Mittwoch, 23. März 2016

Das Entsetzen, die Gewalt und das Böse

Warum ist es so entsetzlich, wenn unschuldige Menschen Opfer von Gewaltverbrechen werden? Schließlich müssen wir alle einmal sterben, ob das durch aggressive Krebszellen, heimtückische Viren oder eine Bombe geschieht, wird dereinst für uns selber letzten Endes keinen Unterschied machen. Für die allerdings, die zuschauen, ist es wesentlich schlimmer, wenn jemand eines unnatürlichen Todes stirbt. Unnatürlich heißt so viel wie menschengemacht. Wenn Menschen schuld sind am Tod von anderen Menschen, sind wir entsetzt. 

Dieses Entsetzen hängt mit unserer sozialen Verfassheit zusammen. Wir sind als soziale Wesen aufeinander angewiesen und brauchen ein Mindestmaß an gutem Willen, damit wir gemeinsam überleben können. Wenn nun Einzelne, aus welchen Gründen immer, gegen diese Grundnorm verstoßen, indem sie das Leben anderer Menschen für ihre eigenen Ziele opfern (manchmal auch das eigene noch dazu), verunsichern sie alle, die sich noch im Rahmen der Grundnorm befinden. Denn die Grundnorm funktioniert nur, wenn alle mitmachen. Jedes Ausscheren bedroht deshalb den Zusammenhalt des ganzen gesellschaftlichen Gefüges. Das wissen übrigens die Angehörigen von Terrorgruppen genauso, indem sie Mord in ihren eigenen Reihen nicht dulden können.

Die Verunsicherung wird zunächst dadurch behoben, dass sich die Gesellschaft der Gutwilligen zusammenschließt und diejenigen, die aus dem Rahmen treten, zur Verantwortung ziehen. Allerdings bleibt die Angst, denn es könnte jederzeit wieder passieren, dass ein Mensch oder eine Gruppe gewalttätig wird und andere, eben unschuldige Menschen, in den Tod reißt. Das ist vermutlich auch ein Ziel der Bösewichter, die Verunsicherung weiter zu treiben, denn Unsicherheit führt in die Vereinzelung. Mit dem Ansteigen der Angst ziehen sich Menschen zunächst in immer kleinere Gruppen zurück, in denen sie noch vertrauen können. Erreicht die Angst ein sehr hohes Maß, fühlen sie sich ganz auf sich selber gestellt und wollen nur ihre eigene Haut retten. Je größer die Angst, desto größer der Zerfall der Gesellschaft. 

Da die Terrorgruppen selber Angst haben vor Gesellschaften, die mit dem Mindestmaß an gutem Willen funktionieren, sehen sie in willkürlichen Überfällen und wahllosen Mordaktionen den besten Weg, um ihren Gegner, eben die demokratisch und liberal verfassten Gesellschaften, zu schwächen und zu entmachten. Eine fragmentierte Gesellschaft kann dem Bösen keinen Widerstand mehr entgegensetzen, da es keine gültigen Normen mehr gibt. In ihr kann man dann die eigenen Machtgelüste mit ausreichenden Gewaltmitteln durchsetzen.

Die Angstmacher in unseren Gesellschaften arbeiten dieser Fragmentierung in die Hände. Sie wollen, dass die Menschen aus dem gesellschaftlichen Konsens austreten und sich der eigenen Gruppierung anschließen, die eine exklusive Sicherheit vor dem Bösen verspricht, das ausgesperrt bleibt. Die Guten sind innen, die Bösen draußen. Vielen verängstigten Menschen ist das Leben in einem imaginären Bunker lieber als das Risiko, im Freien dem Bösen zu begegnen.

Deshalb ist es wichtig, dass wir Verantwortung für unsere Ängste übernehmen. Wir sind nicht deren Opfer, sondern wir erzeugen sie in uns, indem wir uns über Bilder und Worte verwirren und in Trance versetzen lassen. Wenn wir unsere Ängste erforschen, erkennen wir, dass ihre Wurzeln tiefer sitzen, dass es kindliche Verunsicherungen sind, die durch aktuelle Ereignisse mobilisiert werden. Wir brauchen uns von diesen alten Ängsten nicht beherrschen lassen. Wenn wir noch einen Schritt weitergehen, erkennen wir auch, dass das Böse, das wir im Außen wahrnehmen, z.B. in Form der Gewalt gegen Unschuldige, in uns genauso vorhanden ist. Es ist ein Abkömmling unserer Ängste und will den Auslöser der Ängste zerstören, um sich von der Angst zu befreien. 

Indem wir erkennen, dass wir um nichts "besser" sind als die Bösen, sondern nur mit Glück in relativer Sicherheit gelandet sind, sodass wir aus unseren Ängsten und Zerstörungsimpulsen heraus nicht handeln müssen, sondern in einem bestimmten Grad friedvoll leben können, verliert das Böse im Außen jede Macht über unser Inneres. Das ist der Weg der inneren Versöhnung, der uns aus der Angst und Verunsicherung herausführt. So können wir in Klarheit und Verantwortung unsere Rolle in der Gesellschaft wahrnehmen und dem Bösen im Außen mit Entschlossenheit begegnen.

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