Dienstag, 27. Mai 2014

Das innere Wissen und eine neue Methodologie

Das innere Wissen, das uns über das Spüren in uns hinein zugänglich ist, entsteht erkenntnistheoretisch aus der Erste-Person-Perspektive. Sie bezeichnet die Erkenntnisrichtung, die der Erkennende auf sich selbst lenkt.

"Es gibt eine einzige Wirklichkeit, eine Art von Tatsachen, aber zwei Arten von Wissen - Erste-Person-Wissen und Dritte-Person-Wissen. Obwohl Bewusstsein in Wirklichkeit ein physikalischer Vorgang ist, können diese zwei verschiedenen Formen des Wissens niemals miteinander in Einklang gebracht werden. Selbst wenn wir bis ins letzte Detail über die Hirnzustände einer Person Bescheid wissen sollten, wird uns das niemals erlauben zu erfassen, wie sie sich für die Person selbst von innen anfühlen. Es gibt kein metaphysisches Mysterium, sondern nur zwei grundverschiedene Weisen des Wissens oder Gegebenseins." (Thomas Metzinger, Der Ego-Tunnel. Berlin: Bloomsbury 2009, S. 99)

Das methodisch korrekte Einnehmen der Erste-Person-Perspektive für einen wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn erfordert ein hohes Maß an Selbstreflexion und ethischer Integrität. Denn hier ist die Möglichkeit einer Beeinflussung durch innere Prozesse sehr stark – unzusammenhängende Gedanken und Fantasien können in das Beobachtungsergebnis einfließen. Der Forscher benötigt die Unterscheidungskraft zwischen Empfindungen, Gefühlen und gedanklichen Interpretationen. Diese Fähigkeit muss geschult sein, und bei einem ähnlichen Grad der Ausbildung dieser Funktion können Ergebnisse der Innenbeobachtung dann vergleichbar sein und einer methodischen Auswertung dienen.


Übersetzungsprozesse


Ein Beispiel: Wollen wir das Zellgedächtnis in der Innenperspektive für eine methodisch abgesicherte Erkenntnis zugänglich machen, brauchen wir die Fähigkeit, Empfindungen von Gefühlen, Bildern und Gedanken unterscheiden zu können. Körperempfindungen sind die direkteste Form der Übersetzung von Informationen, die auf Zellebene abgespeichert sind, in das Bewusstsein.

Dazu brauchen wir die Fähigkeit, bottom-up-Übersetzungsprozesse wahrnehmen und verbalisieren zu können und sie von top-down-Übersetzungsprozessen unterscheiden zu können.

Unter Bottom-Up-Übersetzungsprozessen verstehe ich die Übertragung von Information aus der unbewusst ablaufenden „Sprache“ auf der Körperebene in die „Sprache“ von Empfindungen, von dort in die „Sprache“ von Gefühlen und Bildern und schließlich in die verbale Sprache. Ich verwende den Begriff der Sprache für Formen der Informationsvermittlung auf allen Stufen des Lebens und verstehe die verbale Sprache als die am weitesten entwickelte und komplexeste Form der Sprache (vgl. den Beitrag über organische Kommunikation).

Die erste bewusst wahrnehmbare innere Erfahrung ist uns auf der Ebene der Empfindungen zugänglich. Die Sprache dort ist einfach, sowohl was die Grammatik als auch was den Wortschatz anbetrifft. Auf der nächsten Ebene, bei den Gefühlen, ist die Sprache schon komplexer und farben- und nuancenreicher, ebenso auf der Ebene der Bilder, und um geradezu unendlich vieles mehr dann auf der Ebene der Wortsprache.

Top-Down-Übersetzungsprozesse verwenden wir, wenn wir von der Ebene des bewussten Denkens aus auf die organischen Abläufe einwirken wollen. Beim methodisch korrekten Vorgehen im Sinn einer Erste-Person-Perspektive müssen wir zwischen Bottom-Up und Top-Down unterscheiden können. Wollen wir Übersetzungsprozesse rekonstruieren und reflektieren, benötigen wir diese Unterscheidungsfähigkeit, weil uns sonst Irrtümer (vergleichbar den Prä-Trans-Verwechslungen) unterlaufen: Bilder oder gedankliche Konzepte werden für Inhalte des Zellgedächtnisses gehalten, ohne dass wir deren Übersetzungsprozesse rekonstruiert hätten.

