Samstag, 28. Januar 2017

Wozu brauchen wir Erfolge?



 Das Erfolgsprogramm

  
Wir alle wollen Erfolg haben. Misserfolge sind misslich, und sollten keine Folgen zeitigen. Von Erfolgen können wir nicht genug kriegen. Erfolg soll auf Erfolg folgen, so erträumen wir uns unser Leben.

Aber was ist überhaupt ein Erfolg? Wir setzen uns ein Ziel, z.B. eine neue Wohnung oder einen neuen Beruf zu finden. Sobald das Ziel in der Weise, wie wir es uns wünschten, erreicht ist, fühlen wir uns erfolgreich. Ist der Job nicht genau das, was wir gerne gehabt hätten, oder ist die Wohnung gerade annehmbar, indem die Vorzüge die Mängel überwiegen, fühlen wir uns weniger erfolgreich. Die Deckungsgleichheit zwischen unseren Wünschen und der Realität, die wir dann erreichen, muss zumindest gegeben sein, damit wir von Erfolg reden können. Übertreffen darf die Wirklichkeit unsere Träume in jedem Fall, wir lassen uns gerne vom Erfolg überraschen.

Erfolge verbrauchen sich schnell. Sie erzeugen ein Hochgefühl samt Endorphin-Ausschüttung, und dieses ebbt gemäß dem hormonellen Zyklus wieder ab. Einen Nachgeschmack können wir uns holen, wenn wir an etwas zurückdenken, was wir toll geschafft haben. Doch dieser ersetzt nicht die Glücksgefühle eines aktuellen Erfolges.

Die Erfolgsbilanz muss beständig wachsen. Wir dürfen uns vielleicht für einige Zeit auf unseren Lorbeeren ausruhen, dann muss die Jagd nach dem Erfolg wieder aufgenommen werden. Sonst laufen wir Gefahr, der Depression zu verfallen. Erfolge sind also dafür da, um uns vor dem Leiden vor uns selbst zu schützen.

So läuft also das Erfolgsprogramm, das wir alle kennen, soweit wir in einer Leistungsgesellschaft aufgewachsen sind. Spätestens mit dem Schuleintritt wird das Prinzip, dass ein lebenswertes Leben mit Erfolgsmaximierung verbunden ist, verinnerlicht. Wir definieren uns über unsere Erfolge und Misserfolge. Und damit haben wir uns abhängig gemacht von Bewertungen, den eigenen und den von anderen. Denn die Erfolgshascherei ist nichts anderes als eine Ausscheidung des Bewertungsdenkens, das so tief in uns und in unserer Gesellschaft eingefräst ist.

Jeder Erfolg ist relativ


Betrachten wir die Erfolgsmuster aus einer spirituellen Sichtweise, so geht es darum, Relatives und Absolutes zu unterschieden und damit die Ego-Anteile an dem Muster sichtbar zu machen. In dieser Perspektive ist jedes Leben gleich viel wert, ob es zu Erfolgen geführt hat oder gründlich missglückt ist. Und es ist gleich, was in jedem dieser individuellen Leben passiert ist. Da gibt es nichts Großes, Bedeutendes, Herausragendes im Vergleich zum Unscheinbaren, Unbemerkten, Nebensächlichen mehr. Da gibt es nur die vielfältigen Unterschiede, die alle Teil eines großen Bildes sind.

Es ist offensichtlich, dass Erfolge Maßstäbe voraussetzen, die relativ sind, also von den unterschiedlichsten Faktoren abhängig sind. Ein Schirennfahrer, der Stockerlplätze gewohnt ist, verbucht einen vierten Platz nicht als Erfolg, während ein Anderer glücklich darüber ist, überhaupt bei einem Rennen antreten zu dürfen. Ein dritter wäre froh, den Hang nur irgendwie herunterzukommen und ein vierter, wenn er sich zumindest ein wenig auf Skiern bewegen kann.
Diese Maßstäbe sind in den Bewertungsmustern eingebaut, die die Gesellschaft ständig weiterentwickelt und verfeinert und die wir inhaliert haben und ständig inhalieren, ob wir es wollen oder nicht.

In der spirituellen Einstellung können wir das Erfolgsprinzip durch die Wertschätzung des Lebens ersetzen: Einfach dieses mein Menschenleben zu leben, mit allem, was dazugehört, ist schon ein Erfolg, ganz gleich, ob wir irgendwo groß rauskommen oder in einer Nische versteckt bleiben, ob wir so und so viele Anhänger und Freunde haben oder nicht, diese Menge Geld machen oder jene. Es ist sogar egal, ob wir das gefunden haben, was unsere Berufung ist oder ob wir unsere Visionen erreicht haben. Das sind alles nur Gaukeleien unseres bewertungsdurchtränkten Denkens.

Die Erfolge und die radikale Endlichkeit


Die Hauptaufgabe in diesem Leben ist, seine Endlichkeit annehmen zu können, und wenn wir das schaffen, ist das ebenso ein Erfolg. Deshalb können wir am Erfolgsdenken etwas über die Paradoxie des Lebens verstehen: Das Gewinnen ist dabei genauso wichtig wie das Verlieren. Wir gewinnen, indem wir bereit sind, alles zu verlieren. Scheinbare Misserfolge sind nichts als die Erinnerung an unsere Endlichkeit. Bei solchen Erfahrungen können wir lernen, das, was ist, bedingungslos zu akzeptieren und wertzuschätzen, ob es uns gefällt oder nicht, ob es in unserem Bewertungsschema hoch oder tief rangiert.

Die Aufgabe liegt darin, die radikale Relativität des Lebens anzunehmen, d.h. unsere radikale Erfolgslosigkeit. Was zählt wirklich, wenn wir unser Leben abschließen? Die Menge an Vanilleeis, die wir in unserem Leben genossen haben, oder die Anerkennungen, die wir für unsere Leistungen bekommen haben? Das ist alles relativ, und die Relativität bietet angesichts der Endlichkeit keine Orientierung und keinen Halt. Sobald wir uns aber von der Macht der Relativität, die sich im Erfolgsprinzip verkörpert, gelöst haben, werden wir frei. Es ist, wenn wir diesen Gesichtspunkt gewonnen haben, völlig egal, was wir in unserem Leben erreichen oder nicht. Denn in jedem Moment erreichen wir das, was wir gerade tun, und zugleich erreichen wir damit rein gar nichts.

Dazu kommt noch, dass wir immer einen Beitrag zum Ganzen leisten, das ist alles, und das tun wir immer und überall, einfach nur durch die Luft, die wir ausatmen, einfach, indem wir das tun, was wir tun und das unterlassen, was wir nicht tun. Damit steuern wir unseren unverwechselbaren Teil zum Ganzen bei, ganz gleich, wie er in dem einen oder anderen Bewertungsschema abschneidet.

Wenn wir die radikale Relativität von Erfolgen erkannt haben, können wir uns selbst entscheiden, ob wir in dieses Spiel einsteigen oder nicht. Wollen wir im Räderwerk der Erfolgsmaschinerie weiterhetzen oder zu uns selber zurückkommen, zu dem Leben jenseits von Maßstäben, wo eins nach dem anderen geschieht, Moment für Moment? Was fühlt sich besser an, was hilft uns zur Entspannung?

Vgl. In der Mangel des Erfolgsstrebens

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