Die Studie, die die Auswirkungen von Alkoholmissbrauch in Familien auf die Kinder nachgewiesen hat, wurde in einem früheren Blog vorgestellt.
Kinder aus
Familien, bei denen der Alkoholkonsum eine große Rolle spielt, erleben
von früh an, wie das Trinken von den Erwachsenen zur Stressentlastung
eingesetzt wird. Selber haben sie keine Chance, den Stressoren in ihrer
Umgebung zu entkommen, die durch den Alkoholmissbrauch der Eltern ihr
Leben von Anfang an belasten. So müssen sie von früh an Stress
bewältigen, und übernehmen dann, sobald es geht, den Akohol als Mittel
dafür, so wie es ihnen in der Kindheit vorgelebt wurde.
Der
Teufelskreis ist hiemit in Gang gesetzt, in dem die Menschen vom
Alkohol sukzessive in Besitz genommen werden und ihre Freiheit und
schließlich ihre Würde verlieren. Die innere Anspannung braucht die
Droge zur Entlastung, das Trinken produziert über kurz oder lang
Probleme, die neue Belastungen nach sich ziehen, woraus wieder der Drang
zum Alkoholkonsum entsteht.
Die
fortschreitende Selbstzerstörung, zu der diese Prozesse führen, werden
indirekt von einem Klima der gesellschaftlichen Duldung des
Alkoholkonsums unterstützt. Die schrankenlose Zugänglichkeit der Droge,
ihre Einbindung in viele Rituale, also die Alkoholkultur, die in unseren
Ländern tief im Brauchtum verwurzelt ist, bieten die Rahmenbedingungen
für diese dysfunktionale Form der Stressbewältigung und Kompensation von
Traumatisierungen und emotionalen Vernachlässigungen.
Die
Botschaft lautet einerseits: Alkohol ist harmlos, wir alle trinken ihn,
und sobald du zu den Großen gehörst, darfst du auch davon trinken. Du
darfst auch mal "über die Stränge schlagen" und dich betrinken. Das
Alkoholtrinken bestätigt deine Zugehörigkeit, und auch mit dem
Vollrausch kannst du beweisen, dass du einer von uns bist. Andererseits:
Sobald du eine Grenze überschritten hast, wirst du ausgegrenzt,
verachtet und pathologisiert.
Diese
Doppelgesichtigkeit der Alkoholkultur bildet den gesellschaftlichen
Konflikt ab, der sich darin zeigt, dass die Stressbewältigung
gesellschaftlich normiert wird mit Mitteln, die zusätzliche Probleme
erzeugen, für die wieder die gesundheitssschädigende Substanz als
Bewältigungsstrategie angeboten wird. Wenn jedoch das System
zusammenbricht, wenn also die individuelle Bewältigungsstrategie
scheitert, lässt zugleich das soziale Netz das Individuum fallen. Damit
kann die Alkoholkultur unbeschadet bestehen bleiben, denn es hat ja nur
ein Individuum versagt. Der Alkoholiker wird nun Institutionen am Rand
der Gesellschaft übergeben, die ihm im besten Fall helfen, die
Traumatisierungen der eigenen Lebensgeschichte aufzuarbeiten, während
das Trinken im Zentrum fröhlich weitergeht - fröhlich auch deshalb, weil
es jemand anderen erwischt hat.
In
der Ablehnung der Gesellschaft, Verantwortung für das Los derer zu
übernehmen, die an den angebotenen Bewältigungsstrategien scheitern,
spiegelt sich die Verantwortungsabgabe, die Kinder erleben, wenn die
Eltern nicht wahrnehmen können, was sie ihnen antun bzw. schuldig
bleiben. Die Sinnes- und Bewusstseinstrübungen, die für Alkoholiker und
andere Drogenabhängige symptomatisch sind, bewirken das Ausblenden des
Leides, das anderen zugefügt wird, weil das eigene Leid so dominant
erlebt wird.
Diese
typische Verantwortungsverschiebung der Eltern auf die Kinder, wie sie
in Alkoholikerfamilien auftritt, ist als Beispiel ein Ausschnitt aus den
verschiedenen Formen von Blindheit, die für die meisten Eltern
kennzeichnend ist. Blind sind sie dort, wo ihre eigenen Eltern blind
waren, das ist das Netz der unbewussten Weitergabe von Verletzungen und
Traumatisierungen. Dieses Netz speist sich in die Gesellschaft und ihre
Normen und Rituale ein, und von dort wird wieder die Weitergabe der
schädigenden Muster über die Generationen in Gang gehalten.
Deshalb
können Eltern das nicht, was die Gesellschaft nicht kann. Auch aus
diesem Grund hat die Zuteilung von Schuld an einzelne Individuen oder an
"die Eltern" als Gesamtheit in solchen Fragen wenig Sinn.
Das
heißt aber nicht, dass man dann sowieso nichts machen kann. Im
Gegenteil: Ändern wird sich dort etwas, wo die Zusammenhänge im Ganzen
ins Bewusstsein gerückt und schonungslos zur Kenntnis genommen werden.
Jeder Mensch kann an dieser Einsicht ermessen, worin seine eigene
Verantwortung besteht. Im nächsten Schritt geht es darum, diese
Verantwortung zu übernehmen, so gut es geht. Diese Verantwortung beginnt
bei jeder Person selbst, hört aber dort nicht auf. Sie erstreckt sich
auch darauf, andere an ihre Verantwortung zu erinnern und zu ermutigen.
So kann auch dieser Teufelskreis durchbrochen werden.
Verantwortung
ist ein Schlüssel, den jeder nur selbst nutzen kann, den wir aber
leicht vergessen, sodass wir andere brauchen, die uns aufmerksam machen
(was nur funktioniert, wenn sie das liebevoll machen!).
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