Mittwoch, 13. Juni 2012

Das Modell der organischen Kommunikation



Was ist das Leben am Leben? Was macht ein Lebewesen lebendig? Da gibt es ein paar Definitionsmerkmale wie Wachstum, Stoffwechsel, Selbstregulation und Reproduktionsfähigkeit.

Ich möchte diesen Eigenschaften noch die Kommunikationsfähigkeit hinzugesellen, die als ein zentraler Teilaspekt der Selbstregulation betrachtet werden kann. Damit meine ich folgendes: Lebewesen, z.B. eine einfache einzellige Bakterie, tauschen nicht nur Stoffe mit ihrer Außenwelt auf, sondern auch Informationen. Jedes Molekül, mit dem eine Zelle Kontakt aufnimmt, ist nicht nur ein chemisches „Ding“, sondern trägt eine Bedeutung für den Organismus, z.B. kann ein Molekül für die Zelle wertvoll oder schädlich sein. Diese Bedeutung ist ein immaterieller Aspekt des Moleküls, der von der Zelle verstanden wird. Es wird also eine Information übertragen, es wird kommuniziert.

Lebewesen sind folglich informationsverarbeitende Systeme. Sie nehmen Informationen über ihre Umwelt auf und geben Informationen an sie ab. Diese Informationen können in Molekülen bestehen, die von einem Organismus freigesetzt werden und von einem anderen aufgenommen werden. Denken wir an die Duftstoffe, die wir Menschen absondern und riechen, die Pheromone, Überreste einer frühen organischen Kommunikationsform.

Alle Lebewesen, die einfachsten wie die komplexesten, „reden“ mit ihrer Umgebung. Mit der fortschreitenden Differenzierung der Lebewesen im Lauf der Evolution entwickeln sich auch die Kommunikationsformen weiter, indem sie sich verfeinern und erweitern. Doch erscheint die Annahme Sinn zu machen, dass die Grundstrukturen der Sprache schon in ihren einfachsten Formen vorhanden waren – die Formen der Syntax, wie Frage, Antwort, Feststellung, Befehl. Denn sie strukturieren die wichtigsten kommunikativen Prozesse:

  • Die Frage bringt eine eigene Unklarheit zum Ausdruck und die Erwartung, dass der Kommunikationspartner diese Unklarheit beheben kann.
  • Die Feststellung ist die Mitteilung über einen Ist-Zustand, den der Partner von sich aus nicht wahrnehmen kann, z.B. die Aussage über einen eigenen Innenzustand an jemand Außenstehenden.
  • Der Befehl oder die Anweisung will ein bestimmtes Verhalten beim anderen in die Wege leiten.
In der generativen Grammatik nach Noam Chomsky gehen Forscher davon aus, dass die Grundstrukturen der Grammatik angeboren (genetisch vorgeprägt) sind, während die einzelnen Worte einer Sprache erlernt werden. Ich lerne also als Kind von den Sprechern meiner Umgebung die Worte „die Sonne“, „ist“, „hell“, und greife auf ein Strukturmodell zurück, das erlaubt, diese Worte zu einem Satz zu formen. Dieses Modell ist gewissermaßen schon vorhanden und wird dann mit den erlernten Worten gefüllt.

Nach dieser Theorie verfügen wir also über universell gültige Kommunikationsvorlagen, die von den einzelnen Sprachen abgewandelt und mit unterschiedlichen Lautgestalten verknüpft werden. Ich möchte diese Theorie noch erweitern mit der Annahme, dass diese Vorlagen oder Strukturen schon bei den einfachsten Lebensprozessen verwendet werden, einerseits, um die inneren Vorgänge und andererseits, um die Beziehungen zur Umwelt zu regulieren.
 
Die interne Kommunikation

Wie vorstellbar ist, dass z.B. einzellige Lebewesen miteinander kommunizieren (und irgendwann, wenn sie gelernt haben, einander zu vertrauen, sich dann zu Mehrzellern zusammenschließen), so ist es auch möglich, dass innerhalb einer Zelle Kommunikationsvorgänge stattfinden. So könnte z.B. die Membran der Zelle, die eine Zustandsveränderung im Umgebungsmilieu registriert, eine Sachverhaltsdarstellung an andere Instanzen der Zelle weiterleiten, z.B.: der pH-Wert in der Umgebung ist ziemlich niedrig. Dazu vielleicht die Frage: Ist da was zu tun? Dann fällt innerhalb die Entscheidung, dass sich die Zelle möglichst rasch aus der Umgebung zurückziehen sollte, und der Zellkern wird aufgefordert, die dafür notwendigen Gene freizugeben, damit für das Vorhaben genügend geeignete Proteine hergestellt werden können.

Welches Medium die Kommunikation dabei benutzt, welche Signal- oder Botenstoffe dafür verwendet werden, ist hier nicht so wichtig. Mir geht es um die Annahme, dass jedes Kommunikationsmedium, das zur Anwendung gelangt, sich an das grammatikalische Schema halten muss, an die von der jeweiligen Situation erforderte Grundstruktur.

Krankheit als Kommunikationsstörung

In der Psychosomatik ist das Konzept verbreitet, Krankheiten als Störungen der Kommunikation innerhalb des Körpers zu verstehen. Krebszellen z.B. werden so charakterisiert, dass sie nicht mit ihren Nachbarzellen kommunizieren. Sie haben den Kontakt abgebrochen und stimmen sich nicht mehr mit den anderen ab, sondern tun nur mehr das, was ihrem eigenen Programm entspricht. Deshalb beginnen sie sich unkontrolliert, also ohne Absprache mit der Umgebung, zu vermehren.

Kommt es irgendwo im Körper zu einer Schmerzempfindung, so kann diese als Botschaft verstanden werden, dass dort etwas im Ungleichgewicht ist und dass wir uns um diesen Bereich kümmern sollten, um ihn wieder zu normalem Funktionieren zu bringen.

Weiters kann dann nachgeforscht werden, ob innerhalb der Zelle, die zu einer Krebszelle mutiert, eine Kommunikationsstörung stattgefunden hat, die z.B. dazu geführt hat, dass ein Giftstoff in die Zelle hineingelassen wurde, der dann deren Gleichgewicht zerstörte, Stress auslöste und die Kommunikationsabläufe durcheinander brachte, bis schließlich die Zelle kommunikationsunfähig wurde und begann, ein Notfallprogramm abzuwickeln, das sich schließlich destruktiv auf die Umgebung auswirkt.

Die Schwingung der Kommunikation

Neben der grammatikalischen Grundstruktur sollten wir noch Schwingungsaspekte mit berücksichtigen, also Modulationen, die jede Kommunikation „färben“. Als höher entwickelte Lebewesen kennen wir sie als den emotionalen „Tonus“, der angibt, aus welcher Spannungslage die Sprache kommt. Entspannt und ruhig gesprochene Sprache wird anders wirken als aufgeregtes und angespanntes Sprechen. Jedenfalls muss sich auch diese Komponente der Sprache auf die grammatikalischen Grundformen beziehen, um verstanden zu werden.

Die innere Einheit der Welt

Das Modell kann helfen zu verstehen, welche Wirkung wir mit der Sprache erzielen können. Auch wenn wir mit Wesen sprechen, die keiner Menschensprache mächtig sind, können unsere Botschaften ankommen und können wir Nachrichten empfangen, weil wir über Strukturähnlichkeiten verfügen, die jede Lebensform kennt. Deshalb mag es manchen Menschen möglich sein, mit den Vögeln und den Pflanzen zu reden, d.h. zu fragen und zu antworten, Informationen zu geben und zu empfangen. Zum Gelingen dieser Verständigung sind nicht die Worte, sondern die sprachlichen Grundstrukturen maßgeblich.

Wir können auch erkennen, warum die Sprache in der internen Kommunikation oft hilfreich ist, wenn wir z.B. selbstbestärkende Sätze (Affirmationen) anwenden oder wenn wir mit Teilen unserer Innenwelt reden. Mir hilft es z.B. beim Einschlafen, wenn ich mit dem Melatonin in meinem Gehirn rede. Das Modell macht uns auch verständlich, dass wir uns selber behindern können, wenn wir uns selbst abwerten, kritisieren oder entmutigen. Wir können uns selbst krank jammern oder gesund beten, je nachdem, wie wir mit und in unserem Körper kommunizieren.

Sollten diese Überlegungen Sinn machen, so heißt das, dass wir über ein nahezu universal einsetzbares Grundgerüst verfügen, das in die Funktionsweise des Lebens eingewoben ist. Darauf aufbauend, haben alle Lebewesen und alle Gattungen ihre je eigenen Sprachen entwickelt, die die Einzelheiten in die Strukturen einfügen, wie die Worte einer Sprache, die ihre Ordnung und ihren sinnstiftenden Platz in der Grammatik finden. Die Universalgrammatik des Lebens erklärt, warum wir nicht nur von einer Menschensprache zur anderen, sondern auch von der Menschensprache zur Tiersprache und schließlich zu jeder anderen Lebenssprache übersetzen können und warum unsere Lautsprache von der Zellsprache verstanden wird.

So können wir den Grundsatz von Paul Watzlawick: "Man kann nicht nicht kommunizieren" noch umfassender verstehen: Das Leben ist permanente Kommunikation nach innen und nach außen, und wir sind permanent in dieses Netz an Kommunikation eingebunden und speisen es mit unseren eigenen Beiträgen. Das World Wide Web ist gegen dieses riesige Netz an organischer Kommunikation nur ein winziger Abklatsch.

Das Modell der organischen Kommunikation kann schließlich als Baustein dafür dienen, das gesamte Leben und seine anorganische Grundlage als riesige Einheit in Unterschieden zu sehen. Wenn wir weniger die Unterschiede der einzelnen Bereiche (das Leblose, das Lebendige, die Einzeller, die Mehrzeller, die Wirbellosen und die Wirbeltiere usw.) beachten und mehr die Strukturähnlichkeiten, können wir besser erspüren und bestaunen, was es heißt, dass alles mit allem verbunden ist. Es gibt eine tiefe Verwandtschaft unter allem, was aus dem Sternenstaub entsprungen ist.

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