefühl mit Menschen in Belastungssituationen entwickeln) und reduziert die Aktivität der Amygdala, also des Angstzentrums.
Die Schattenseiten des Liebesmoleküls
Allerdings verstärkt das Hormon ein gruppen-egoistisches Verhalten. Und damit kommen auch die Schattenseiten des hochgeschätzten Kuschelhormons zur Sprache: es spielt auch bei Neid, Unachtsamkeit und Vertrauensseligkeit sowie bei der Bevorzugung der eigenen Gruppe vor fremden eine wichtige Rolle. Oxytocin ist dafür verantwortlich, die Beziehungen in der eigenen Gruppe zu stärken. Der Schutz nach innen erfodert oft die Ablehnung nach außen, wie sich im Aggressionsverhalten von Muttertieren und auch Vätern zeigt, wenn die Nachkommen angegriffen werden. Es ist allerdings ein Missverständnis, wenn man meint, dass das Hormon zum Schüren von Fremdenhass geeignet wäre. Vielmehr zeigt sich, dass Oxytocin Aggressionen eindämmt und soziale Ängste reduziert. (Zur Quelle)
Bei Trennungsstress werden die positiven emotionalen Wirkungen von Oxytocin unterdrückt. Studien konnten nachweisen, dass nach dem Ende einer Partnerschaft, verbunden mit dem Verlust an emotionaler Sicherheit, die Freisetzung des Stresshormons CRF (Corticotropin-releasing Faktor) die Aktivität des Oxytocin-Systems drastisch reduziert. Trennungserfahrungen führen zu starker CRF-Ausschüttung, womit die beruhigende Wirkung des „Kuschelhormons“ außer Kraft gesetzt wird. Der Trennungsschmerz mit seinen starken Gefühlen wirkt mit voller emotionaler Macht. Möglicherweise soll er bewirken, dass die Beziehung doch wieder aufgenommen wird. Das könnte erklären, warum manche Menschen nach einer Trennung doch wieder in die Partnerschaft zurückkehren, obwohl diese stark dysfunktional ist wie z.B. in einer Alkoholiker-Coalkoholiker-Beziehung. (Zur Quelle)
Es gibt in der Oxytocin-Forschung eine Kontroverse, seit Hinweise aufgetaucht sind, dass Beziehungsängste und schlechte Beziehungsqualität mit gesteigertem Oxytocin-Spiegel verbunden sind. Allerdings scheint eine umfassende Forschungsarbeit das Liebeshormon zu rehabilitieren: In einer US-Studie, die Paare über mehrere Wochen begleitete, konnte gezeigt werden, dass die Beziehungsqualität positiv mit dem Oxytocin-Spiegel korrespondiert. Paare, die sich gut verstehen, haben einen höheren Spiegel, und Paare mit angespannter Beziehung einen niedrigeren. (Zur Quelle)
Eine neue Liebesdroge?
Sollen Oxytocin-Nasensprays verteilt werden, um die Menschen menschenfreundlicher werden zu lassen? Genügen ein paar Schnupfer des Hormons, und schon sind wir lieb miteinander?
Abgesehen von Gewöhnungseffekten, die bewirken, dass der Körper aufhört, das Hormon selber zu produzieren, wenn es von außen zugeführt wird, ist noch viel zu wenig darüber bekannt, wie das Hormon im Körper aufgenommen wird und mit anderen Botenstoffen zusammenwirkt, und ob sich durch eine äußere Zufuhr langfristige Verhaltensänderungen erzielen lassen. Natürlicher ist es wohl, mit Umarmungen oder zärtlichen Berührungen wechselseitig mehr Oxytocin in Umlauf zu bringen und positive soziale Gefühle zu verstärken („a hug a day keeps the doctor away“).
Eustress und Distress: Mit oder ohne Oxytocin
Oxytocin gilt als allgemeines Antistress-Hormon, das den Kortisolspiegel sowie den Blutdruck senken kann. Damit hilft es, während Phasen von Stress und Entzündungen die Homöostase aufrechtzuerhalten. Es wird nicht nur durch das Stillen oder während sexueller Begegnungen, sondern auch durch warme Temperatur, sanfte Berührungen, Klänge und andere soziale Signale ausgeschüttet. Es wird nicht nur in der Zirbeldrüse oder im Hypothalamus produziert, sondern auch von der Gebärmuttern, den Eierstöcken, den Hoden, Blutgefäßen und vom Herzen.
Die entzündungshemmenden und antioxidanten Eigenschaften des Hormons sowie seine Wirkungen als Modulator der Schmerzempfindlichkeit sind deshalb wichtig, weil sie deutlich machen, wie wichtig soziale Netzwerke und Absicherungen für die Aufrechterhaltung der Gesundheit sind. Stress als solcher ist nicht notwendigerweise negativ, aber mit Stress ohne mitmenschliche Unterstützung umgehen zu müssen, kann sich stark auf die Gesundheit schlagen. (Zur Quelle)
Damit ist Oxytocin ein Hinweis auf die Wagschale zwischen gutem und schlechtem Stress, also zwischen Eu- und Distress: Je nachdem, ob genügend soziale Unterstützung sowie die Kontrolle über die Umstände des Stresses verhanden sind, wird Stress zur Herausforderung oder zur Belastung. Es gibt die Kampf-Flucht-Reaktion (fight/flight), die durch Stress ausgelöst wird, aber auch den Freundschaftsimpuls (tend and befriend), der bei Frauen stärker ausgeprägt ist als bei Männern, und er hängt wieder mit der Oxytocin-Regulation zusammen. In Situationen, die mit Angst verbunden sind und die wir als Bedrohung erleben, gibt es uns Sicherheit, wenn wir jemanden um uns haben, dem wir vertrauen können. Soziale Isolierung dagegen wird in sich schon als gefährlich erlebt und schwächt zusätzlich den Körper und seine Immunreaktion.
