Dienstag, 5. August 2014

Alkoholmissbrauch und die Folgen

Die Studie, die die Auswirkungen von Alkoholmissbrauch in Familien auf die Kinder nachgewiesen hat, wurde in einem früheren Blog vorgestellt. 

Kinder aus Familien, bei denen der Alkoholkonsum eine große Rolle spielt, erleben von früh an, wie das Trinken von den Erwachsenen zur Stressentlastung eingesetzt wird. Selber haben sie keine Chance, den Stressoren in ihrer Umgebung zu entkommen, die durch den Alkoholmissbrauch der Eltern ihr Leben von Anfang an belasten. So müssen sie von früh an Stress bewältigen, und übernehmen dann, sobald es geht, den Akohol als Mittel dafür, so wie es ihnen in der Kindheit vorgelebt wurde. 

Der Teufelskreis ist hiemit in Gang gesetzt, in dem die Menschen vom Alkohol sukzessive in Besitz genommen werden und ihre Freiheit und schließlich ihre Würde verlieren. Die innere Anspannung braucht die Droge zur Entlastung, das Trinken produziert über kurz oder lang Probleme, die neue Belastungen nach sich ziehen, woraus wieder der Drang zum Alkoholkonsum entsteht.
 

Die fortschreitende Selbstzerstörung, zu der diese Prozesse führen, werden indirekt von einem Klima der gesellschaftlichen Duldung des Alkoholkonsums unterstützt. Die schrankenlose Zugänglichkeit der Droge, ihre Einbindung in viele Rituale, also die Alkoholkultur, die in unseren Ländern tief im Brauchtum verwurzelt ist, bieten die Rahmenbedingungen für diese dysfunktionale Form der Stressbewältigung und Kompensation von Traumatisierungen und emotionalen Vernachlässigungen.
 

Die Botschaft lautet einerseits: Alkohol ist harmlos, wir alle trinken ihn, und sobald du zu den Großen gehörst, darfst du auch davon trinken. Du darfst auch mal "über die Stränge schlagen" und dich betrinken. Das Alkoholtrinken bestätigt deine Zugehörigkeit, und auch mit dem Vollrausch kannst du beweisen, dass du einer von uns bist. Andererseits: Sobald du eine Grenze überschritten hast, wirst du ausgegrenzt, verachtet und pathologisiert.

Diese Doppelgesichtigkeit der Alkoholkultur bildet den gesellschaftlichen Konflikt ab, der sich darin zeigt, dass die Stressbewältigung gesellschaftlich normiert wird mit Mitteln, die zusätzliche Probleme erzeugen, für die wieder die gesundheitssschädigende Substanz als Bewältigungsstrategie angeboten wird. Wenn jedoch das System zusammenbricht, wenn also die individuelle Bewältigungsstrategie scheitert, lässt zugleich das soziale Netz das Individuum fallen. Damit kann die Alkoholkultur unbeschadet bestehen bleiben, denn es hat ja nur ein Individuum versagt. Der Alkoholiker wird nun Institutionen am Rand der Gesellschaft übergeben, die ihm im besten Fall helfen, die Traumatisierungen der eigenen Lebensgeschichte aufzuarbeiten, während das Trinken im Zentrum fröhlich weitergeht - fröhlich auch deshalb, weil es jemand anderen erwischt hat.
 

In der Ablehnung der Gesellschaft, Verantwortung für das Los derer zu übernehmen, die an den angebotenen Bewältigungsstrategien scheitern, spiegelt sich die Verantwortungsabgabe, die Kinder erleben, wenn die Eltern nicht wahrnehmen können, was sie ihnen antun bzw. schuldig bleiben. Die Sinnes- und Bewusstseinstrübungen, die für Alkoholiker und andere Drogenabhängige symptomatisch sind, bewirken das Ausblenden des Leides, das anderen zugefügt wird, weil das eigene Leid so dominant erlebt wird.
 

Diese typische Verantwortungsverschiebung der Eltern auf die Kinder, wie sie in Alkoholikerfamilien auftritt, ist als Beispiel ein Ausschnitt aus den verschiedenen Formen von Blindheit, die für die meisten Eltern kennzeichnend ist. Blind sind sie dort, wo ihre eigenen Eltern blind waren, das ist das Netz der unbewussten Weitergabe von Verletzungen und Traumatisierungen. Dieses Netz speist sich in die Gesellschaft und ihre Normen und Rituale ein, und von dort wird wieder die Weitergabe der schädigenden Muster über die Generationen in Gang gehalten.
 

Deshalb können Eltern das nicht, was die Gesellschaft nicht kann. Auch aus diesem Grund hat die Zuteilung von Schuld an einzelne Individuen oder an "die Eltern" als Gesamtheit in solchen Fragen wenig Sinn.
 

Das heißt aber nicht, dass man dann sowieso nichts machen kann. Im Gegenteil: Ändern wird sich dort etwas, wo die Zusammenhänge im Ganzen ins Bewusstsein gerückt und schonungslos zur Kenntnis genommen werden. Jeder Mensch kann an dieser Einsicht ermessen, worin seine eigene Verantwortung besteht. Im nächsten Schritt geht es darum, diese Verantwortung zu übernehmen, so gut es geht. Diese Verantwortung beginnt bei jeder Person selbst, hört aber dort nicht auf. Sie erstreckt sich auch darauf, andere an ihre Verantwortung zu erinnern und zu ermutigen. So kann auch dieser Teufelskreis durchbrochen werden.
 

Verantwortung ist ein Schlüssel, den jeder nur selbst nutzen kann, den wir aber leicht vergessen, sodass wir andere brauchen, die uns aufmerksam machen (was nur funktioniert, wenn sie das liebevoll machen!).

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen