Donnerstag, 14. März 2019

Die Verharmlosung von Diktatoren und die Demokratie

Der Präsident des Europäischen Parlaments, Antonio Tajani, wird aktuell gerade kritisiert, weil er über den faschistischen italienischen Diktator Mussolini, gesagt hat: „Wenn wir ehrlich sein wollen, hat er Straßen, Brücken, Gebäude, Sportanlagen gebaut. … Wenn man ein historisches Urteil fällt, muss man objektiv sein.“ (So das Zitat im Standard). 

Zunächst fällt auf, dass es sich um eine typische Verherrlichung von Machthabern handelt, wenn gesagt wird, „er“ hat alles mögliche gebaut. Damit wird die Person des Herrschers überhöht und in ein besonderes, übermenschliches Licht getaucht. In einer funktionierenden Demokratie braucht es keine solche heiligenmäßige Symbolisierungen, da ist klar, dass die Arbeit und das Geld für alle öffentlichen Investitionen von den Bürgern eines Landes kommen und der Beitrag der Politiker dazu ein relativ geringer ist. Es würde niemand auf die Idee kommen zu sagen, Präsident Van der Bellen – oder Kanzler Kurz oder Verkehrsminister Hofer – hat die Umfahrung Drasenhofen gebaut, und es würde einem seltsam anmuten, wenn in einem Nachruf zu diesen Personen gesagt würde, sie hätten diese oder jene Brücke gebaut. 


Heimliche Diktatorenverehrung


Bei Diktatoren hingegen kommt es immer wieder zu solchen Aussagen, die sie in ein besseres Licht rücken sollen, unter dem scheinbar toleranten Motto: Niemand ist nur schlecht. Damit werden allerdings die schlechten Taten relativiert, der Bösewicht ist dann nicht mehr ganz schlecht, und der Beschöniger fühlt sich auch noch im Recht, wenn er mit seiner „ausgewogenen“ Sicht menschlicher erscheint als die Schwarz-Weiß-Maler.

Die Dikatorenverehrer nutzen gerne solche rhetorischen Figuren, offensichtlich um unter dem Deckmantel einer scheinbar harmlosen Aussage die Botschaft verstecken, dass wir uns nicht allzu sehr vor Diktatoren oder vor den Bestrebungen, ein autoritäres Regime zu errichten, fürchten sollten, weil ja dort weiterhin schöne Gebäude oder vielleicht noch schönere als ohne Diktatur gebaut werden.

Es wird schon sein, dass Mussolini angeordnet hat, dass Sportanlagen oder Brücken gebaut werden – und das gehört auch zu den normalen Aufgaben von Herrschern, und es wäre eine Schande gewesen, wenn unter Mussolini in den 21 Jahren seiner Gewaltherrschaft keine Straßen oder Gebäude gebaut worden wären. Es ist also ein Nona, das da hinausposauniert wird, noch dazu dekoriert mit der personalisierten Note des Alles-Machers („Er, der Übermächtige, hat gebaut und gebaut und gebaut…“). 

Manchmal heißt es auch: „unter“ dem Diktator ist dies oder jenes geschehen. Es wird damit ausgedrückt, dass eine Person oben ist und alle anderen darunter. So wähnen sich Diktatoren, und diese Sichtweise unterstützen wir mit der Redewendung. „Unter Hitler hätte es dies oder jenes nicht gegeben“, „unter Hitler hat es eine ordentliche Beschäftigungspolitik gegeben“; solche Aussagen tauchen immer wieder auf, und neben der obskuren Sehnsucht nach der Führerfigur drücken sie auch die Ohnmacht der Untertanen aus. Unter Hitler geschah nur, was Hitler wollte. All die anderen Mitwirkenden haben dann keine Verantwortung und keine Schuld an den Gräueltaten, aber auch keinen Ruhm an den Errungenschaften und errichteten Bauwerken. Sie haben ja nur „unter“ dem Diktator, also mit minderer Verantwortung gehandelt – oder nicht einmal das: Sie haben Befehle ausgeführt. Oben wirkt ein starker Wille, und alles unterhalb führt aus, was der Wille befielt. 


