Montag, 24. September 2012

Die Krisengewinnler und die Ethik



Wie jeder Krieg seine Kriegsgewinnler hervorbringt, zeugt jede Krise ihre Krisengewinnler. Besonders apart wird der Prozess, wenn die Krisengewinnler zu den Krisenverursachern zählen, und wenn sie gegen Ende des Dramas unerkannt mit den Geldkoffern abgehen.

Ein Kabinettstückchen kapitalistischer Unverfrorenheit läuft gewissermaßen vor unseren Augen ab. Ich bezeichne es mit dem Namen Goldman&Sachs, weil dieses Finanzimperium in aller Öffentlichkeit operiert, ohne jede Scham, im Gegenteil mit dem Auftreten selbstgerechten Stolzes und weil in verschiedenen Dokumentationen (http://www.youtube.com/watch?v=IT_wRPbMzfI) aufgezeigt wurde, wie dieses Unternehmen seine Fäden quer durch die Finanzwelt webt. Es gibt aber auch noch viele andere Namen oder Namenlose, die in diesem Gebiet mit ähnlichen Methoden und Intentionen ihr unverfrorenes Unwesen treiben.

Vereinfacht dargestellt: Das Finanzhaus gewährt in den USA Kredite mit geringer Bonität (z.B. zum Hauskauf für Leute, deren Mittel knapp sind, die aber aufgrund niedriger Zinsen zur Aufnahme eines Kredits überredet werden), daraus werden Obligationen gebastelt, die mit hoher Bonität versehen werden (obwohl sie hochriskant sind) und diese werden dann an ausländische Investoren, z.B. Großbanken verkauft, die diese wieder an ihre Kunden weiterverscherbeln. Sobald dadurch die Kreditzinsen steigen, können die Kreditnehmer das Geld nicht zurückzahlen, die Blase platzt. Die Hauskäufer verlieren ihre Häuser, die ausländischen Investoren ihr Geld. Gewonnen hat das Finanzhaus, und was macht es mit dem Geld? Es wartet, bis die Immobilienpreise als Folge der geplatzten Blase am Tiefpunkt sind, kauft dann die Häuser auf und vermietet sie gegen gutes Geld an die ursprünglichen Eigentümer, die froh sein müssen, ein Dach über dem Kopf zu haben. Sie dürfen für den Rest ihres Lebens für ihr vormaliges Eigentum zahlen. Andere Investoren wie z.B. die isländischen Banken und ihre Gläubiger werden gleichfalls ruiniert. Und das Finanzhaus fettet seine Gewinne auf, um den nächsten Coup zu starten.

So weit, so schlecht. Geld fließt von unten (wo es sauer erarbeitet wird) nach oben (wo mit wenig Einsatz und Risiko Reichtum bis ins Unermessliche angehäuft wird). Im Grund ein Spiel, das immer wieder neu aufgelegt wird, seit es den Kapitalismus gibt. Es werden im Lauf der Zeit nur die Summen größer und die Anzahl der Geschädigten sowie das Ausmaß des Schadens. Was sich bisher nicht geändert hat, ist die Wahrnehmung dieses Vorganges durch die Zivilgesellschaft. Es wird vielleicht mit Entsetzen zur Kenntnis genommen, die Geschädigten werden bedauert, aber nicht allzu sehr, schließlich sind sie ja selber schuld, sie hätten besser aufpassen sollen. Und wer nicht oder kaum davon betroffen ist, ist hauptsächlich darüber froh, noch einmal davon gekommen zu sein.

Die Politik schreitet erst ein, wenn ein Schaden für den gesamten Staat droht. Erst dann wird der liberale oder neoliberale Heiligenschein über der Wirtschaft abgeblendet, und der Staat mischt sich ein, indem er Banken, Schuldscheine usw. aufkauft, bis sich die exzessive Umverteilung von den Arbeitenden zu den Besitzenden wieder soweit beruhigt hat, dass es zu keinen Unruhen kommt. 

Was wir brauchen, ist eine Änderung der Sichtweise. Wir haben ein klares Unrechtsbewusstsein, wenn jemand seinen Nachbarn ausraubt. Wir haben nicht das gleiche Bewusstsein, wenn das im Rahmen der so komplexen wirtschaftlichen Vorgänge geschieht, weil wir so tun, als wäre jeder in diesem Spiel im Vollbesitz der Regeln. Das stimmt eben nicht, denn die eine Seite kann die Regeln während des Spiels zu ihren Gunsten ändern, und darin liegt der Betrug. 

Deshalb muss unser ethisches Bewusstsein komplexer werden. Wir müssen ein Unrechtsempfinden erlernen, das sich auf solche Finanzvorgänge bezieht, sodass wir anfangen können, solche Prozesse im Rahmen der Zivilgesellschaft kollektiv zu ächten. Das erzeugt dann den Druck auf die Politik, die das Unrechtsbewusstsein in Gesetze umsetzen kann, mit deren Hilfe die Nutznießer des Betrugs- und Diebstahlsgewerbes, auch wenn diese im Nadelstreif und mit Aktenkoffer unterwegs sind, bestraft und gesellschaftlich geächtet werden.

Wir begeben uns dafür auf die Ebene des systemischen Bewusstseins und üben uns in systemischer Ethik. Damit können wir der Komplexität der Situationen, die es zu beurteilen gibt, Herr werden, d.h. die relevanten Faktoren herausarbeiten und dabei möglichst viele Aspekte des übergeordneten Ganzen der Gesellschaft im Auge behalten.

Es gibt schon Ansätze in dieser Richtung. Bewegungen wie „Attac“  und „Occupy“ erzeugen die Sensibilität für solche Ungerechtigkeiten. In der österreichischen Innenpolitik sehen wir in diversen anhängigen Gerichtsprozessen ein steigendes Unrechtsbewusstsein, was Korruption bedeuten kann. Im entsprechenden parlamentarischen Untersuchungsausschuss wirken ähnliche Motive, und das unrühmliche Gezerre um das Weiterbestehen des Ausschusses zeigte m.E. vor allem die Angst der Mächtigen vor einem sich öffentlich manifestierenden Unrechtsbewusstsein, das seinen politischen Amtsträgern strengere Normen verpassen will. 

Sollte diese Finanzkrise Prozesse in der Sensibilisierung unseres ethischen Empfindens und Urteilens verstärken, sollte sie bewirken, dass unser Unrechtsbewusstsein in komplexere Vorgänge eindringt, dann war sie nicht ganz umsonst. Alles, was die Kontrolle der Zivilgesellschaft über die Wirtschaft und über die Politik stärkt und damit zu einer Transformation dieser Bereiche beiträgt, dient aus meiner Sicht der Evolution des Bewusstseins.

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