Sonntag, 31. August 2014

Warum die Geburt im Krankenhaus gelandet ist

Das Gebären von Kindern ist keine Krankheit. Im Gegenteil, es ist ein Prozess, der das Leben weiterbringt, fördert und vermehrt. Deshalb scheint es seltsam, dass es zu einem Teil des Krankenhauslebens wurde - Hospitäler erfunden zur Heilung von Kranken. Die Hausgeburt ist in den reichen Ländern zu einer seltenen Ausnahme geworden, und in den Entwicklungsländern gehen alle, die es sich leisten können, zur Geburt ins Spital.

Um diese Entwicklung zu verstehen, sollten wir drei Aspekte bedenken, die offensichtlich dabei zusammenarbeiten, dass die Geburt auf der ganzen Welt in den letzten Dekaden in die Krankenhäuser überführt wurde.

Erster Gesichtspunkt: Das medizinische Establishment hat mehr Einfluss in der Gesellschaft gewonnen, seit es begonnen hat, mit der modernen Wissenschaft zusammenzuarbeiten. Die Menschen vor Risiken zu schützen wurde ein wichtiges Ziel von Politik und Gesellschaft, und die auf Wissenschaft beruhende Medizin bot ihre Dienste zu diesem Zweck an. Da sie sich auf großartige Erfolge bei der Bekämpfung und Ausrottung vieler Krankheiten berufen konnte, stellte sie ihre Macht unter Beweis, Menschen bei der Verbesserung ihres Leben zu helfen und Risiken zu minimieren. Schließlich übernahm sie auch die Rolle, bei der Geburt die beste Versorgung für Mutter und Kind bereitzustellen - wo sollte es da noch ein Risiko geben, wenn alle Experten mit ihren Instrumenten und Maschinen da sind, während ein Kind geboren wird?

Zweiter Gesichtspunkt: Das Anwachsen von Stress in der modernen Gesellschaft hat besonders auch die Geburt als sehr sensible Lebensphase betroffen. Dazu hat die Verbreitung von unsicheren Bindungsmustern zwischen Eltern und Kindern eine Atmosphäre von Unsicherheit rund um das Gebären bewirkt, sodass schwangere Frauen immer mehr ihren Instinkten misstrauen und statt dessen den Ärzten das Vertrauen entgegen bringen, besser zu wissen, was es bei der Geburt eines Kindes braucht.

Dritter Gesichtspunkt: Das ökonomische System des Kapitalismus beruht auf der Ausbeutung der menschlichen (und natürlichen) Ressourcen. Es benötigt Menschen, die an Stress gewohnt sind. Deshalb ist es im Interesse dieses Systems, dass die Menschen ihr Leben unter gestressten Bedingungen beginnen.


Der Patriarchalismus und die Entfremdung der Geburt


Hebammen haben im Lauf der Geschichte zunehmend ihre unabhängige Rolle als Expertinnen der Geburt verloren. Sie wurden zwar in den medizinischen Apparat aufgenommen, zwischen den Ärzten und den Müttern, aber den universitär ausgebildeten Medizinern untergeordnet.

Es ist eine eigenartige Entwicklung, dass die in der Mehrzahl männlichen Ärzte zu den Experten der Geburt gemacht wurden, während die weibliche emotionale und intuitive Weisheit von Müttern und Hebammen abgewertet wurde, die immerhin während Millionen von Jahren gut genug war, um die Weitergabe des menschlichen Lebens zu gewährleisten. Dabei handelt es sich wohl um einen späten Sieg des Patriarchalismus, nicht nur über das traditionelle weibliche Wissen von der Geburt, sondern auch über die Natur als Ganzer. Die Geburt wurde aus ihrer natürlichen Umgebung herausgelöst und in die künstliche Atmosphäre der Spitäler überführt. So entsteht das neue Leben bereits in maximaler Distanz zur Natur. (Man braucht nur ein modernes Spital zu besuchen, um diese Distanz zu erleben, z.B. gibt es im Wiener Allgemeinen Krankheit kaum Räume, die Zugang zum natürlichen Licht haben.

Diese Ärzte haben keine Ausbildung in emotionalem und intuitivem Wissen, sondern nur darin, wie wissenschaftliche Daten überwacht und "bewiesene" Methoden angewandt werden, die gefährliche Situationen verhindern oder bewältigen sollen. Obwohl bei weitem die meisten Verfahren, die in Spitälern angewendet werden, niemals wissenschaftlich geprüft wurden, wirkt die magische Kraft des weißen Mantels, um den Ärzten die führende Rolle bei der Geburt anzuvertrauen, die ihnen von den Müttern und von der Gesellschaft als ganzer zugeschrieben wird. Werdende Mütter vernachlässigen ihre Intuition und ihre Erfahrungen aus neun Monaten Schwangerschaft zugunsten des überlegenen Wissens von studierten Doktoren. Deshalb wird die Geburt von Menschenwesen immer weniger emotional, empathisch und intuitiv und statt dessen standardisiert und mechanisiert, ähnlich eher einer Geburtsfabrik oder einer hochriskanten Operation als einem mystischen Prozess als Wunder der Natur.

Folglich darf es nicht verwundern, dass sich die Kaiserschnittgeburten in den vergangenen Jahrzehnten sprunghaft vermehrt haben, weit über das medizinisch notwendige Maß hinaus. Medikation und chirurgische Eingriffe wurden zu routinemäßigen Prozessen bei der Geburt. Neue Risiken entstehen wegen der mechanisierten und sterilisierten Umgebung der Spitäler. Kinder werden in eine Welt von Maschinen, künstlichem Licht und gestressten Menschen hineingeboren. Angst ist die einzige Emotion, die im sterilen Kreißsaal zugelassen ist. Jede Spur von Natur wird sorgfältig entfernt und draußen gelassen, sodass das Baby in dieser keimfreien Atmosphäre keine Chance hat, mit der Natur in Kontakt zu treten.


Stress und unsichere Bindung


Unter diesen Umständen ist es extrem schwierig, dass Mutter und Vater eine liebevolle Bindung zum Kind aufbauen. Denn Gefühle werden, so gut es nur geht, ausgeschlossen. Der ganze Apparat ist nicht daran interessiert, emotionale Bedürfnisse zu erfüllen, sondern nur darin, sich um mögliche Risiken zu kümmern, die von außen beobachtet und gemessen werden können.

Der hinter dieser Entwicklung stehende Trend hat mit der Emanzipation der Frauen aus ihrer traditionellen Rolle als Hausfrauen und Kindererzieherinnen zu tun. Indem sie die Welt der Lohnarbeit betreten haben, übernahmen die Frauen auch den externen Stress, der den Kapitalismus regiert. Sie mussten diesen Schritt aus dem grundlegenden Bedürfnis heraus machen, die schicksalhaften Entbehrungen einer hoffungslos verarmten Schicht, durch die Geburt zugeschrieben, hinter sich zu lassen. Wollte eine Familie diesem Los entrinnen, bot die Industriegesellschaft des 19. Jahrhunderts (in Europa und Nordamerika) und später in anderen Teilen der Welt die Möglichkeit der bezahlten Fabriksarbeit. Das Einkommen des Familienvaters alleine war nicht ausreichend, um die Mittel für Überleben und Unterhalt zu erarbeiten. Deshalb haben die Mütter begonnen, ins Arbeitsleben einzusteigen, um ein besseres Leben zu erreichen und der Armut zu entrinnen. Der Preis lag darin, dass die Frauen den Stress der modernen Arbeitswelt übernommen haben, der zu den Belastungen durch das Kindererziehen und der Haushaltsführung dazu kam. Dieser Stress ist anderes als der Stress, der die älteren landwirtschaftlichen Gesellschaften prägte.

So werden also die Kinder in eine Umwelt voll von industrialisiertem Stress hineingeboren. Von früh an sind sie dem Stress ausgesetzt und chronifizieren ihn unbewusst, bis sie ihn an die nächste Generation weitergeben. Babys, die sich schon in ihrer pränatalen Zeit an Stress gewöhnen mussten, werden dann unter Stress geboren. Mütter, deren eigene Pränatalzeit und Geburt von Stress geprägt war, werden dann wieder mit großer Wahrscheinlichkeit ihre Kinder mit Stress gebären.

Gestresste Geburten führen zu belasteten Beziehungen zwischen Mutter und Kind. Medikation, Operationen und Kaiserschnitte haben massive Einflüsse auf Mutter und Kind. Die emotionale Energie, die notwendig ist, um mit diesen Belastungen zurecht zu kommen, reduziert die Möglichkeiten, eine sichere Bindung von beiden Seiten aufzubauen. Deshalb kann die Hospitalisierung der Geburt zur Entwicklung von unsicheren Bindungsmustern führen, die sich in Gewohnheitsmustern von vermeidenden oder ambivalenten Beziehungen im späteren Leben ausprägen, bis sie dann der nächsten Generation weitergegeben werden.

Solche Muster verringern die Fähigkeit des empathischen Beziehens. Es fällt schwer, die Bedürfnisse von anderen sowie von sich selbst zu spüren. Der Fokus ist nach außen gerichtet, sodass Hilfe vor allem von dort erwartet wird. Mütter, die während ihres Lebens und besonders auch während ihrer eigenen Geburt durchlebt haben, fühlen sich in Bezug auf das Gebären inkompetent. Deshalb suchen sie Unterstützung bei externen professionellen Helfern, bei Experten, insbesondere bei Ärzte in ihrem weißen Kittel.