Unterminierung der Demokratie


In einer Demokratie haben diese und ähnliche Meldungen keinen Platz. Es muss nicht jeder, der in einer Demokratie lebt, diese gutheißen, aber wenn jemand dem zentralen gesetzgebenden Gremium der EU vorsitzt, muss man davon ausgehen können, dass diese Person die Demokratie ganz grundsätzlich vertritt und zu ihr steht. Und das wird mit solchen Aussagen zweifelhaft.

Politiker verfolgen mit ihren Aussagen bestimmte Kalküle, sie reden, was bestimmte Wählergruppen von ihnen hören wollen. Rechtsgerichtete Politiker spekulieren, dass sie mit Aussagen, die vergangene Diktaturen verherrlichen oder zumindest relativieren, Wähler anziehen, die sich solche Regierungsformen wünschen. Dann muss aber öffentlich klar gestellt werden, dass sie sich damit gegen die Demokratie richten und dass sie deshalb in einer Demokratie kein Amt bekleiden dürfen, das sie mit der Macht ausstattet, an der Abschaffung der Demokratie selber zu arbeiten. Das wäre ein Selbstmord der Demokratie, und deshalb bedarf es des kritischen Diskurses, um solche Tendenzen aufzudecken und abzustellen. 


Die Geschichte und das moralische Urteil


Dies gesagt, möchte ich auf eine weitere Frage eingehen, die oft mit solchen Aussagen verquickt wird. Man muss ja Gerechtigkeit walten lassen, so heißt es, es war nicht alles schlecht, bloß weil einiges schlecht war. Tajani spricht von einem „objektiven“ historischen Urteil und meint damit offensichtlich eine Nebeneinanderstellung des „Guten“ und des „Bösen“ im historischen Rückblick auf das Wirken eines Menschen. Objektives Wissen dieser Art ist relativ belanglos, weil dann sofort die Frage auftaucht, in welchem Verhältnis beides zu gewichtigen wäre. Da hat jemand den Bau von Kindergärten angeordnet und Kinder von Juden ermorden lassen. Was wiegt schwerer? Kann das Gute das Böse aufwiegen? Offensichtlich nicht, jedes moralische Gefühl würde sich gegen diese Möglichkeit sperren. Es ist und bleibt abgrundtief böse, die Ermordung von Kindern anzuordnen und gutzuheißen, gleich wievielen anderen Kindern der Täter ein Lächeln oder ein Spielzeug geschenkt hat.

Wir kommen bei der Betrachtung der Vergangenheit nicht um ein moralisches Urteil herum, die „objektiven“ Fakten liefern dafür keinen Maßstab. Sie können keine Schuld ausgleichen oder sühnen. Es trägt nichts zur Objektivierung der Vergangenheit bei, Gutes gegen das Böse zu stellen. 

Keine Person ist in sich lückenlos böse, Menschen können Unmenschen werden, aber nie zur Gänze, sondern in weiten Bereichen ihres Handelns. Selbst im Bösesein können Menschen keine Vollkommenheit erlangen. Zu dem kommt, dass viele Bösewichter meinen, sie würden mit ihren Taten eigentlich dem Gutem zum Durchbruch verhelfen. Sie wähnen sich also subjektiv auf der guten Seite.

Bei der Erforschung der Geschichte brauchen wir moralische Urteile, weil die Geschichte unsere Gegenwart beeinflusst. Alles, was in der Geschichte nicht durch die Klärung der Faktenlage, der Beleuchtung der Zusammenhänge, der Zuordnung von Verantwortung und der moralischen Bewertung aufgearbeitet wurde und der Öffentlichkeit bewusst gemacht wurde, wirkt unterschwellig weiter und arbeitet auf dieser Weise, wie innerpsychisch das Verdrängte, auf seine Wiederholung hin. 

