Donnerstag, 21. Dezember 2023

Über das Leben mit Ungewissheiten

Eine Klientin hat endlich einen Abnehmer für ihr Geschäft, das sie schon lange verkaufen will, weil es ihr viel Anstrengung abverlangt und sie neue Perspektiven für ihr Leben sucht. Der neue Übernehmer ist sehr interessiert, aber die legalen Prozesse brauchen noch Zeit, und erst dann ist der Verkauf sicher. Da immer wieder Interessenten aufgetaucht sind, die dann nach einiger Zeit der Überlegung abgesprungen sind, bleibt sie auch jetzt in einer dauernden Anspannung, solange der Vertrag nicht unterschrieben ist.

Eine andere Klientin sucht schon länger einen Nachmieter für sich und denkt, dass sie niemanden finden wird. Das Problem beschäftigt sie und lässt ihr keine Ruhe. Auch wenn es nicht wirklich dringend ist, braucht sie doch das Geld und fürchtet, dass es viel zu lange dauern wird, bis jemand, der auch passen muss, auftaucht.

Ungewissheit ist ein Zustand, den Menschen schlecht aushalten können. Sie wollen die Zukunft unter Kontrolle haben, um sich in der Gegenwart sicher zu fühlen. Diesem Bedürfnis nach Kontrolle steht die Einsicht gegenüber, dass wir prinzipiell nichts über die Zukunft wissen können. Wir verfügen einzig über Wahrscheinlichkeiten, die uns erlauben, die Zukunft zu planen. Der sprichwörtliche Ziegel fällt vom Dach, während wir gerade vorbeikommen, und alle unsere Planungen sind über den Haufen geworfen. Mit vielem können wir rechnen, eben mit dem, was sich im Wahrscheinlichkeitsspektrum aufhält, aber jenseits dieser Bereiche gibt es immer Räume für Ungewissheiten und Überraschungen. Ungewisses führt zu Unsicherheit, und Unsicherheit löst Angst aus. Diese Angst entsteht schon, wenn unsere Fantasie in die Zukunft schweift und dort eine verschwommene Leerstelle vorfindet. Sobald die Aufmerksamkeit in die Gegenwart zurückkehrt, schwindet diese Angst. 

Aber unsere Gewohnheiten halten oft die Aufmerksamkeit gerade auf dem, was Angst macht, denn da könnte ja eine Gefahr drohen, auf die wir uns einstellen müssen. Lieber mit dem Schlimmsten rechnen, ist die Devise vieler Leute, mit dem Vorteil, dass es meistens doch nicht so arg kommt und damit eine positive Überraschung geschieht, aber mit dem Nachteil, dass die Zukunft mit Sorgen und Ängsten überladen wird und damit die Gegenwart andauernd überschattet und belastet ist. 

Die Schwierigkeiten, mit Ungewissheiten umgehen zu können, stammen oft aus einem mangelhaften Vertrauen ins Leben. Im Moment scheint alles ja ganz gut zu sein, aber es könnte sich schnell verschlechtern. Um die nächste Ecke schon könnte eine Unannehmlichkeit lauern. Also gehe ich lieber vorsichtig um die Ecke, eingestellt auf jedwede unliebsame Überraschung. 

Die Wurzel dafür liegt oft darin, dass die eigenen Eltern eine Unsicherheit in sich getragen haben, die sie auf das Kind übertragen haben. Sie konnten dem neuen Leben nicht vertrauen, das ihnen geschenkt wurde. Ein Kind, das mit dieser Unsicherheit empfangen wird, ist ebenfalls in seinem Lebensvertrauen erschüttert und trägt diese Ängstlichkeit weiter mit sich herum. Sie passt sich an die jeweiligen Umstände an, aber befürchtet leicht, dass leicht etwas Unerwartetes passieren könnte. Es reagiert klammernd und ängstlich, wenn die Mutter weggehen will oder gerät in Panik, wenn sie nicht gleich wieder kommt. Es ist im Kindergarten und in der Schule eher schüchtern und zurückhaltend. Auch im späteren Leben werden oft Gefahren gesehen, wo gar keine sind.

Die Ungewissheiten des Lebens annehmen zu können, weil sie zum Leben gehören, ist eine wichtige Lernaufgabe für jeden Menschen. Sie beinhaltet das Aushalten von Ängsten, verbunden mit der Herausforderung, die eigenen angsterfüllten Fantasien mit der Realität abzugleichen und die Handlungsspielräume auszuloten, die in jeder Situation liegen. Es ist ein kindlicher Anteil, der Ungewissheiten mit Angst verbindet, während der erwachsene Persönlichkeitsteil für die Realitätsprüfung zuständig ist. Kindliche Anteile melden sich oft mit starker emotionaler Ladung, um die ganze Aufmerksamkeit zu bekommen. Erwachsen werden heißt, sich der Macht der Gefühle nicht zu unterwerfen, sondern, ohne sie zu unterdrücken und zu übergehen, den Bezug zur Wirklichkeit aufrechtzuerhalten und aus ihm die innere Sicherheit zu gewinnen.

Das Leben ist ein beständiger Änderungsprozess. Über die Verläufe in der Zukunft können wir nur Vermutungen anstellen. Wir rechnen mit gewissen Wahrscheinlichkeiten, haben aber keine Gewissheit über ihr Eintreten. Wenn wir die Gelassenheit des Erwachsenseins mehr und mehr zulassen können, werden die Ungewissheiten zu Überraschungen und zu Aspekten des Abenteuers, das jedes Leben von Anfang bis Ende ist.

Zum Weiterlesen:
Von der Ungewissheit zur Mystik
Ungewissheit als Chance


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