Wir alle wünschen uns ein stressfreies und belastungsfreies Leben, keine Sorgen, Unglücksfälle und Katastrophen. Allerdings ist ein Leben aus lauter Glückssträhnen alles andere als förderlich für unsere Gesundheit. Denn für die Oxytocin-Balance ist ein Zuwenig an Ungemach ebenso ungünstig wie ein Zuviel; gerade genug Stress zu erleben hilft, dass das Hormon gut im Fluss bleibt und damit unseren Körper stärkt, so sagen zumindest die Forscher.
Wenn wir das Hormon und seine Wirkungsweise verstehen, können wir auch leichter verstehen, warum früh erlebtes Missgeschick später die Bewältigungsstrategien im Leben fördern oder behindern kann. Wissenschaftler sehen eine U-Kurve: Mäßige seelische Belastungen wirken sich stärkend auf die Gesundheit aus, nämlich in einem geringen Ausmaß an Depressionen und posttraumatischen Stresssymptomen sowie in höherer Lebenszufriedenheit.
Wie können wir für einen höheren Oxytocin-Spiegel sorgen?
Wie die Stanford-Psychologin Kelly McGonigal behauptet, hängt das hormonelle Profil einer stressreichen Erfahrung daran, wie wir sie selber sehen, also in welchen Kontext wir sie einfügen. Sie unterscheidet zwischen einer Kampf-Flucht-Reaktion und einer Herausforderungsreaktion. Die letztere ist dadurch gekennzeichnet, dass wir Stresssituationen als Chance für das Verbessern der eigenen Leistungsfähigkeit nehmen, als Gelegenheit zum Lernen. Voraussetzung dafür ist es, während des Erlebens in der Bewusstheit und Achtsamkeit zu bleiben. Weiters hilft es, andere um Hilfe zu bitten oder anderen zu Hilfe zu eilen, die gerade einer belastenden Situation ausgesetzt sind.
McGonigal geht davon aus, dass die Stressreaktion kein Feind ist, der besiegt werden muss, sondern ein Verbündeter, der hilft, schwierige Situationen zu überwinden. Sie weist auch darauf hin, dass bei mäßigem Stress Oxytocin freigesetzt wird, um die Angstreaktion im Gehirn zu dämpfen und den Flucht- und Erstarrungsinstinkt zu unterdrücken und statt dessen soziale Verbindungen aufzubauen. Das Liebeshormon ist also auch ein Muthormon. Beispiele für diese Form der Stressreaktion sind, wenn Eltern ihre Kinder beschützen oder wenn jemand sein Team oder seine Gruppe vor Ungerechtigkeiten verteidigt. (Zur Quelle)
Eustress besteht also darin, einer belastenden Situation einen positiven Sinn geben zu können und damit das Selbstbewusstsein zu steigern, die Schwierigkeit überwinden zu können. Wie andere Forschungen belegen, geht es auch darum, dass wir in der Stresssituation das Gefühl haben, die Umstände kontrollieren zu können, dass wir also über einen Handlungsspielraum verfügen, den wir zur Meisterung der Schwierigkeit nutzen können.
Der Schutz des Herzens
Oxytocin stärkt die Herzgesundheit. Das Herz verfügt über spezielle Oxytocin-Rezeptoren, und das Hormon hilft, dass sich die Herzzellen nach kleinen Schäden wieder selbst regenerieren und reparieren können. Es ist also nicht so, dass Stress grundsätzlich schädlich fürs Herz ist, sondern dass auf die Art des Stresses ankommt. Sobald der Stress mit Oxytocin-Ausschüttung verbunden ist, wenn es sich also um Eu-Stress handelt, hilft er dem Herzen und seiner Gesundheit. Dabei aktiviert sich die Resilienzkomponente in der Stressreaktion.
Geschlechtsunterschiede
Allerdings ist noch anzumerken, dass Männer und Frauen in der Oxytocin-Thematik unterschiedlich reagieren. Während beide Geschlechter in der Kortisol- und Adrenalinausschüttung ähnlich sind, ist die Stressreaktion bei Frauen mit deutlich stärkerer Oxytocin-Freisetzung verbunden als bei Männern. Hier haben wir die biologische Grundlage für das bekannte Phänomen, dass in Belastungssituationen Männer dazu tendieren, das Problem proaktiv und selbständig zu lösen, während Frauen Hilfe bei anderen suchen. Es ist ja nicht weiter verwunderlich, dass Frauen im Stress leichter Oxytocin ausschütten als Männer, weil sie das Hormon sowohl bei der Geburt als auch beim Stillen brauchen. (Zur Quelle)
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