Donnerstag, 8. November 2012

Unser liebes Eigentum

Ein Prozent der Österreicher verfügt über ein Viertel des gesamten Geldvermögens. Das ärmste Zehntel der Österreicher verfügt über maximal 1000 Euro. Vor langer langer Zeit gehörte allen alles, oder kaum jemandem etwas. Was ist seither passiert, und wie könnte oder sollte es bei diesem Thema weitergehen? 

In der österreichischen Debatte um Vermögenssteuern, Eigentums- oder Reichensteuern (so benannt je ideologischem Standpunkt) hat ein maßgeblicher Vertreter einer Partei gemeint, bereits in der Volksschule lernten die Kinder den Unterschied zwischen Mein und Dein, folglich sei jeder Angriff auf das Eigentum abzuwehren. Nun können wohl schon Sandkistenkinder zwischen ihrem und einem fremden Schauferl unterscheiden. In der Grundschule (in der ich mein Lineal mit der Warnung beschriftet habe: Gottes Aug ist überall, drum stiehl mir nicht mein Lineal) sind wir schon fest in die Eigentumsordnung eingegliedert und erwerben dazu noch eine Vorstellung von reich und arm, samt der Einordnung, wo wir und unsere Familie selbst hingehören. 

Zur Geschichte des Eigentums 


Wenn wir einen Blick auf die Evolutionsgeschichte unseres Bewusstseins werfen, landen wir anfangs in einer langen Zeitepoche, in der der Eigentumsbegriff eine ganz untergeordnete Rolle spielte. Die frühen Stammeskulturen verfügten über so wenig Dinge, waren also in unserem Sinn so arm, dass sich das „Mein“ und „Dein“ auf kleine Gegenstände beschränkte. Da diese Menschengruppen sehr mobil waren, machte es auch keinen Sinn, sich viel Besitz anzueignen, der dann von einem Ort zum andern geschleppt werden musste. Es wusste jeder, was jedem gehörte, und damit hatte Diebstahl keinen Sinn. 

 Erst als sich die Landwirtschaft und damit die Sesshaftigkeit entwickelte, bekam der Eigentumsbegriff und damit der Unterschied zwischen arm und reich eine zentrale Stelle im Bewusstsein der Menschen. Grund und Boden und was darauf angepflanzt war, wurde zur Lebensgrundlage, und die Verfügungsgewalt darüber zu einer Frage des Überlebens. Wurde die Ernte gestohlen oder das Ackerland verwüstet, bedeutete das Hunger oder Hungertod. 

Aus diesem Grund sind wir bis heute bei der Frage des Eigentums sehr empfindlich, und umso mehr, je mehr wir davon haben. Das römische Recht definierte den Unterschied zwischen Besitz und Eigentum, wie er in einer bürokratisch geordneten Gesellschaft Sinn machte. Besitz ist das, was jemand hat, und Eigentum das, was ihm rechtens, also durch den Staat festgelegt, gehört. Damit wird klargestellt: Es ist der Staat, das Gemeinwesen, das festlegt, wer über welches Eigentum verfügen kann. Seither kam es zu einer exorbitanten Vermehrung von Eigentum durch den Reichtum, den die Menschheit in Folge der Industrialisierung erzeugte. 

1840 schockierte Pierre Joseph Proudhon mit dem Buchtitel „Eigentum ist Diebstahl“. Er stellte mit dieser Provokation eine Grundlage der bürgerlichen Gesellschaft in Frage. Es ging ihm dabei aber nicht um das Bett oder den Blumentopf, den jemand besitzt, sondern um die Produktionsmittel, über die einzelne Privatpersonen verfügen können, um sich am Gewinn zu bereichern, der von den Arbeitern, die sie bedienen, erwirtschaftet wird. 

Karl Marx machte diese Idee zum Antrieb für eine Revolution. Durch die Vergesellschaftung der Produktionsmittel, also durch ihre Überführung vom Privat- zum Gemeineigentum, sollte der produzierte Mehrwert den Arbeitern selber als Gewinn zukommen. In der Folge entstanden die sozialistischen Gesellschaftssysteme, die ohne durchschlagenden Erfolg versuchten, die Wirtschaft vom Privateigentum zu befreien. Am Scheitern der staatssozialistischen Konzepte sind verschiedene Umstände schuld, z.B. die Verquickung der Vergesellschaftung mit der Beschränkung der persönlichen Freiheitsrechte in den sogenannten sozialistischen Gesellschaftssystemen bis heute. Vom Modell der Bewusstseinsevolution aus betrachtet, handelt es sich dabei um einen Rückgriff auf die vorkapitalistische Stufe der Bürokratisierung, was nicht gut gehen konnte. 

Der gemäßigte Versuch, den fast alle nichtsozialistischen Länder beschritten, bestand darin, das Wirtschaftseigentum zu besteuern und damit einen Teil des Mehrwertes in die Gesellschaft zurückfließen zu lassen. Damit bleibt der Gedanke des Schutzes des Eigentums gewahrt, ebenso der Unterschied zwischen arm und reich. 

Es wird folglich das Eigentum als unverletzlich erklärt, so im österreichischen Staatsgrundgesetz von 1867 (Art. 5) und im 20. Jahrhundert in der UN- Menschenrechtskonvention. Zwar gibt es in allen Gesetzbüchern Einschränkungen dieses Grundrechts auf Eigentum, z.B. „wenn es das allgemeine Beste erheischt“, wie es im ABGB heißt, können Enteignungen vorgenommen werden, doch sind diese Eingriffsrechte dem Grundrecht untergeordnet und müssen sachlich gerechtfertigt werden. 

 Als Folge dieser Kodifizierung des Eigentumsrechts und der damit abgesicherten kapitalistischen Wirtschaftsdynamik gibt es in fast allen Staaten der Welt eine dünne Schicht von Menschen, die über riesige Vermögen verfügen, während die große Masse der Menschen in Armut darbt oder neidvoll in mäßigem Wohlstand lebt. Diese Schere geht munter weiter auseinander, und das, was ursprünglich niemandem oder allen gehörte, fließt zu einem großen Teil in die Taschen von immer weniger und immer reicheren Menschen. 

Eigentum in der Konsumwelt – das Fetisch 


 Zusätzlich aufgeladen wird der Eigentumsbegriff durch die Entstehung der Konsumwelt mit ihrem Überangebot an Waren und Dienstleistungen. In dieser Welt lernen wir fortwährend, uns selbst über Dinge zu definieren, die uns gehören. Meine Ich-Identität ist auf meinem Eigentum begründet. So kann schon der Nichtbesitz eines Gegenstandes Selbstwertprobleme auslösen: Wie zu lesen war, trauen sich erwachsene Menschen nicht, bei einem Meeting ihr „überholtes“ Blackberry-Handy zu benutzen, weil alle anderen mit einem schicken neuen Smartphone hantieren. Nicht wirklich herzerschütternd, aber interessant, wie wir immer mehr dazu neigen, uns über Dinge selbst zu erleben. 

Das Eigentum wird psychologisiert, d.h. in die Psyche eingebaut, die damit ein Sammelsurium von Gefühlen, Gedanken und Dingen wird. Das hilft der Illusion, dass unser Ich durch Dinge größer, wichtiger, bedeutender, einflussreicher und attraktiv wird. Je teurer das Ding ist, das ich besitze, desto wertvoller bin ich selber. Je schöner das Ding, desto attraktiver bin ich selbst usw. Der Verlust von Dingen kann dann noch bedrohlicher erlebt werden, weil Dinge vom eigenen Körper nicht mehr klar unterschieden werden können. Dinge werden kaputt, und damit ein Teil des Ichs. Die Quellen des Leidens wachsen mit jedem Ding, in das wir unsere Gefühle investieren. Manchen tut es physisch weh, wenn ihrem Auto ein Schaden zugefügt wird. Diebstahl von Eigentum wird wie Körperverletzung erlebt. Kommt es daher, dass in den Grundgesetzen von der „Unverletzlichkeit des Eigentums“ die Rede ist? 

Die Welt der Dinge, die uns und zu uns gehören, wächst und wächst, auch wenn wir immer wieder Sachen wegwerfen. Scheinbar wachsen wir damit auch in unserer Persönlichkeit (je größer das Auto ist, das ich mein Eigentum nenne, desto größer bin ich selber). Allerdings ist es nur das Ego, das da wachsen kann, in die Sphäre einer unentrinnbaren Vergänglichkeit hinein. Wie können wir die Fetischisierung des Eigentums, wie sie ein Wesensmerkmal des Materialismus darstellt, eindämmen und einen Ausweg finden aus der Falle, die sich mit dem Eigentumsbegriff stellt? 

Eigentum in systemischer Perspektive 


Wie oben gesagt: Dinge gehören ursprünglich niemandem, wie die Luft und früher einmal der Boden, die Erde. Die Ureinwohner Nordamerikas konnten deshalb nicht verstehen, warum die Weißen ihnen Land abkaufen wollten, wo es doch den Göttern oder den Ahnen gehört. 

Erst, wenn jemand Dinge in Besitz nimmt und zu seinem Eigentum erklärt, werden sie es. Die anderen müssen da noch zustimmen, sonst kann es zu Streit kommen, wenn es jemand anderer auch will. Der Ausgang des Streites entscheidet, wem es dann gehört. Es werden Rechtsnormen entwickelt, die festlegen, wer über rechtmäßiges Eigentum verfügt und wer nicht. 

Tendenziell begünstigen diese Normen bestimmte Personengruppen und benachteiligen andere, sodass über die Verteilung von Eigentum soziales Ungleichgewicht und soziale Differenzierung eingeführt wird. Schließlich wird das Recht auf Eigentum zu den Grundrechten dazugenommen (in die französische Verfassung von 1789 haben es natürlich die Begüterten hineinreklamiert) und erhält Verfassungsrang. 

Jedoch ist dieses Grundrecht eines der bürgerlichen Gesellschaft, und nicht, wie etwa das Grundrecht auf die Freiheit der Person, noch viel tiefer im tribalen Menschheitsbewusstsein verwurzelt. Menschliche Gemeinschaften können nur funktionieren, wenn die Freiheit jedes Einzelnen geachtet wird. Dagegen ist die Achtung des Eigentums keine konstituierende Voraussetzung für menschliches Zusammenleben. Solches ist denkbar mit oder ohne individuelles oder kollektives Eigentum. In Familien muss kein Einzelner den Fernseher oder das Küchengeschirr besitzen. Es gibt Bettelmönche, die auf jedes Eigentum verzichten. Christliche Ordensgemeinschaften kennen auch kein individuelles Eigentum (Armutsgelöbnis). 

Eigentum steht in der Geschichte der Aneignung der „Schöpfung“ oder der Natur, oder dessen, was nicht Mensch ist (wobei der Eigentumsbegriff irgendwann einmal sogar auf den Menschen ausgeweitet wurde, als die Sklaverei erfunden wurde). Da Menschsein immer gemeinschaftlich verfasst ist, ist auch das Eigentumsrecht aus einer Konvention der Menschen abgeleitet. Man einigt sich darauf, dass ein bestimmtes „herrenloses Gut“ einem Einzelnen zu Eigen wird, ihm gehört. Damit könnte die Gemeinschaft auch bestimmen, dieses Gut wieder zu verallgemeinern. Manchmal, z.B. in Opferriten, wird individuelles Eigentum wieder der Natur zurückgegeben. 

 Mit der Verkomplizierung der Wirtschaftsweise durch Landwirtschaft, Handel und Gewerbe wurde der Schutz des Eigentums zur zentralen Voraussetzung des Funktionierens. Deshalb gab es z.B. in der frühindustriellen Zeit drakonische Strafen für minimale Diebstahlshandlungen. Ohne Rechtssicherheit in Bezug auf das Eigentum macht die Produktion und der Vertrieb von Waren keinen Sinn. Diese Einstellung wurde zur Selbstverständlichkeit, bis schließlich das Eigentumsrecht als natürlich empfunden wird und so einleuchtend ist, wie das Recht auf die Unverletzlichkeit der Person. 

Allerdings bleibt der grundlegende Unterschied zwischen Person und Sache, Eigentum ist Sache und muss einen anderen Stellenwert als die Person haben. Dieser Unterschied, der den ersten Sozialformen der Menschheit selbstverständlich war und im Lauf der Bewusstseinsevolution immer mehr verwischt wurde, muss für eine künftige gerechtere Gesellschaftsordnung wieder absolut klargestellt werden, und damit wankt das Dogma des Eigentums. 

Wir stehen an der Schwelle einer neuen Bewusstseinsebene, dem systemischen Bewusstsein. Vor ihm hat nichts Bestand, was sich einfach nur auf Tradition und ankonditionierte Werte stützt. Alle heiligen Kühe werden geschlachtet. Wenn wir lernen, das systemische Bewusstsein zu adaptieren, braucht es deshalb auch eine neue Reflexion über das Eigentum. Wir können nicht einfach als gegeben hinnehmen, dass einige wenige wesentlich mehr Eigentum haben als die vielen anderen und damit mehr Einfluss und mehr Macht in der Gesellschaft ausüben können. Allerdings scheint diese Frage zu den schwierigsten und kniffligsten zu zählen, die am Übergang zu einer systemischen Gesellschaftsordnung gelöst werden müssen. Ich kann hier auch nur ein paar Schemen von dem skizzieren, was kommen kann, wenn nicht muss. 

Da grundsätzlich und ursprünglich allen alles gehörte, kann eine Menschheit nicht im Frieden mit sich sein, wenn die Unterschiede im Eigentum so gravierend sind. Je gleichmäßiger die Verteilung erfolgt und je mehr sie sich an Kriterien des Gemeinwohls orientiert statt an privater Bereicherung, desto ausgeglichener und reibungsfreier wird die Gesellschaft funktionieren, vorausgesetzt, dass die Menschen die systemische Vernunft verstanden und integriert haben. Es müssen die Ängste bewältigt sein, die mit dem Verlust von Individualeigentum verbunden sind. Dann wird sich ein neuer Bedürfnismix entwickeln, in dem die Antriebe der Gier und der Habsucht fehlen und statt dessen mehr Raum für gemeinschaftliche Motivationen frei wird. 

Wenn sich die emotionale Besetzung von Dingen abschwächt und die Emotionen in den zwischenmenschlichen Bereich zurückkehren, wo sie ihren eigentlichen Ort haben, dann wird die Lösung vom Haben- und Besitzenwollen leicht fallen. Dabei wird es immer eine Sphäre von einfachen Dingen geben, die der Einzelperson zu Eigen sind. Jedes Kind wird weiterhin seine Lieblingsspielzeuge besitzen wollen, und wer gerne ein besonderes Schmuckstück bei sich haben will, soll dieses weiter behalten. Aber viel mehr von den größeren Dingen und Gütern werden in einer Art von Allgemeineigentum stehen, sodass die Einzelnen nicht für sich und aus sich heraus Reichtum anhäufen, sondern durch die und mit der Gemeinschaft ihre Wohlhabenheit definieren. 

Es wird sich dann die Vorstellung ausbreiten, dass die Dinge, über die wir verfügen, Leihgaben sind, nicht von bestimmten anderen Menschen, sondern vom größeren sozialen Ganzen, von dem wir erhalten, was wir brauchen, um ein gutes Leben führen zu können, und dem wir zurückgeben, was wir nicht mehr brauchen und was anderen zugute kommen kann. Wie wir gelernt haben, innerhalb einer funktionierenden Familie die Güter gemeinschaftlich zuzuteilen, kann es auch im größeren Rahmen ablaufen, wenn die entsprechenden von allen akzeptierten Mechanismen der Willensbildung eingeführt sind. 

Auch wenn allen alles gehört, braucht es eine Verteilung in der Nutzung der Güter. Nicht jeder kann alles gleichermaßen gebrauchen. Deshalb wird es immer auch Unterschiede im Eigentum geben. Doch sollte diese Verteilung flexibel bleiben, also nicht in das alleinige Verfügungsrecht Einzelner übergehen. Wenn sich Menschen nicht mehr über ihren Besitz definieren, hängen sie auch nicht mehr emotional an der Verfügungsmacht über Dinge. Wie Ämter und Entscheidungspositionen nur so lange ausgeübt werden, wie das für das Gemeinwohl sinnvoll ist, wird auch die Nutzung von Dingen dann aufgegeben, wenn sie nicht mehr im größeren Zusammenhang vernünftig sind. 

Zum Beispiel kann der Besitz eines Autos an den Wohnort geknüpft sein – überall, wo es eine gute Anbindung an öffentliche Verkehrsnetze gibt, wäre die Autonutzung nicht sinnvoll, außer für Transporte oder größere Reisen. Dafür könnten auch gemeinschaftlich genutzte Fahrzeuge zur Verfügung stehen. Wer in entlegenen Gebieten wohnt, könnte die individuelle oder familiale Nutzung eines Autos zugesprochen bekommen, die bei einer Übersiedelung in ein besser erschlossenes Gebiet wieder entzogen wird. 

Was den Wohnort selber betrifft, werden individuelle Vorlieben einen Stellenwert behalten – der eine will mehr in der Stadt, die andere mehr am Land leben. Doch sind sie nicht die einzige Richtschnur, sondern z.B. auch der Ort der Tätigkeit, die jemand ausführt, die sinnvollerweise in der Nähe der Wohnung lieben sollte. Es werden die Menschen nicht mehr als vernünftig und stimmig erachten, zwischen Wohn- und Arbeitsstelle große Distanzen zu legen, und sie werden auch die Flexibilität aufbringen, den Wohnort mit der Arbeitsstelle zu wechseln, sobald die Wohnung oder das Haus nicht ihr Eigentum ist, zumal auch die Unterschiede in der Lebensqualität zwischen verschiedenen Wohnmöglichkeiten geringer werden. 

Eigentum und Leistung 


„Leistung muss sich lohnen“, lautet ein politischer Slogan. Über Leistung soll Eigentum zugeteilt werden, so will es die liberale Doktrin. Wer mehr leistet, soll mehr vom Kuchen kriegen. Eigentum ist Leistung, die als Immobilie oder als ein Berg von Aktien zur dinglichen Wirklichkeit gelangt. Auch dem systemischen Bewusstsein ist klar, dass jede Leistung auch eine adäquate Anerkennung finden sollte. Jede Leistung, das heißt also nicht nur das Leiten einer Firma oder das Lenken eines Flugzeugs, sondern auch die Obsorge für ein menschengerechtes Aufwachsen der Kinder oder eine menschengerechte Pflege alter Menschen, dazu gehört ein Einkauf für einen bettlägrigen Nachbarn oder ein unterstützendes Gespräch mit einer problembeladenen Bekannten. 

Alles, was der Gesellschaft und ihren Mitgliedern Nutzen bringt, ist eine Leistung, die sich lohnen soll. Dazu kommt, dass die Leistung auf die Leistungsfähigkeit abgestimmt werden muss. Es gibt Menschen, die gerne 60 Stunden arbeiten und andere, die mit 25 Stunden an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit gelangen. Müssen die, die gerne viel arbeiten, deshalb unbedingt mehr verdienen? 

Wenn wir den Begriff der Leistung von seinen materialistischen Kontexten befreien, ihn also primär unabhängig von Geld und Gewinn definieren, werden sich auch neue Perspektiven auf unser Verhältnis zum Eigentum öffnen. 

Der Wille zur systemischen Vernunft 


Die Einführung solcher Systeme funktioniert nicht mit Zwang. Freiwillig stimmen Menschen einem Eigentumsverlust nur zu, wenn sie dafür einen größeren Nutzen empfangen, wie er im systemischen Denken möglich wird, wo Nutzen nicht mehr egoistisch oder auf die eigene Gruppe beschränkt gesehen wird, sondern in einem übergeordneten Zusammenhang eingebettet ist. Dann wird z.B. die Reduktion von umweltbelastenden Fortbewegungsmitteln als individueller Gewinn empfunden und in der inneren Wertung der individuellen Nutzung von Fahrzeugen vorgezogen. Die Menschen werden erkennen, wieviel Zeit und Mühen sie in den Erwerb von Gütern stecken, wie viele ihrer Sorgen und zwanghaften Gedanken um Geld und Eigentum kreisen, die nur einen winzigen Teil ihrer Bedürfnisse stillen. Sobald sie andere Formen des Lebens zu schätzen lernen, in denen sie ihre Kreativität und Individualität besser zum Ausdruck bringen können, als in den mechanischen Organisationen des leistungsorientierten Geldverdienens, können sie leichter auf die materiellen Kompensationen für ihre Lebensenergie verzichten. 

Wenn genügend Menschen aus freien Stücken auf ihre Eigentumsrechte verzichten, weil sie darin mehr Vorteile für ihre Lebensqualität als Nachteile sehen, erst dann kann dieser Schritt politisch umgesetzt werden. Suchen wir unsere Sicherheit nicht mehr in den Dingen und Finanzwerten, so können wir die Erleichterung und Befreiung ermessen, die wir als dafür Geschenk empfangen. 

Weltweite Folgen 


Die weltweiten Auswirkungen einer grundlegenden Veränderung der Eigentumsordnung wären ungeheuerlich. Zunächst braucht es hier Zeit, dass Milliarden von Menschen die Erfahrung ermöglicht wird, was es heißt, sich „alles leisten zu können“ oder zumindest Güter erwerben zu können, die nicht zur unmittelbaren Sicherung des Überlebens benötigt werden. Es würde sich eine globale Entwicklung anbahnen, die das Reichtums- und Wohlstandsgefälle immer mehr ausgleicht. Dieser Weg führt dann in eine Richtung, die die Ressourcen des Planeten in gemeinsamer Verantwortung einer nachhaltigen Nutzung zuführt, sodass sich die Menschheit in materieller Sicherheit und Frieden weiter entwickeln kann. 

Zeiträume 


Wie an anderen Punkten des Übergangs in das systemische Bewusstsein ist auch hier große Achtsamkeit notwendig. Erst wenn es eine kritische Masse von Menschen gibt, die mit dieser Denkweise und den entsprechenden Wertsystemen vertraut sind, kann eine tiefgreifende Änderung in der Eigentumsordnung stattfinden. 

Es wird viel wechselseitiges Vertrauen und effektive Kontrolle brauchen, damit nicht Einzelne das System zu ihren Gunsten ausnutzen und damit wieder Ungleichgewichtungen hervorrufen, die dann die Menschen aus ihrer systemischen Bewusstheit herausreißen können, indem schon überwunden geglaubte alte Ängste mobilisiert werden. Wir können uns lebhaft vorstellen, wie populistische Politiker versuchen werden, solche Ängste zu schüren, solange sie unter nicht systemisch aufgeklärten Menschen Gehör finden. Also machen wir uns auf einen langen Zeitraum der Umstellung gefasst, der noch nicht einmal begonnen hat. 

Vielleicht ist die Änderung der Eigentumsordnung eine der letzten, die in der Verbreitung und Implementierung des systemischen Bewusstseins vollzogen wird. Mir persönlich ist es egal, ob solche Prozesse 50, 100 oder 500 Jahre dauern. Allein die Vorstellung, dass eine solche Revolution denkmöglich ist, dass sie in der Logik der Evolution des Bewusstseins enthalten ist und irgendwann einmal unseren Nachkommen zugute kommen wird, beflügelt mich. 

Es ist das Wesen von Utopien, dass sie unseren Vorstellungshorizont dehnen, und aus solchen Dehnungen erwachsen besondere motivierende Kräfte. Lassen wir herausfordernde Ideen in uns einsickern und schauen wir darauf, was sie in unserem Inneren bewirken.

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