Von Anfang an Stress verinnerlichen


Von der anderen Seite betrachtet, benötigt eine Gesellschaft, die von den ökonomischen Werten des Kapitalismus beherrscht wird, arbeitende Menschen, die ein Maximum an Stress aushalten und bereit sind, ihre Lebenssubstanz bis zum Punkt der Erschöpfung herzugeben. Der Kapitalismus, der vom Drang nach Profitmaximierung angetrieben wird, hat die unvermeidliche Tendenz, alle Ressourcen auszubeuten, die menschliche Lebensenergie eingeschlossen. Ausbeutung erzeugt Stress, und die Welt des Kapitalismus toleriert nur Menschen, die bereit sind, alles zu geben, und die abgehärtet genug sind, um mit ausufernden Forderungen zurecht zu kommen und die mit den Kompensationen, die das System anbietet, leben können.

Also braucht der Kapitalismus Menschen, die an Stress gewöhnt sind, sodass sie nicht bemerken, wann sie die Grenzen ihrer Gesundheit überschreiten. Solche Menschen werden geschaffen, wenn ihr Leben unter Stress und Belastung beginnt. Auf diese Weise wird der Stress internalisiert und damit chronifiziert. Das sind die optimalen Startbedingungen für eine Welt der Ausbeutung und der exzessiven Anforderungen.

Mit der Internalisierung von Stress ist folgendes gemeint: Wenn die äußerliche Quelle für Stress nicht mehr existiert, wie die Peitsche in der Sklavenhaltung, wird der Stress im Inneren aufgebaut. Die innere Peitsche entsteht: Du bist nicht gut genug, du musst mehr arbeiten, du musst bessere Leistungen erbringen. Ein Kind, das in der sterilen Umgebung eines Spitals geboren wurde, muss schnell alle Erwartungen aufgeben über das, was es als wesentlich und als normal ansieht: Eine Mutter, voll des Staunens und der Freude über ihr Kind, Menschen um sie herum, die ihre Bedürfnisse sowie die des Babys unterstützen, in einer liebevollen und fürsorglichen Atmosphäre. Statt dessen regiert der Stress, und das Baby muss mit diesem Stress umgehen, indem es selbstabwertende Annahmen über sich selbst trifft: Ich bin nicht gut genug für diese Welt, um zu empfangen, was ich brauche und verdiene. Ich muss mich verbessern, ich muss mich ändern. Wenn der Kapitalismus eine Person wäre, würde er ausrufen: "Ja, genau so will ich dich, du bist willkommen in der Welt der Ausbeutung!"


Zurück zur Natur in der Geburt


Es gibt also zwei Seiten, die bei der Hospitalisierung der Geburt zusammenarbeiten: die soziale Dynamik des Zeitalters der modernen Industrialisierung als einer objektiven Macht, und der Drang von Menschen, sich ein besseres und sichereres Leben im Rahmen dieses ökonomischen Systems zu schaffen, was die subjektive Seite für diesen Prozess darstellt. Die Wissenschaft spielt dabei eine scheinbar unschuldige Rolle, indem sie diese Entwicklung mit Fakten unterstützt, die die Notwendigkeit der Spitalsgeburt unterstreichen sollen. Aber indem die emotionalen und relationalen Folgen dieser Entwicklung ignoriert werden, dient sie bloß den Interessen der kapitalistischen Gesellschaft.  Die Wissenschaft wird zur kognitiven Absicherung und Affirmation der Instrumentalisierung der Geburt und hat deshalb den Charakter einer Ideologie mit pseudo-religiösem Einfluss angenommen.

Es muss natürlich erwähnt werden, dass die wissenschaftliche Medizin mitgeholfen hat, die Säuglingssterblichkeit sowie die der Gebärenden sowie andere Gefahren bei der Geburt zurückzudrängen. Aber sie hat auch zu einer Steigerung des emotionalen Stresses beigetragen, mit anderen negativen Auswirkungen auf die körperliche und emotionale Gesundheit mit Langzeitfolgen.

Um den Teufelskreisen zu entkommen, die durch die Institutionalisierung der Geburt entstehen, muss "die Natur" so viel wie möglich in den Geburtsvorgang zurückgebracht werden: Natur in Form von emotionaler Intelligenz und uraltem weiblichem Wissen und Können, sowie in der Form einer freundlichen und entspannten Umgebung. Dann kann die normale Geburt wieder zur Norm werden, nämlich eine Geburt ohne Bedarf an institutionaliserter Hilfe, sondern einfach ein Wunder der Natur, die ein wunderschönes neues Lebewesen erschaffen hat, gefeiert von offenherzigen Menschen.



Vgl. Kaiserschnitt als Geburtsmethode

1 Kommentar:

  1. Hier, wie in allen anderen Bereichen des heutigen Lebens, gibt es kein Zurück mehr, da Entwicklungen auch ihr Positives haben.

    Altes hat wiederum nicht nur Nachteile. Der Weg der Mitte - Altes mit Neuem zu verbinden - würde unserer Welt so gut tun! - Warum fällt das so schwer - insbesondere massgebliche Personen und Institutionen? ...

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