Das moralische Urteil, das in der historischen Reflexion unabdingbar ist und das wir der Weiterentwicklung der Freiheit und gesellschaftlichen Offenheit schuldig sind, hat eine Grenze, wenn es um die Person selbst geht. Das historische Urteil erstreckt sich auf alle Taten und Unterlassungen, die einer Person zugeordnet werden können. Sie müssen gemäß dem kategorischen Imperativ daraufhin untersucht werden, ob sie als Grundlage eines demokratischen Gemeinwesens dienen können oder nicht. Doch ist die Person noch einmal von ihren Handlungen zu unterscheiden. Eine Person als solche zu beurteilen oder zu verurteilen, so schlimm und abgründig deren Handlungen sein mögen, steht uns nicht zu. Wir haben dafür keinen Standpunkt, weil wir uns nicht über einen anderen Menschen stellen können, sondern weil wir fundamental alle gleich sind. Menschsein ist Menschsein, und es gibt kein Mehr- oder Besser-Menschsein. 

In diesem Sinn verdient der elendste Bösewicht einen grundlegenden Respekt, wie verwerflich seine Taten auch immer sein mögen und auch als solche geahndet werden müssen. Erst so werden wir einem Menschen „gerecht“, nicht, indem wir die guten gegen die bösen Taten stellen und irgendeiner Waage anvertrauen, sondern indem wir von seinem Tun absehen und verstehen, wie er in die Tragik des Lebens eingebunden ist, die ihn einmal zum Opfer und dann zum Täter gemacht hat. 

Es gibt eine Ebene, die wir für die Gestaltung und Absicherung unseres Zusammenlebens brauchen. Auf dieser Ebene muss es eine klare Zuordnung von Personen und Handlungen geben, und dieser Zusammenhang wird durch Verantwortung hergestellt. So werden Personen „zur Verantwortung gezogen“, wenn sie unverantwortlich handeln. 


Liebe ist größer als Urteilen


Auf einer anderen Ebene sind wir alle gleichermaßen schuldig oder unschuldig. Da spielt das moralische Urteil keine Rolle mehr. Jeder gibt das, wozu er in der Lage ist, vermag manches besser und anderes schlechter. Die Liebe, die wir einander schulden, darf dort nicht haltmachen, sondern wirkt eigentlich erst dann im vollen Sinn, wenn sie vom Guten und Bösen absehen kann und den Menschen meint, der hinter allem Tun steckt. 

Das ist die Ebene, die wir nur mit äußerster Vorsicht und Achtsamkeit betreten dürfen. Auch sie kann missbraucht werden, indem jemand in der Öffentlichkeit mit dem Pathos der „Gerechtigkeit“ auftritt und in Wirklichkeit eine politische Absicht damit verfolgt. Sobald wir anfangen, die zwei genannten Ebenen durcheinander zu bringen, stiften wir Verwirrung und Verunsicherung, die günstigsten Bedingungen für Manipulation und Machtspiele. Wir brauchen also ein klares Urteil und eine Liebe, die größer ist, und die Kraft der Unterscheidung, was wann notwendig ist.

In diesem Zusammenhang hier das noch immer lesenswerte Gedicht von Bert Brecht:

Fragen eines lesenden Arbeiters 

Wer baute das siebentorige Theben?  
In den Büchern stehen die Namen von Königen.  
Haben die Könige die Felsbrocken herbeigeschleppt?  
Und das mehrmals zerstörte Babylon,  
Wer baute es so viele Male auf ? In welchen Häusern  
Des goldstrahlenden Lima wohnten die Bauleute?  
Wohin gingen an dem Abend, wo die chinesische Mauer fertig war,  
Die Maurer? Das große Rom  
Ist voll von Triumphbögen. Über wen  
Triumphierten die Cäsaren? Hatte das vielbesungene Byzanz  
Nur Paläste für seine Bewohner? Selbst in dem sagenhaften Atlantis  
Brüllten doch in der Nacht, wo das Meer es verschlang,  
Die Ersaufenden nach ihren Sklaven.  
Der junge Alexander eroberte Indien.  
Er allein?  
Cäsar schlug die Gallier.  
Hatte er nicht wenigstens einen Koch bei sich?  
Philipp von Spanien weinte, als seine Flotte  
Untergegangen war. Weinte sonst niemand?  
Friedrich der Zweite siegte im Siebenjährigen Krieg. Wer  
Siegte außer ihm?  
Jede Seite ein Sieg.  
Wer kochte den Siegesschmaus?  
Alle zehn Jahre ein großer Mann.  
Wer bezahlte die Spesen? 
So viele Berichte,  
So viele Fragen.

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