Freitag, 16. Januar 2015

"Religiöse Gefühle" versus Meinungsfreiheit

Gewaltfreiheit und Meinungsfreiheit


In der Debatte um die Verletzung religiöser Gefühle versus Meinungsfreiheit wird die Facette ins Spiel gebracht, dass westlich-demokratische Staaten mit zweierlei Maß mäßen: Einerseits werde islamischen Predigern, die radikale Positionen vertreten, Einhalt geboten, andererseits dürften Medien antiislamische Inhalte verbreiten, ohne mit Konsequenzen rechnen zu müssen. Der Klammersatz dazu ist dann, wenn die Konsequenzen nicht vom Staat gezogen werden, solle man sich nicht wundern, wenn Privatpersonen zur Selbstjustiz greifen.

Dabei wird übersehen, dass Medien in westlichen Staaten, wenn sie religiöse Inhalte kritisieren oder für Satiren verwenden, zum Unterschied von manchen islamischen Predigern nicht zur Gewalt aufrufen, und wenn das geschähe, würde das sofort Konsequenzen nach sich ziehen. Ein Vorteil einer offenen Gesellschaftsform liegt darin, dass Abweichungen vom demokratischen Kurs sofort an die Öffentlichkeit kommen und damit ihre verführerische Kraft verlieren. Im Scheinwerferlicht will niemand intolerant und undemokratisch erscheinen oder traut sich, zu willkürlicher Gewalt aufrufen.

Wer gegen diese Grundlagen der offenen Gesellschaft arbeitet, muss damit rechnen, an die Öffentlichkeit gebracht zu werden. Die Kraft der Publizität lliegt im breiten gesellschaftlichen Konsens, Meinungsverschiedenheiten mit friedlichen Mitteln zu regeln, der ein Kennzeichen der westlichen Demokratien ist (auch wenn es oft mehr Ideal als Realität ist).

Gewaltfreiheit und Meinungsfreiheit gehören eng zusammen. Mit der Fähigkeit, andere Meinungen zu tolerieren, wächst die Fähigkeit, von anderen Meinungen zu lernen und damit in den eigenen sozialen Kompetenzen zu wachsen. Je mehr von diesen Verhaltensmöglichkeiten zugänglich werden, desto weniger wird die primitive Form der Gewalt notwendig. Es stehen viel mehr an eleganteren Alternativen zur Verfügung.

Religionen des Kleinglaubens


Versammeln Religionen vor allem Mimosen unter sich, die sofort leiden, wenn jemand die eigene Religion angreift? Brauchen solche Mimosen nicht eher eine Therapie oder zumindest eine Bestärkung ihres Glaubens als den Schutz des Staates? Warum können wir nicht eine Ebene der Reife von den Menschen einfordern, die besagt, dass es zumutbar ist, die Verantwortung für die eigenen Gefühle zu übernehmen, statt diejenigen zu bestrafen, die diese Gefühle auslösen? Warum können wir nicht verlangen, dass Menschen auf eigenes Risiko am öffentlichen Leben teilnehmen und sich auf eigene Verantwortung dort wieder zurückziehen, wo sie Gefahr laufen, in ihren Empfindlichkeiten gestört zu werden? Das könnte einfach darin bestehen, das eigene Fernsehgerät ab- oder umzuschalten, bestimmte Zeitungen nicht zu kaufen, bestimmten Reden nicht zuzuhören usw. Das würde das Leben der empfindsamen Gläubigen und das öffentliche Leben insgesamt vereinfachen und entlasten. Dann kann jeder seine Meinungen verbreiten, der es will, und jeder die Meinungen rezipieren, der es will. Wem bestimmte Inhalte nicht gefallen, der rezipiert eben nicht und bleibt damit in seinen Gefühlen unverletzt.

Die Phrase, dass niemand die religiösen Gefühle einer anderen Person verletzen dürfe, dient zur Verschleierung der Person hinter den mysteriösen Gefühlen. Die Person muss ihre Gefühle weder erklären noch rechtfertigen, verlangt aber für sich das Recht, selber unhinterfragt respektiert zu werden, ohne sich selber bemühen zu müssen, die Person zu respektieren, die kritisiert. Die absolute Geltung wird auf die eigenen Gefühle gelegt, die allem anderen vorgeordnet wird, seien es die Gefühle der Kritiker oder die Vernunft. Also übernehmen die wegen ihrer Religion beleidigten Menschen keine Verantwortung für ihre Gefühle und konfrontieren sie nicht mit dem Denken oder der Vernunft. Gefühle ohne Verstand führen zu willkürlichen und rücksichtslosen Handlungen. Dieser moralische Mangel wird dann anderen zur Last gelegt, die unter Umständen mit der vollen Wucht der staatlichen Strafgerichtsbarkeit konfrontiert sind.

Was ist das für eine Religion, die solches Verhalten nicht bei den eigenen Mitgliedern zu ändern versucht, sondern statt dessen die Auslöser der Irritationen anklagen? Was ist das überhaupt für eine Religion, die den Staat braucht, um sich vor Verletzung und Beleidigung zu schützen? Wie attraktiv ist eine Kirche, deren Mitglieder sofort gekränkt aufschreien, wenn an ihrem Glauben Kritik geübt wird? Wo ist die Kirche der mündigen und selbstsicheren Menschen, die für sich und ihre Gefühle die Verantwortung übernehmen können?

Eine Kirche, die ihr Ohr vor allem für die Kleingläubigen offen hat und sie in ihrem Kleinmut bestärkt, wird zur Kirche der Kleingläubigen. Eine Kirche dagegen, die sich selber, ihre unterschiedlichen Mitglieder und ihre Praxis in der Gesellschaft immer wieder kritisch beleuchtet, kann sich in die offene Gesellschaft einfügen.

Nietzsche, gnadenloser Kritiker aller Formen von Heuchelei, hat geschrieben: "Eine Art von Redlichkeit ist allen Religionsstiftern und ihresgleichen immer fremd geblieben: Sie haben sich nie aus ihren Erlebnissen eine Gewissenssache der Erkenntnis gemacht: 'Was habe ich eigentlich erlebt? Was ging damals in  mir und um mich vor? War meine Vernunft hell genug? War mein Wille gegen alle Betrügereien der Sinne gewendet und tapfer in seiner Abwehr des Phantastischen?' So hat keiner von ihnen gefragt...." (Friedrich Nietzsche: Die fröhliche Wissenschaft, 4. Buch)

Respekt verdienen jene Glaubensformen, die ihre Anhänger ermutigen, den eigenen Glauben immer wieder zu prüfen und am Alltagsleben zu bewähren. Prüfung heißt, Ego und Vernunft, Gefühle und Reflexion unterscheiden zu können. Wenn die Ausrichtung auf Selbstüberprüfung im Zentrum steht, bleibt kein Raum für empfindliches Beleidigtsein, sondern es kann aus Schwachstellen die Quelle für Veränderung entstehen. Dann wird aus dem Glauben eine Kraft geschöpft, die keine Angst haben muss, vor jeder Kritik einzuknicken und deshalb davor geschützt werden will. Vielmehr kommt die Lust an der intellektuellen Auseinandersetzung und die Bereitschaft, sich und den eigenen Glauben selbstkritisch und humorvoll zu sehen. Nichts unter Menschen ist vollkommen, nichts muss vollkommen sein - das ist die Grundlage von Humor. Humor hat, wer mit der eigenen Identität spielerisch umgehen kann. Wer sie ängstlich fixieren und festhalten will, kann nicht über sich lachen.

Religionskritik und staatliche Willkür


In Ländern, in denen die Religion als Basisideologie des Staates gilt, werden noch immer Menschen verfolgt, die Religionskritik ausüben, weil sie die Grundlagen des Regimes bedrohen. Der gebräuchliche Terminus dafür ist "Beleidigung der Religion". Klar ist, dass Religionen nicht beleidigt werden können, weil sie keine Personen sind. Deshalb wird diese Art von "Verbrechen" genommen, um Gegner des regierenden Regimes zu bestrafen. 

Dazu ein paar traurige Beispiele, die aus meiner Sicht die immanente Grausamkeit der Religionen anzeigen, die die Staatsmacht nutzen, um kritischen Individuen das Kreuz zu brechen und damit das Weiterwachsen von unverantwortlichen Glaubensformen fördern.

  • Saudi-Arabien: Der Blogger Raif Badawi, der für die gleichen Rechte
    unterschiedlicher Religionen kämpft, wurde zu 10 Jahren Gefängnis und 1000 (tausend!) Peitschenhieben verurteilt. 
  • Ägypten: Der Student Karim Ashraf Mohamed al-Bann, der sich selbst als Atheist bezeichnet, hat drei Jahre Gefängnis wegen "Beleidigung des Islams" ausgefasst. 
  • Türkei: Starpianist Fazil Say, Atheist und Regierungskritiker, hat eine bedingte Freiheitsstrafe von zehn Monaten ausgefasst "wegen Verletzung der religiösen Werte eines Teils des Volkes." 
  • Philippinen: Carlos Celdran, Künstler, Satiriker und Aktivist, wegen "Verletzung religiöser Gefühle" zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Grund: Eine Protestaktion vor der Kathedrale in Manila.

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