Freitag, 14. August 2015

Mitgefühl hat keine Grenzen

Die Informationen, die über die Medien auf uns hereinprasseln, sind zum größten
Teil negativ: Dort ist eine Bombe explodiert, da sind Flüchtlinge ertrunken, dort ist ein Krieg aufgeflammt, da werden Menschen unterdrückt und ausgebeutet, und die Zerstörung der Natur geht ohne Unterlass weiter.

Manche Leute sagen, dass es besser ist, die Medien zu ignorieren oder zu boykottieren, weil sie nur von Katastrophen und Schrecklichkeiten berichten und damit Ängste schüren und das innere Gleichgewicht stören. Was macht es für einen Sinn, sich den Grausamkeiten dieser Welt medial auszusetzen, wo doch nichts dagegen getan werden kann?

Es stimmt, dass der Medienkonsum unsere Ängste vermehren kann. Und es stimmt, dass es niemandem, am wenigsten uns selbst hilft, wenn wir unter Ängsten leiden. Doch ist es wohl ein Vogel-Strauß-Trugschluss zu meinen, dass die Ausblendung aller negativen Informationen die Ängste löst und uns zu einem ruhigeren Leben verhilft. Vielmehr stammen diese Ängste aus anderen Ursachen, und sie werden durch die Medien nur wachgerufen. Wenn es nicht die Medien sind, finden sich genügend andere Auslöser für unsere Ängste. Hätten wir das entsprechende Maß an Entspanntheit, könnten uns selbst die schlimmsten Katastrophen und Gräueltaten nicht in Angst versetzen. 

Deshalb liegt es in unserer Verantwortung, unsere Ängste in unserem Inneren zu lösen. Dann können wir der Welt und allem, was sie am Gutem, Schlechtem und Bösen hervorbringt, gelassen begegnen. Gelassen heißt nicht blind zu sein, sondern wach und bewusst. Es wird nichts an dem Schrecklichen verharmlost, nur bleibt die innere Reaktion ruhig, weil Außen und Innen nicht verwechselt werden.


Globale Schicksalsgemeinschaft


Es gibt noch einen anderen Grund, warum die Abstinenz von der Negativität der Welt kein wirklicher Ausweg ist. Selbst wenn wir unsere Ängste nicht zur Gänze aufgelöst haben, kann es nicht der Weisheit letzter Schluss sein, die Augen zu schließen und in die eigene kleine Welt abzutauchen. Schließlich sind wir eine Welt- und Menschengemeinschaft, unterwegs auf dem Planeten Erde im weiten Weltraum. Was sich darauf an irgendeinem Ort abspielt, betrifft uns in gewisser Weise immer auch selber. Wir können uns nicht abschotten und eine Inselgemeinschaft gründen, in der alles in Butter ist. Selbst wenn wir die medialen Kanäle verstopfen, die überall in unser Leben hineinragen, bleiben wir beeinflusst von dem, was sich tut auf der Welt, ob nah oder fern. 


Jede Grenze des Mitgefühls ist willkürlich


Manchmal ist es so offensichtlich wie die Flüchtlinge und Asylwerber, die das Elend ihrer Heimatländer zu uns tragen und uns vor Augen halten, manchmal wissen wir nicht einmal aus den Medien, dass irgendwo auf der Welt Kinder ausgebeutet werden oder Kranke ohne Beistand und Pflege sterben müssen. Gleich ob wir direkte Erfahrungen haben oder nichts davon wissen: Das Leid von einem Menschen hinterlässt Spuren in allen anderen. Wir spüren es nur deutlicher, wenn es einen Menschen in unserer unmittelbaren Umgebung betrifft. Würden wir es genauso deutlich mit allen anderen Leidenden empfinden, könnten wir das gar nicht aushalten. Aber das heißt nicht, dass wir davon völlig unbeeindruckt sind. Die Auswirkungen auf uns sind nur so gering, dass wir sie nicht wahrnehmen, in Summe aber betreffen sie uns und unser Lebensgefühl sehr wohl.
Umgehen mit der Hilflosigkeit und Ohnmacht, mit dem Nichtübernehmen-Können von Verantwortung, weil unsere Macht begrenzt ist: in unserem immer begrenzten Rahmen Gutes tun und Nichtgutes vermeiden.

Menschliches Leid, in welcher Form auch immer und an welchem Ort auch immer, aktiviert unser Mitgefühl. Es steht uns nicht zu, uns einfach daraus zu stehlen. Unsere Verbundenheit darf nicht am Gartenzaun enden. Wo immer wir willkürlich eine Grenze für unser Mitgefühl einziehen (z.B. Mitgefühl ist nur angebracht, wenn es jemanden aus der eigenen Nation betrifft), verhärten und verschließen wir uns. Unser Denken soll unser Betroffensein ersticken: "Das geht uns nichts an, die gehören nicht zu uns."

Wir wollen uns in unserer Hilflosigkeit und Ohnmacht trösten und ablenken. Doch gehören diese Gefühle zu unserer Position im Ganzen. Wenn wir unsere Ohnmacht akzeptieren, statt sie wegzurationalisieren, zeigt sie auf unsere Macht. Wenn wir unsere Hilflosigkeit akzeptieren, erkennen wir, wo und wie wir helfen können.

Andererseits: Wir können auch nur unser Ausmaß an Mitgefühl leben, und das ist nicht unendlich, sodass es nie ausreicht für das unermessliche Leid, das auf der Welt besteht und tagtäglich von Neuem angerichtet wird. Wir haben eine begrenzte Kapazität an Tränen, die wir für all das Unglück vergießen können.


Mitgefühl und Verantwortung


Deshalb brauchen wir zweierlei:
Das Mitgefühl und die Klarheit über unsere Möglichkeiten und Verantwortung. Ohne Mitgefühl werden wir hart und urteilen überheblich über das Schicksal anderer Menschen: "Hätten sie doch das nicht getan, dann wären sie jetzt nicht in dieser Schwierigkeit." "Die sollen selber schauen, wie sie mit ihrer Katastrophe fertig werden." So grenzt sich der verhärtete Verstand ab von dem, was ihm Angst macht, und knebelt das Mitgefühl. 

Sind wir jedoch nur in der Weichheit des Mitgefühls, so drohen wir angesichts der Masse an Leid darin zu versinken. