Jeder Mensch, jede Person leistet einen einzigartigen Betrag
zum großen Ganzen. Ohne dich wäre das Universum ein anderes und etwas Wichtiges
würde fehlen. Solche Sätze hören wir manchmal oder sprechen sie auch aus.
Da kommt sofort der Gedanke, den wir alle in uns tragen: Wer
bin ich schon? Was ich beitrage, ist doch so unbedeutend und minimal. Ich bin für
die große weite Welt nur winzig und unwichtig, in der Arbeit ersetzbar, in dem,
was ich kreativ mache, kennt mich niemand. Vielleicht gibt es ein paar Menschen
in meiner Umgebung, die mich schätzen und lieben, für die ich etwas bedeute,
aber darüber hinaus bin ich nur einer aus Milliarden.
Das Bedeutungs-Rating und die Agentur in uns
Wer bemisst die Größe und die Kleinheit? Wer verleiht und
entzieht Bedeutung und Wichtigkeit? Welcher Instanz geben wir diese Macht über
uns? Wo ist die Rating-Agentur, die bestimmt, auf welcher Stufe der
Bedeutungsrangordnung wir uns befinden?
Es wirken viele kleine Agenturen, die mitwirken, dass das
Bedeutungsthema weiter in uns nagen kann: Die Schulen, die Arbeitsverhältnisse,
die Medien und die Freunde und Bekannten, die uns alle darauf aufmerksam
machen, was noch verbesserungsfähig an uns ist und wer da schon weiter und
toller ist.
All diese Rückmeldungen laufen in uns selber zusammen, in
einem Teil unseres Gehirns oder unseres Wesens, das für die Selbsteinschätzung
zuständig ist. Und da sind wir es eigentlich selber, die die Ratingentscheidungen
treffen und publizieren, indem wir uns selber mitteilen, wie wir uns und die
anderen einschätzen. Wir sind es, die die Wertungen, die andere über uns
treffen, übernehmen oder ignorieren, die sich nach vorgegebenen Rangordnungen
richten oder nicht.
Was wir tun können: Wir können verschiedene Rating-Agenturen
einrichten, die dann in Konkurrenz miteinander treten: Ist eine zu abwertend,
mobilisieren wir die andere, die unsere Potenziale besser schätzen kann. Wenn
das Spiel eine Zeitlang läuft, verlieren die Agenturen insgesamt an Macht und
Einfluss, bis wir ihren Einflüsterungen kein Gehör mehr schenken.
Das Streben und seine Illusion
Beim Thema Bedeutungsgebung wirkt der in uns eingebaute Mechanismus
der Ambition: Wir wollen es weiter bringen, wir halten es nicht aus, wenn
Stillstand und Stagnation herrschen, wir wollen produktiv sein und Unterschiede
setzen, sodass die Wirklichkeit durch unser Wirken anders wird. Doch wirken in
diesem Streben zwei Kräfte, die wir tunlichst unterschieden sollten: Die eine
Richtung der Expansion, die mehr von dem will, was es schon gibt und womit uns
andere vor unsere Nase wedeln: Ich bin schon so toll, wenn du so werden willst
wie ich, dann mache diese Reise, besuche jene Gruppe, kaufe dieses Produkt,
höre jene Musik. In dieser Richtung verlieren wir uns schnell – wir laufen
Vorbildern nach, verehren und bewundern Leute, die „es geschafft haben“ und
vergessen dabei auf uns selbst und auf das, was uns auszeichnet. Wir überprüfen
nicht, ob das, was andere verwirklicht haben, dem entspricht, was wir aus
unserem Inneren heraus wollen.
Die andere Orientierung will Neues schaffen, will etwas in
die Welt setzen, was es in dieser Form und diesem Aussehen noch nicht gegeben
hat, will etwas Einzigartiges beisteuern. Hier wollen wir uns nicht vergleichen
mit den Großen und Bedeutenden, sondern eine Wirkung erzielen, für die es egal
ist, ob sie groß oder klein ist. Das kann eine Blume sein, die wir zum Blühen
bringen oder einen berührenden Satz, den wir sagen, ein Lächeln, das wir
jemanden schenken, oder ein Vogelzwitschern, dem wir Beachtung schenken.
Immer wieder können wir an uns beobachten, wie sich diese
beiden Bestrebungen oft bis zur Unkenntlichkeit ineinander verschränken. Dann
tun wir so, als ob wir uns durch Konsumieren von Dingen selbst verwirklichen
oder durch das Bewundern von anderen Leuten an Selbstwert gewinnen könnten. Wir
wollen selbst in den Zustand des Bewundertwerdens gelangen, ohne zu wissen, was
wir wirklich damit anfangen wollten, sobald wir es haben.
Klar, ich möchte, dass viele, viele Leute diesen Text lesen
und erwarte, dass das einen größeren Beitrag zur Welt leistet, als wenn ihn nur
ein paar Menschen lesen. Allerdings liegt der eigentliche Gewinn für mich nicht
in der Anzahl der Rezipienten der Botschaft, sondern im Prozess des Schreibens,
der meine innere Klarheit fördert. Wenn ich von jemandem erfahre, dass ihr der
Text gefällt und etwas in ihrer Welt verbessert, freut mich das. Zum klärenden
Schreibprozess, der mir gut tut, kommt der Aspekt des Gebens dazu, der als
Anerkennung zu mir zurück fließt.
Die Magie der Zahlen
Wird die Freude größer, wenn die Zahl der Rückmeldungen (und
potentiellen Bewunderern) größer ist? Werde ich dadurch bedeutender und
wichtiger? Offensichtlich ja, weil die Zahl das Maß der Dinge ist. (Übrigens
findet sich auf dieser Blogseite eine automatische Korrektur von solchen
Ego-Eskapaden, da es einen Beitrag gibt, in dem ein Witz mit dem Dalai Lama (26.7.2011)
zitiert wird, und aus der Statistik ist ersichtlich, dass diesen Beitrag
hundert Mal mehr Menschen lesen als all die anderen Posts. So gebietet mir jeder
Blick in diese Statistik die rechte Bescheidenheit, was die Bedeutung meiner
eigenen Texte anbetrifft.)
Die zwei Orientierungen zeigen sich als zwei Aspekte der
Freude, die ich in mir wahrnehmen kann: Der eine, der sich am Gewinn eines
anderen Menschen freuen kann, der andere, der stolz ist auf die Anzahl der Anerkennungen, weniger auf
die Anerkennungen selbst. Könnte nicht der liebevolle Blick einer anderen
Person mehr bedeuten als Tausend Klicks von anonymen Lesern?
Sobald sich Zahlen einmischen, zeigt uns die Kenntnis der
Logik der Bewusstseinsevolution, dass wir in eine Falle des materialistischen
Denkens geraten sind. Es hat das illusionäre Streben der Menschen in die
abstrakteste Form gebracht und damit ad absurdum geführt. Du musst mehr und
mehr verdienen, besitzen, Freunde haben, verkaufen, konsumieren, Geld am Konto
haben usw., um dein Menschsein zu verwirklichen. An diesem Mehr wirst du
gemessen, doch dieses Mehr hat die Struktur des Immer-Zuwenig. Denn es kann nie
genug sein, es gibt immer noch mehr, das erreicht werden muss. Ist dieses
erreicht, gilt es, das nächste zu erreichen, ein unendliches Streben, das nur
durch die physische Erschöpfung und den Tod endet, die absolute Grenze, die die
Natur dem gierigen Ego setzt.
Das materialistische Denken gaukelt uns vor, dass wir an
Zahlen Befriedigung finden könnten, doch ergötzen wir uns in Wirklichkeit an
den Fantasien, die sich an die Zahlen knüpfen: Was könnte der Vorteil und die
Befriedigung darin sein, wenn Hunderte, Tausende, Millionen an mir oder an
meinen Produkten Gefallen finden? Mit jeder Null hinten dran schwillt die
Fantasieblase an, scheinbar unendlich dehnbar. Doch braucht es oft nur eine
andere Erfahrung, jemand, der gemein ist zu mir oder abwertend oder
überkritisch, schon platzt die Blase, und mühsam muss sie wieder aufgeblasen
werden.
Wie kommen wir auf diese blöde Idee, uns von der Anerkennung anderer abhängig zu machen? Wir sollten nicht vergessen, dass wir auf dieser Erde sind, um das zu tun, was aus uns selber kommt, was wir gerne machen und was uns erfüllt, gleich, ob das einige oder viele toll finden oder einige oder viele albern. Menschen sind so verschieden in ihren Fähigkeiten und Talenten, und jeder trägt das zur Buntheit der Menschenwelt bei, was aus seiner Einzigartigkeit entspringt. So auch ich, so auch du, und das können wir uns immer wieder bewusst machen, um es zu feiern. Denn dann motiviert uns das, noch mehr beizusteuern aus dieser unserer Individualität und damit die Welt noch bunter zu machen. Damit sind wir genauso wichtig und genauso bedeutend wie all die Menschen, mit denen wir uns aus schlechter Gewohnheit bloß deshalb vergleichen, damit wir uns selber abwerten können.
Bewunderungsübung
Wir können es zu einer Übung machen: Immer, wenn wir merken,
dass wir andere, vor allem Menschen, die wir überhaupt nicht kennen, über die
Maßen bewundern, ergänzen wir es mit einer Bewunderung für uns selbst. Und
immer, wenn wir eine der Hochglanzpersönlichkeiten anhimmeln, ergänzen wir das
durch ein Anhimmeln eines „kleinen Menschen“, der alten Frau, die ihren
Einkaufskoffer rollt, des Fahrers der Straßenbahn, der gelangweilt lenkt, des
Schulmädchens, das mit ihren Freundinnen plappert usw. – all die „unbedeutenden Menschen“, die es
nie in eine Schlagzeile oder auf einen Fernsehschirm schaffen werden und doch,
wenn wir genauer hinschauen, all die Zelebritäten, die wir mit so viel
Wichtigkeit aufplustern, in den Schatten stellen, sodass diese in einem illustren
Reich der Lächerlichkeiten verschwinden können.
Hören wir auf mit den Vergleichen, die uns selber in ein
minderes Licht stellen. Gibt es einen Menschen, dem wir die Macht geben, zu
entscheiden, wer wichtig und wer unwichtig ist? Wenn nicht, dann brauchen wir
auch niemandem die Macht geben, nach Wichtigkeits- oder Bedeutungsgraden
einzuteilen, also wer weniger und wer mehr beiträgt zur Gesellschaft oder zur
Menschheit. Wenn wir also allen Vergleichern die Macht nehmen (die sie ja vor
allem in unseren Köpfen haben), dann lösen sich die Unterschiede und
Rangordnungen auf. Alle Menschen sind gleich, jeder ihrer Beiträge zum
Allgemeinen ist gleich viel wert.
(Vgl. zum Thema den Blogbeitrag vom 13.5.2012: „Zelebriere
deine eigene Zelebrität“)
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