Aufgrund ihrer enormen Komplexität ist die verbale Sprache und das mit ihr verbundene Denken zu freier Kreativität fähig, die sich z.B. in der in jede Beliebigkeit schweifende Fantasie Ausdruck verleihen kann. Durch die Fähigkeit zum assoziativen Denken können wir Nichtexistentes zur Existenz bringen. Wenn wir aber bei einer Fantasie vermeinen, dass ihre gedankliche Existenz auch „außerhalb unseres Kopfes“ real wäre, dann täuschen wir uns selbst und werden im schlimmsten Fall psychotisch. Wir betreiben eine Art von unbeabsichtigter Geschichtsfälschung, wenn wir uns auf unsere Fantasie bei der Regression in frühere Lebensphasen verlassen. Sie kann sehr leicht aus den Ängsten entspringen, die wir eigentlich mit der Innenreise in die Vergangenheit auflösen wollten. Tatsächlich nützen dann die Abwehrkräfte, die uns vor den Ängsten schützen, die Fantasieproduktionen, um sich besser verstecken zu können. 


Top-Down-Selbsttäuschungen


Das Zellgedächtnis lässt sich nicht einfach durch Top-Down-Recherchen aufschließen. Das hängt vermutlich damit zusammen, dass die Komplexität auf der abstrakt gedanklichen Ebene auf der Zellebene nicht verstanden wird, sodass die Fragen, die das Denken an die Zellspeicher stellen will, dort nicht verstanden werden können und damit der Verstand in sich selbst die Antwort sucht. Damit verfängt er sich in einer Schleife der Selbstbespiegelung. Werden jedoch die Körperempfindungen als Ausgangspunkt für die Recherche genommen, kann die Kommunikation mit den höher entwickelten Informationszentren gelingen.

Die Speicherungen auf der organischen Ebene können auch nicht einfach durch Top-Down-Anweisungen überschrieben werden, wie es z.B. in den Schulen des positiven Denkens versucht wird: Ich denke positive Gedanken und male mir innerlich positive Bilder aus, die dann auf der Ebene der Körperzellen Heilung bewirken sollen. Der Fehler liegt darin, dass ich aus der Sicht „von oben“ die Störung nicht kenne und erkenne, die auf der Zellebene vorliegt, und deshalb nicht spezifisch auf sie einwirken kann.

Das einzige, was ich durch diese Prozesse erreiche, ist eine Form der Entspannung, die dann bei einer möglichen Heilung mitwirkt, die ich dann vermeintlich dem positiven Denken zuschreibe, wie ein Arzt, der dem Kranken Mut zuspricht und das Vertrauen vermittelt, dass er schon gesund werden wird, ohne etwas für die eigentliche Krankheit zu tun. Er kann damit vieles bewirken, vielleicht auch zufällig die Heilung der Krankheit. Aber, wie wir von den Forschungen zu den Placebo-Effekten wissen, bleiben dieses Wirkungen zufällig, d.h. sie können nicht beliebig reproduziert werden und treten bei denen einen auf und bei den anderen nicht, ohne dass wir wissen, was dafür die Gründe sind. Doch der Kranke mag annehmen, dass der Arzt über magische Heilkräfte verfügt.


 

Die Zukunft:
Methodisch abgesicherte Erkenntnisse
aus der Erste-Person-Perspektive


Diese Fähigkeiten zu erwerben erfordert eine eigene Ausbildung, ein Training in Innenschau (Introspektion), Unterscheidungsfähigkeit und Intuition. Solche Trainings können standardisiert werden, d.h. die Fähigkeiten können in strukturierten Bildungsvorgängen erlernt werden und deren Beherrschung kann mittels geeigneter Verfahren überprüft werden.

Diese Fähigkeiten vorausgesetzt, können Forscher zu intersubjektiv vergleichbaren und reproduzierbaren Ergebnissen zu Innenerfahrungen gelangen, die wissenschaftliche Gültigkeit beanspruchen können.


Ich danke Wolfgang Fellner für viele Anregungen zu diesen Gedankengängen.

Vgl.:
Das innere Wissen und sein Beitrag für diese Welt

Die Verdinglichungstendenz

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