Diese wichtige Frage hat eine Leserin meines Buches "Vom Mut zu wachsen" gestellt. Ich versuche eine Antwort darauf zu geben und freue mich über Kommentare.
Die Entwicklung der Menschheitsgeschichte ist bis in jüngste Zeit vordergründig von den Männern dominiert. Das nennen wir bekanntlich das Patriarchat. Seit der Stufe des emanzipatorischen Bewusstseins, also seit der jungsteinzeitlichen Revolution haben die Männer das Heft in die Hand genommen und die zentralen Machtpositionen besetzt. Erst in unseren Tagen werden die Einseitigkeiten, die daraus resultieren, systematisch in Frage gestellt und korrigiert.
Diese Entwicklung habe ich in meinem Buch dargestellt. Ist die Bewusstseinsevolution in der Form, in der ich sie dargestellt habe, eine männliche, von der sich die Evolution der Frauen unterscheidet? Vollzieht sich die Entwicklung bei Frauen über die gleichen Stufen wie bei den Männer?
Der Versuch der Darstellung in meinem Buch bezieht sich auf Kulturmuster, die die gesellschaftlichen Spannungsmuster, wie das zwischen Männern und Frauen, übergreifen. Allen Stufen und ihrer Dynamik sind also die Männer wie die Frauen unterworfen, wobei über lange Strecken der Geschichte die Männer als die aktiv gestaltenden Elemente erscheinen. Ich möchte hier kursorisch nachprüfen, ob oder inwieweit eine weibliche Perspektive zu wichtigen Ergänzungen oder Korrekturen führen sollte.
Mit dem Eintritt in das emanzipatorische Bewusstsein wird also die Rollenverteilung zwischen Männern und Frauen als Über- und Unterordnung neu festgelegt und zunächst mit der Überlegenheit der Körperkraft begründet. Diese wird dann auch auf die geistige Leistungsfähigkeit übertragen, und damit geraten die Frauen vollends an den Rand der gesellschaftlichen Weiterentwicklung. Auf der hierarchischen Bewusstseinsstufe werden diese Rollenzuschreibungen zusätzlich fixiert, z.B. durch die Festlegung von unterschiedlichen Rechtsnormen und unterschiedlichen Rechten für Männer und Frauen.
Die emanzipatorischen Bestrebungen der Frauen wurden einfach unterbunden, ihre Bindung an das Kinderkriegen und –erziehen, die vorwiegend häusliche Arbeit sowie die allgemein knappen Lebensbedingungen ließen auch keinen kreativen Spielraum dafür offen. Frauen, die wichtige Beiträge zur Weiterentwicklung liefern konnten, blieben die Ausnahme, wie z.B. Frauen, die im Kloster Karriere machen konnten, oder wurden gewaltsam unterdrückt, wie das Beispiel der Hexenverfolgung zeigt.
Die Arbeits- und Rollenverteilung funktionierte insoferne, als die Arbeitskraft der Frauen in dieses System eingebunden werden konnte (als Bäuerinnen oder Handwerkerinnen), ohne ihnen dafür adäquate Rechte oder Ausbildungsmöglichkeiten zur Verfügung stellen zu müssen. Vielmehr blieben in den expansiven Bereichen (z.B. Entdeckungsreisen, Banken- und Geldwesen, Wissenschaften, Künste) weiterhin nahezu ausschließlich die Männer tätig.
Hier kam es erst durch die Industrialisierung zu einer maßgeblichen Änderung. Die Dynamik des Kapitalismus im Zeichen des materialistischen Bewusstseins forderte die Heranziehung aller Humanressourcen für den Produktionsprozess. Die Frauen wurden in die außerhäusliche Arbeit eingegliedert und dadurch auch Subjekte der Wirtschaft mit eigenem Einkommen. Bald wurde deshalb die Aus- und Weiterbildung für Frauen notwendig. Damit enstand die Basis für die feministische Emanzipationsbewegung, in der seit dem 19. Jahrhundert die Frauen das Potenzial und die progressive und zum Teil aggressive Dynamik des emanzipatorischen Bewusstseins nachholen. Zunehmend fließen die Impulse dieser Bewegung in die verschiedenen Bereiche der Gesellschaft ein, die immer noch nach den Prinzipien der zweiten und dritten Bewusstseinsstufe organisiert sind, um überall den patriarchalen Strukturen den Garaus zu machen.
Zu erwähnen ist auch die Rolle der fünften, der personalistischen Bewusstseinsstufe, die mit der Unterscheidung von Person und Rolle jedem prinzipiellen Überlegenheitsanspruch der Männer die Grundlage entzog. Statt dessen öffneten sich die Räume für den kreativen Ausdruck der Frauen als Individuen und als Angehörige ihres Geschlechts. Es treten Komponistinnen, Malerinnen und Schriftstellerinnen auf und finden breite Anerkennung. Damit ist der Bann gebrochen, und eine Bastion des Männlichen in der Berufswelt, in Politik und Kultur fällt nach der anderen. Die Kräfte der Evolution rufen alles zu Hilfe, was es an schöpferischen Ressourcen gibt.
Dies wird auf der sechsten Stufe, der systemischen, deutlich. Die Globalisierung der Probleme und der Krisen erfordert die Mobilisierung der Ideen und Impulse von allen Seiten und das synergetische Zusammenfließen des Männlichen und des Weiblichen, zwei Begriffe, die außerhalb der sexuellen Bereiche zunehmend von den Personen gelöst werden und zu Metaphern für archetypische Orientierungen werden. Die Menschen der zukünftigen, der holistischen Bewusstseinsstufe haben Kenntnis vom Männlichen wie vom Weiblichen und bringen diese Energien dort ein, wo sie am dienlichsten für den Fortschritt des Ganzen sind.
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