Immer hat er uns in Bann gehalten, der IQ – das Maß unserer Intelligenz. Nun will ihn die Wissenschaft, die ihn zuerst eingeführt hat, wieder abschaffen. Wie können wir dann erfahren, wo wir hingehören – zu den Hoch-, Mittel- oder Niedrigintelligenzlern? In welche Schicht ordnen wir uns ein? Sollen wir ab jetzt bei Quiz-Shows im Fernsehen unsere Intelligenz erraten?
Oder hören wir einfach damit auf, uns über den Intelligenzquotienten eine Identität zu geben! Die Wissenschaft unterstützt uns dabei. Einst wurde dieser Maßstab entworfen, um zu beweisen, dass Kinder aus der Unterschicht auch für eine höhere Bildung in Frage kommen. Das wissen wir nun schon längst. Jetzt steht in Frage, was die Intelligenz überhaupt sein soll. Die Idee einer „generellen“ Intelligenz erweist sich als ziemlich unbrauchbar, ja sogar als hinderlich für den Erkenntnisfortschritt und für die praktische Anwendung. Denn unsere kognitiven Fähigkeiten setzen sich aus vielen verschiedenen Bereichen zusammen, und deren Gesamtmaß sagt nicht viel aus: Jemand, der blitzschnell komplizierte Gleichungen im Kopf rechnen kann, dafür aber über wenig Raumvorstellung oder soziales Denken verfügt, hat vielleicht den gleichen IQ wie jemand, der in Mathematik nichts kapiert, aber in den anderen Aspekten gut ist.
In einer Studie wurde festgestellt, dass ostasiatische Studenten eine feldabhängige gegenüber einer objektzentrierten Wahrnehmung bevorzugen, währen amerikanische Studenten meist das Gegenteil favorisieren, und beide Gruppen schneiden jeweils in ihren Präferenzen besser ab. Diese Ergebnisse sagen nichts weiter aus als dass es soziokulturelle Unterschiede zwischen Ostasien und Amerika gibt.
Viele Forscher, z.B. der US-Psychologe Howard Gardner sind schon lange von der Idee einer einheitlichen Intelligenz abgekommen. Er hat ein Intelligenzmodell mit acht unterschiedlichen Intelligenzen entwickelt, darunter z.B. die interpersonelle Intelligenz (2.Person- Kompetenz) oder die intrapersonelle Intelligenz (1.Person- Kompetenz). Später hat er noch zwei Intelligenzen hinzugefügt: Die pädagogische und die existentielle. Dennoch musste er sich die Kritik gefallen lassen, dass sich das Modell der vielfältigen Intelligenzen empirisch schwer nachweisen lässt.
Es zeigt jedenfalls die begriffliche Schwierigkeit: Wollen wir dem Phänomen der Intelligenz näher kommen, spaltet es sich zunehmend auf in unterschiedliche Dimensionen, die sich dann wieder weiter aufspalten, wenn man genauer hinschauen will, bis der Begriff jeden Sinn verliert und sich darauf beschränkt, dass jeder Mensch sein eigenes Mix an kognitiven Fähigkeiten hat, um sein Leben zu bewältigen. Manche kommen mit diesem Mix an die Spitze eines Großunternehmens, manchen gelingt nicht mehr als ein Platz unter der Brücke. Aber nicht einmal solche extremen Unterschiede müssen Unterschiede in der Intelligenz sein, sondern können ganz andere Gründe haben.
Mit der Hinfälligkeit des IQ wird auch die lange Zeit heiß diskutierte Frage obsolet, ob die Intelligenz angeboren (genetisch festgelegt) oder erlernt (sozial geprägt) ist. Umfangreiche Zwillingsuntersuchungen wurden durchgeführt, vor allem mit eineiigen nach der Geburt getrennten und adoptierten Zwillingen, bis man erkannte, dass die bloße Tatsache der Adoption den IQ erhöht, unabhängig von anderen Größen. Bis jetzt gibt es keinerlei Idee dazu, wie oder warum Gene den IQ beeinflussen könnten.
Intelligenz ist das, was ein Intelligenztest misst. Dieses halbscherzhafte Zitat bringt es auf den Punkt: Intelligenz ist etwas anderes als die Körpergröße, sondern eine äußerst komplexe Angelegenheit. Jeder Test misst das, was er messen will. Die gemessenen Menschen wissen dann, wie weit sie den Anforderungen dieses bestimmten Tests entsprechen, mehr schon auch nicht.
Also – keine Panik mehr, wenn wir bei irgendeinem Test schlecht abschneiden, es sagt nichts aus über unsere Kompetenz, ein gutes und erfülltes Leben zu führen, und schon gar nichts über unseren Wert als Menschen. Die Natur ist so intelligent, dass sie so viele so unterschiedliche Menschen hervorbringt, dass wir nicht weit kommen, wenn wir sie alle einem Maßstab unterwerfen und vergleichen wollen. Freuen wir uns an der Individualität, freuen wir uns an der Vielfältigkeit!
Quelle: Scott Atran: IQ. In: John Brockman (Hg.): Welche wissenschaftliche Idee ist reif für den Ruhestand? Frankfurt: Fischer 2016, S. 24-28
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