Sonntag, 15. November 2015

Ereignisse, Medien und Machtlosigkeit

Angesichts von Katastrophen oder Terrorakten können wir uns als ohnmächtig erleben, auch und wenn wir selber davon nicht direkt betroffen sind. Denn unsere subjektive Bewertung rückt das Ereignis in die nächste und damit intime Nähe. Mit dem Fernseher passiert es gewisser Maßen direkt im eigenen Wohnzimmer, mit dem Smartphone sogar direkt im eigenen Bett. Die Medien machen objektive Ereignissen zu subjektiven gefühlsgeladenen Elementen im subjektiven Innenleben und bewirken, dass uns nahegeht, was sie wollen, dass uns nahe geht.

Objektiv ist es ungleich wahrscheinlicher, von einem Auto überfahren zu werden als Opfer eines Terroranschlages zu werden. Dennoch steigert sich die Angst vor solchen Ereignissen, weil sie uns so hautnah vor Augen geführt werden und wir auch das kollektive Entsetzen wahrnehmen können.

Sie wird noch dadurch verstärkt, dass wir meinen, wir könnten uns vor Autounfällen schützen, weil wir wissen, wo und wie Autos unterwegs sind. Vor Terrorüberfällen können wir uns nicht schützen, weil wir nichts über deren Wo und Wie wissen. Wir haben keinerlei Kontrolle über die mögliche Gefahrenquelle, es könnte uns jederzeit und überall zustoßen, also müssen wir dauernd auf der Hut sein.

Die Medien unterstützen die Wirkung, gewissermaßen gehen auf der ganzen Welt Bomben hoch, wenn die Bilder von Explosionsopfern und verzweifelten Angehörigen über die Bildschirme flimmern. Rational wissen wir zwar, dass Fernsehbilder Fernsehbilder sind, aber auf der Gefühlsebene sind wir direkt angesprochen und identifizieren uns mit den Betroffenen.

Das mediale Echo ist der Hauptzweck der Aktionen, kommt nichts in die Medien, ist nichts erreicht. 129 Menschen einer Großstadt umzubringen bringt keinen wie immer gearteten strategischen oder militärischen Erfolg gegen den Gegner. Nur weil Attentäter, ihre Anstifter und Hintermänner über die Macht der Medien wissen, gibt es solche Anschläge.

Wenn hier der Begriff „Krieg“ einen Sinn macht, der jetzt vielleicht allzu leichtfertigt in den Mund genommen wird, dann als Medienkrieg. Terrororganisationen sind abhängig von Publicity und Medienpräsenz, das bringt mehr Anhänger und Prestige, mehr Einfluss, Macht und Geld. Die Medien multiplizieren die zerstörerische Wirkung jedes Anschlags und tragen die Aktionen von der menschlichen in die virtuelle Ebene, wo sie ein Eigenleben beginnen. Der Schrecken verbreitet sich wellenförmig, Gefühle der Angst und Ohnmacht erreichen alle. Das Selbstbild und subjektive Machtgefühl der aktuellen und zukünftigen Täter wächst proportional mit dieser Ausbreitung. Wir alle, die wir die Medien konsumieren, unterstützen das, ob wir wollen oder nicht. Die Angreifer haben den Krieg schon gewonnen, sobald die Aktion in die Medien gekommen ist.

Was wir aber nicht unterstützen müssen, ist die emotionale Ladung, die mit den Informationen mitgeliefert werden. Wir verfügen über unsere Innensicht, die Erste-Person-Perspektive, die wir in uns als Korrektiv gegen die virtuellen Einflüsse nutzen können. Die äußere Welt wird immer wieder Bedrohungen und Verunsicherungen hervorbringen. Ob sie in uns Angst und Gefühle von Hilflosigkeit auslösen, liegt an uns selber. Denn wir haben ein Inneres, das diese Einflüsse bewerten und einordnen kann. Wir können diesen Einflüssen ihre Macht nehmen, wenn wir erkennen, was der Wirklichkeit angehört und was der virtuellen Multiplikation.

Erst recht entmachten wir die medialen Gefühlstransfusionen, indem wir uns klarmachen, dass unser Leben einfach, weil es Leben ist, unsicher ist. Passieren kann immer etwas, so gut wir uns auch absichern. Irgendwann wird unser Tod passieren, so gut wir auch für unser Leben vorsorgen mögen. Deshalb können wir unser Leben als permanent bedroht ansehen, oder, wie wir wollen, als in sich selber sicher. Denn wenn wir die prinzipielle Unsicherheit des Lebens anerkennen, können wir darin eine noch viel tiefere Sicherheit entdecken, die uns kein Panzerglas oder Lebensversicherungsvertrag bieten kann. Es ist die Sicherheit, dass alles, was geschieht, so geschehen kann, wie es geschieht, und dass es keine Rolle spielt, ob uns das angenehm oder unangenehm ist. Denn auch die Art und Weise, wie wir das erleben, was geschieht, geht vorüber. 


Sicher ist nur die Vergänglichkeit, sicher ist das Fließen des Lebens. Im Zen-Buddhismus heißt es: Tief verwurzeln im Bodenlosen. Und: Der Friede im Inneren ist unzerstörbar.

Vgl. Das Menschliche im Unmenschlichen
Are bad news good news?

2 Kommentare:

  1. Ja, so sehe und empfinde ich das auch. Aber dennoch, was da vor sich geht, sind Prozesse im Weltgeschehen, die wir nicht ignorieren können und dürfen.
    Wir müssen uns unbedingt um die Hintergründe kümmern. Und das kann jeder Einzelne tun, und zwar unmittelbar von 'jetzt auf gleich'.

    Es geht mir dabei um Folgendes: Die westlichen Gesellschaften sind nicht unschuldig bzgl. sehr vieler Schieflagen in der Welt und wir sollten uns tunlichst demütig auf die Brust schlagen und auch vor unserer eigenen Haustüre kehren und nun nicht ein Feindschema hochstilisieren.

    Den Leitspruch der Friedensbewegung der 70iger Jahre:"Stellt Euch vor, es ist Krieg und keiner geht hin" könnte umgeschrieben werden zu "Stellt Euch vor, unser westliches Wirtschaftssystem fordert Konsum und Profitdenken und keiner macht mehr mit"! Und mit letzterem kann jeder anfangen - hier und heute - in seinem persönlichen Leben. Es bliebe Politik und Wirtschaft dann nichts anderes übrig, als sich auf das einzustellen, was das Volk will, wenn es "mit den Füßen" abstimmt. Aber leider ist uns der gewohnte Wohlstand viel zu lieb und teuer, als das wir bereit wären, einmal hinter die Kulissen zu schauen, danach, auf wessen Kosten er entsteht. (Dazu gehören unzählige Menschen in der ganzen Welt wie auch in unserem eigenen Land, als auch Natur und Umwelt.) Von einem achtsamen und achtungsvollen Lebensstil sind wir meilenweit entfernt. Kerzen aufzustellen und zu sagen 'Je suis Paris' ist eine Farce, wenn wir nicht endlich anfangen über unser innere Haltung und über unseren Lebensstil nachzudenken.

    Man braucht nicht sehr tief schauen, um zu erkennen, dass unser westliches Selbstverständnis und sein dementsprechendes Handeln in gewisser Weise auch einen Extrem(ismus) darstellt. Trotz all seiner auch wirklich positiven Errungenschaften ist seine Perspektive extrem einseitig, egozentrisch, selbstherrlich und maßlos. Mehr Zurückhaltung und Zufriedenheit würde uns gut anstehen. Es muss nicht alles umgesetzt werden, was machbar ist, Es muss nicht alles noch größer, schneller, bequemer und feudaler werden. Wir sollten unser westliches Denksystem nicht zum Maß aller Dinge machen und die Welt damit überrennen.

    Sicherlich ist das Geschilderte nicht der einzige Grund, dass sich woanders ein extrem radikaler Fanatismus entwickelt. Aber gefördert wird er in nicht unerheblichem Maß durch unsere eigene einseitige Haltung, wie ich denke.

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    1. Liebe Ruth, danke sehr für deinen Kommentar, dem ich sehr zustimmen kann.

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