Das Erfolgsprogramm
Wir alle wollen
Erfolg haben. Misserfolge sind misslich, und sollten keine Folgen zeitigen. Von
Erfolgen können wir nicht genug kriegen. Erfolg soll auf Erfolg folgen, so
erträumen wir uns unser Leben.
Aber was ist
überhaupt ein Erfolg? Wir setzen uns ein Ziel, z.B. eine neue Wohnung oder
einen neuen Beruf zu finden. Sobald das Ziel in der Weise, wie wir es uns
wünschten, erreicht ist, fühlen wir uns erfolgreich. Ist der Job nicht genau
das, was wir gerne gehabt hätten, oder ist die Wohnung gerade annehmbar, indem
die Vorzüge die Mängel überwiegen, fühlen wir uns weniger erfolgreich. Die Deckungsgleichheit
zwischen unseren Wünschen und der Realität, die wir dann erreichen, muss
zumindest gegeben sein, damit wir von Erfolg reden können. Übertreffen darf die
Wirklichkeit unsere Träume in jedem Fall, wir lassen uns gerne vom Erfolg
überraschen.
Erfolge verbrauchen
sich schnell. Sie erzeugen ein Hochgefühl samt Endorphin-Ausschüttung, und
dieses ebbt gemäß dem hormonellen Zyklus wieder ab. Einen Nachgeschmack können
wir uns holen, wenn wir an etwas zurückdenken, was wir toll geschafft haben.
Doch dieser ersetzt nicht die Glücksgefühle eines aktuellen Erfolges.
Die Erfolgsbilanz
muss beständig wachsen. Wir dürfen uns vielleicht für einige Zeit auf unseren
Lorbeeren ausruhen, dann muss die Jagd nach dem Erfolg wieder aufgenommen
werden. Sonst laufen wir Gefahr, der Depression zu verfallen. Erfolge sind also
dafür da, um uns vor dem Leiden vor uns selbst zu schützen.
So läuft also das
Erfolgsprogramm, das wir alle kennen, soweit wir in einer Leistungsgesellschaft
aufgewachsen sind. Spätestens mit dem Schuleintritt wird das Prinzip, dass ein
lebenswertes Leben mit Erfolgsmaximierung verbunden ist, verinnerlicht. Wir
definieren uns über unsere Erfolge und Misserfolge. Und damit haben wir uns
abhängig gemacht von Bewertungen, den eigenen und den von anderen. Denn die Erfolgshascherei
ist nichts anderes als eine Ausscheidung des Bewertungsdenkens, das so tief in
uns und in unserer Gesellschaft eingefräst ist.
Jeder Erfolg ist relativ
Betrachten wir die
Erfolgsmuster aus einer spirituellen Sichtweise, so geht es darum, Relatives
und Absolutes zu unterschieden und damit die Ego-Anteile an dem Muster sichtbar
zu machen. In dieser Perspektive ist jedes Leben gleich viel wert, ob es zu
Erfolgen geführt hat oder gründlich missglückt ist. Und es ist gleich, was in
jedem dieser individuellen Leben passiert ist. Da gibt es nichts Großes,
Bedeutendes, Herausragendes im Vergleich zum Unscheinbaren, Unbemerkten,
Nebensächlichen mehr. Da gibt es nur die vielfältigen Unterschiede, die alle
Teil eines großen Bildes sind.
Es ist offensichtlich,
dass Erfolge Maßstäbe voraussetzen, die relativ sind, also von den
unterschiedlichsten Faktoren abhängig sind. Ein Schirennfahrer, der
Stockerlplätze gewohnt ist, verbucht einen vierten Platz nicht als Erfolg,
während ein Anderer glücklich darüber ist, überhaupt bei einem Rennen antreten
zu dürfen. Ein dritter wäre froh, den Hang nur irgendwie herunterzukommen und
ein vierter, wenn er sich zumindest ein wenig auf Skiern bewegen kann.
Diese Maßstäbe sind
in den Bewertungsmustern eingebaut, die die Gesellschaft ständig
weiterentwickelt und verfeinert und die wir inhaliert haben und ständig
inhalieren, ob wir es wollen oder nicht.
In der spirituellen
Einstellung können wir das Erfolgsprinzip durch die Wertschätzung des Lebens ersetzen: Einfach dieses
mein Menschenleben zu leben, mit allem, was dazugehört, ist schon ein Erfolg,
ganz gleich, ob wir irgendwo groß rauskommen oder in einer Nische versteckt bleiben,
ob wir so und so viele Anhänger und Freunde haben oder nicht, diese Menge Geld
machen oder jene. Es ist sogar egal, ob wir das gefunden haben, was unsere Berufung
ist oder ob wir unsere Visionen erreicht haben. Das sind alles nur Gaukeleien
unseres bewertungsdurchtränkten Denkens.
Die Erfolge und die radikale Endlichkeit
Die Hauptaufgabe in
diesem Leben ist, seine Endlichkeit annehmen zu können, und wenn wir das
schaffen, ist das ebenso ein Erfolg. Deshalb können wir am Erfolgsdenken etwas
über die Paradoxie des Lebens verstehen: Das Gewinnen ist dabei genauso wichtig
wie das Verlieren. Wir gewinnen, indem wir bereit sind, alles zu verlieren.
Scheinbare Misserfolge sind nichts als die Erinnerung an unsere Endlichkeit. Bei
solchen Erfahrungen können wir lernen, das, was ist, bedingungslos zu
akzeptieren und wertzuschätzen, ob es uns gefällt oder nicht, ob es in unserem
Bewertungsschema hoch oder tief rangiert.
Die Aufgabe liegt
darin, die radikale Relativität des Lebens anzunehmen, d.h. unsere radikale
Erfolgslosigkeit. Was zählt wirklich, wenn wir unser Leben abschließen? Die
Menge an Vanilleeis, die wir in unserem Leben genossen haben, oder die Anerkennungen,
die wir für unsere Leistungen bekommen haben? Das ist alles relativ, und die
Relativität bietet angesichts der Endlichkeit keine Orientierung und keinen
Halt. Sobald wir uns aber von der Macht der Relativität, die sich im Erfolgsprinzip
verkörpert, gelöst haben, werden wir frei. Es ist, wenn wir diesen
Gesichtspunkt gewonnen haben, völlig egal, was wir in unserem Leben erreichen
oder nicht. Denn in jedem Moment erreichen wir das, was wir gerade tun, und
zugleich erreichen wir damit rein gar nichts.
Dazu kommt noch,
dass wir immer einen Beitrag zum Ganzen leisten, das ist alles, und das tun wir
immer und überall, einfach nur durch die Luft, die wir ausatmen, einfach, indem
wir das tun, was wir tun und das unterlassen, was wir nicht tun. Damit steuern
wir unseren unverwechselbaren Teil zum Ganzen bei, ganz gleich, wie er in dem
einen oder anderen Bewertungsschema abschneidet.
Wenn wir die
radikale Relativität von Erfolgen erkannt haben, können wir uns selbst
entscheiden, ob wir in dieses Spiel einsteigen oder nicht. Wollen wir im
Räderwerk der Erfolgsmaschinerie weiterhetzen oder zu uns selber zurückkommen,
zu dem Leben jenseits von Maßstäben, wo eins nach dem anderen geschieht, Moment
für Moment? Was fühlt sich besser an, was hilft uns zur Entspannung?
Vgl. In der Mangel des Erfolgsstrebens
Vgl. In der Mangel des Erfolgsstrebens
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