Dienstag, 17. November 2015

Braucht es einen Krieg? Wer braucht einen Krieg?

Hieronymus Bosch, Garten der Lüste
In diesen Tagen nehmen Politiker immer wieder das Wort Krieg in den Mund. Sie wollen damit die Entschlossenheit zum Ausdruck bringen, alle Kräfte und Mittel zu konzentrieren, um das zu vernichten, was den Menschen Angst macht und sie bedroht.

Abgesehen von der Frage, ob und in welchem Sinn Krieg geführt werden kann gegen einen Gegner, der unbekannt ist (“Wir erklären Unbekannt den Krieg”), ist es besorgniserregend, mit welcher Leichtfertigkeit ein schwerer und beladener Begriff ausgesprochen wird. Denn damit wird ein Zustand proklamiert, der die Unmenschlichkeit zur Norm erhebt.

Seit dem 2. Golfkrieg 1991 hat das Kriegführen und seine Darstellung eine neue Dimension erhalten, mit bemerkenswerten Parallelen zu Computerspielen, die um die gleiche Zeit die Leidenschaften der Spieler erobert haben. Eine quasi chirurgische Form der Kriegsführung wurde vorgespiegelt, sauber und klinisch wird das Böse aus dem Guten ausgesondert und vernichtet. Ähnlich versucht heutzutage die russische Propaganda der eigenen Öffentlichkeit das Eingreifen in Syrien schmackhaft zu machen: Als Geschicklichkeitsübungen von Bomberpiloten, die wie beim Videospielen das Knöpfendrücken beherrschen und Rauchwolken in der Wirklichkeit erzeugen, die von hoch oben beobachtet nur zerstörte Objekte und keine getöteten Menschen zeigen.

Krieg ist immer mehr, als uns die Propaganda vorgaukeln will. Krieg bedeutet das Außerkraftsetzen der Ordnungsgefüge, die das Zusammenleben der menschlichen Gemeinschaft im Normalzustand ermöglichen. Krieg ist der maximale Stresszustand, wie er in einem Individuum wirksam sein kann, übertragen auf die gesamte Gesellschaft. Damit werden praktisch alle Individuen in einen Notzustand versetzt, der ihr normales Funktionieren unterbinden soll. Damit Menschen Menschen umbringen können, müssen sie in einen Ausnahmezustand versetzt werden, in dem nicht, wie manchmal behauptet, ihre "tierische" Natur freigesetzt wird, sondern in dem sie ihr Überlebensprogramm allen anderen Zusammenhängen überordnen. Das heißt, man muss sie maximal in Angst versetzen, und dann, nach dem Motto: "Alles auf mein Kommando, vorwärts Marsch!" kann dann in den Krieg marschiert werden.

Das Überlebensprogramm kennt keine Rücksichtnahme, kein Mitgefühl, keine zwischenmenschliche Verbindung. Es hat keine Weitsicht und keine Zukunftsperspektive. Es will nur eines: im Moment überleben und zu dem Zweck alles vernichten, was die eigene Existenz bedroht oder bedrohen könnte. Es reagiert schnell und ohne Nachdenken, wie ein lebloser Apparat. (Vermutlich haben sich die Menschen, als sie die ersten Maschinen erfunden haben, den inneren Kriegszustand als Vorbild genommen).

Jeder Krieg zieht eine Schneise der Dehumanisierung durch die betroffene Gesellschaft und durch deren Mitglieder. Manche überleben den Krieg ohne körperlichen Schaden, keiner kann ihn ohne seelischen Schaden und innere Verkrüppelung überstehen. Manche verbluten, andere tragen die Blutspur im Herzen und in der Seele.

Alleine schon das Einschwören auf den inneren Notzustand mobilisiert alle alten Traumatisierungen, zu denen unweigerlich neue dazu treten, die neben ihrer Eigenwirkung zusätzlich die alten Verwundungen vertiefen und verfestigen. Erst recht, wenn zur Einstellung Taten kommen, Gewaltaktionen, die aktiv oder passiv erfahren werden, zerbricht das innere Gerüst. Nach jedem starken Schock braucht es Stunden, dass sich unser Nervensystem erholen kann. Krieg bedeutet eine Abfolge von Schocks, wie manche syrische Flüchtlinge berichten: Jede Nacht Granateneinschläge, Schock auf Schock, und keine Zeit zur Erholung.

Deshalb ist es für die Gemeinschaft und die Individuen langwierig und mühsam, nach dem offiziellen Ende eines Krieges wieder zu einem Normalzustand zurückzufinden. Wenn diese Traumatisierungen nicht innerlich aufgearbeitet werden, gehen sie auf die nachfolgenden Generationen über und belasten diese. Wir, die Kinder der Nach-Zweiter-Weltkriegszeit tragen an den Verwüstungen dieses Krieges. Wir haben aber auch die Chance, die Kette zu unterbrechen, indem wir uns den seelischen Trümmern (Bettina Alberti) stellen und sie aufräumen.

Dann haben wir die Entschlossenheit und Kraft, gegen jede Form von Gewalt aufzutreten und für den Frieden einzutreten. Gewalt liegt in der Wahl der Worte, deshalb müssen wir auch benennen, wenn Worte missbraucht werden, um Ängste zu kanalisieren. Auch wenn manche Herausgeber auf ihre Titelseite „3. WELTKRIEG“ (Deutsches Handelsblatt vom 16.11.) kleschen, müssen wir nicht mitheulen. Wir müssen uns nicht ängstigen, auch wenn Medien und Politiker Ängste schüren wollen, sondern können unseren Mut aufbieten, um gegen jede Form der Kriegspropaganda aufzutreten.

Wir, die Zivilgesellschaft und die politische Verwaltung, haben die Pflicht und die Aufgabe, uns und unsere Mitmenschen vor Verbrechen jeder Art zu schützen. Doch dazu braucht es keinen Krieg. Vor 14 Jahren haben die USA versucht, das Terrorismusproblem mit einem Krieg gegen Afghanistan zu lösen – das Land ist seither im Krieg und destabilisiert; das gleiche haben sie vor 12 Jahren im Irak begonnen, mit ähnlich nachhaltig desaströsen Ergebnissen. Deshalb haben wir, die Zivilgesellschaft und die politische Verwaltung, auch die Pflicht, die Welt vor unverantwortlich ausgerufenen Kriegen zu schützen.

"Terrorismus ist der Krieg der Armen und der Krieg ist der Terrorismus der Reichen. Beide sind gleichermaßen unmoralisch." (Peter Ustinov)


Zum Weiterlesen:
Der Terrorismus und unser Kopf

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