Montag, 6. Mai 2013

Quantenphysik und Quantenheilung - zwei Paar Schuhe

Quantenheilung, Quantenatmung, Quantum Tao, Quantum Touch, Chinesische Quantum-Methode, Quantenbewusstsein,…. Der Psychomarkt hat sich verliebt in einen Begriff, den der Physiker Max Planck 1900 eingeführt hat. Was hat es mit den Quanten auf sich?

Die Physik hat einige seltsame Entdeckungen im Reich der Quanten (oder der Photonen, wie sie heute genannt werden) gemacht. Teilchen können an einem Ort und gleichzeitig an einem anderen sein. Der Beobachter beeinflusst das, was er beobachtet. Teilchen reagieren aufeinander über Entfernungen, ohne dass dabei Zeit verstreicht (Quantenverschränkung, Quantenteleportation). Es war die Rede von Quantensprüngen, Veränderungen, die blitzschnell erfolgen und bei denen während der Veränderung nichts über den Zustand erkannt werden kann.

Unser alltägliches Denken als Nicht-PhysikerInnen kommt da nicht mehr mit. Wir staunen. Wir sind beeindruckt und fasziniert. Damit gewinnt der Begriff der Quanten den Glanz des Geheimnisses.

Wenn wir in die Welt der Psyche einsteigen und die tieferen Schichten erforschen, kommen wir auch ins Staunen, sind beeindruckt und fasziniert, was sich da verändern kann. Manchmal haben wir sogar den Eindruck, dass ein Sprung auf eine neue Bewusstseinsstufe oder in eine neue Freiheit erfolgt ist, ohne dass wir wirklich erkennen, wie das abgelaufen ist.

Also braucht es uns nicht zu verwundern, dass die Metaphorik der Quantenphysik verlockend wirkt. Viele von uns haben vielleicht die Physik als trockenes Unterrichtsfach in Erinnerung, das mit den eigenen Interessen im Leben am allerwenigsten Nähe von allen Fächern aufwies. Wie schön, wenn sich jetzt die Möglichkeit einer Analogie zeigt. So ähnlich wie es uns bei den Innenreisen ergeht, mag es vielleicht diesen quantischen Photonen gehen, wenn sie durch Doppelspalten geschossen werden und sich auf der anderen Seite in ihrem Wesen völlig verändert wiederfinden.

Im Großen wie im Kleinen


Ab und zu geraten wir auch in die Horizonte eines in alle Richtungen sich weitenden Universums, in dem wir alles mit allem als inniglich verbunden erleben. Im Großen wie im Kleinen gelten die gleichen Regeln und Verknüpfungen. Oder, wie schon ein dem Hermes Trismegistos zugeschriebener  hellenistischer Text sagte: „Du kannst darum das Große im Kleinen und im Kleinen das Große erkennen.“

Weil uns das so vertraut erscheint, beginnen dann gleich findige Geister gigantische Bögen zu spannen, von der winzigsten aller Welten in die Weiten des Universums. Sie behaupten dann, dass die Ebene der Quanten, die winzigsten Teilchen der Materie, mittels psychischer oder schamanistischer Techniken erreicht und verändert werden können. Denn was im Großen wirkt, muss auch das Kleine mit sich ziehen. Und so freuen sie sich im Glauben, modernste Wissenschaften mit den Praktiken der frühesten Menschen verbinden zu können.

Die Physiker allerdings erkennen aufgrund ihrer wissenschaftlichen Einsicht, dass die quantenmechanischen Gesetzmäßigkeiten nur auf der untersten Ebene gelten und sich nicht auf komplexere Ebenen übertragen lassen. Die sich verdichtende Materie kann sich also nicht mit Gleichartigem verschränken und teleportieren. Sie kann nicht an zwei Orten gleichzeitig aufscheinen. Für ihre Welt gelten andere Regeln und Gesetzmäßigkeiten.

Quanten-Marketing


Folglich wird klar, dass die Nutzung des Quantenbegriffes in Bezug auf psychische Heilungsmethoden ein Marketing-Gag ist. Begriffe erzeugen innere Bilder, innere Bilder erzeugen Gefühle, Gefühle erzeugen Motivationen, Motivationen erzeugen Handlungen. So funktioniert Marketing, die Kette von der Wahrnehmung bis zum Kauf soll damit geschlossen werden, und das magische Wort „Quantum“ hat die gewünschte Wirkung entfaltet. In der Vielfalt des Angebotes auf dem Markt der Seelenführer greifen wir auf vertraute oder Vertrauen erweckende Metaphern zurück, um uns zu orientieren. Die Grenze zum Verführen ist da allerdings immer auch recht durchlässig.

So heißt es z.B. in einem Werbetext:
„Was ist Quantenheilung? Es ist eine praktische Anwendung der Quantenphysik, laut der jede Realität als Energie bzw. Schwingung beschrieben werden kann. Mit der sehr leicht zu erlernenden 2-Punktmethode kann durch reine Absicht eine Umprogrammierung auf subatomarer Ebene herbeigeführt werden.“

Ob das so stimmt oder nicht, kann wissenschaftlich nicht nachgewiesen werden. Wie sollte eine Messung von subatomaren Photonen während einer Sitzung in Quantenheilung ablaufen, welche „Umprogrammierung“ sollte da stattfinden? Photonen ändern bei quantenmechanischen Experimenten ihre Drehrichtung, ihren Spin, aber was heißt da Umprogrammierung, wenn es in ihrer Welt gar keine festgelegten Programmierungen gibt? Und schon gar: Eine gute therapeutische Sitzung sollte der Klienten nach der Sitzung ein besseres Gefühl geben als vorher. Blöderweise kennen Photonen kein Vorher und kein Nachher…

Die angewendete Methode kann gute heilende Erfolge bewirken, wie viele andere Methoden auch, die sich nicht auf die Quantenphysik berufen. Darum sollte beides nicht in einen Topf geworfen werden, denn skeptisch denkende Menschen werden sofort mit guten Argumenten die Analogie zwischen z.B. dem komplexen Funktionieren eines Gehirns und dem Verhalten von Photonen zurückweisen und auf die Unmöglichkeit hinweisen, die Erkenntnisse der Quantenwelt auf die der Moleküle zu übertragen, geschweige denn, auf die der Zellen, geschweige denn auf die eines Megazellenverbandes wie das menschliche Gehirn.

Die skeptischen Leute werden aber dazu neigen, die Methode samt ihrem Erklärungsmodell zu verdammen: Wer so windige Theorien entwickelt, kann keine gute therapeutische Arbeit zustande bringen. Manche kompetente Praktiker veranlasst ihre vielleicht zu schwach entwickelte theoretische Kompetenz zu geistigen Höhenflügen, die sie dann in Sphären führt, wo die Luft dünn wird, ohne dass sie das merken. Damit geraten sie schnell ins Visier der kompetenten Theoretiker, die allerdings oft kein Verständnis und noch weniger Gespür für die therapeutische Praxis haben.

Und so entbrennen schnell unnötige Glaubenskämpfe, unnötig deshalb, weil die angewendeten Methoden, falls sie hilfreiche Wirkungen und keine Schäden hervorrufen, nicht in ihrem Wert geschmälert oder diskreditiert werden sollen, und andererseits die Forderungen der Skeptiker nach einer klaren Terminologie und einem redlichen Gebrauch der Wissenschaften, auch im Sinn eines kritischen Verbraucherschutzes, Respekt und Beachtung verdienen.


Vielleicht ist es am besten, die Quanten in ihrer Quantenwelt zu lassen und uns an den Erkenntnissen der Physiker zu erfreuen, soweit sie Eingang in unseren Verständnishorizont finden, und den sonstigen Gebrauch des Wortes als das zu sehen, was es ist: Eine bestenfalls kreative Wortschöpfung, die auf Automarken und Hedgefonds ebenso angewendet werden kann wie auf Eislutscher oder Therapie- und Coaching-Methoden.


"Der Missbrauch quantentheoretischer Begrifflichkeiten zur Bewerbung und pseudowissenschaftlichen Autorisierung von allerlei Heilmethoden, diversen Apparaten und self-help-Accessoires ist nicht zu rechtfertigen und sollte im Allgemeinen eher zu Misstrauen gegenüber der Seriosität der Anbieter anregen." (Nikolaus v. Stillfried, Quantenphilosophische Ideen zu Fragen des Bewusstseins. In: Bewusstseinswissenschaften, 19. Jahrgang 1/2013, S. 53)

Literatur zur Quantenphysik:
Anton Zeilinger: Einsteins Spuk. Teleportation und weitere Mysterien der Quantenphysik (Goldmann 2007)
Jeffrey Satinover: The Quantum Brain. The Search for Freedom and the Next Generation of Man (Wiley 2001)


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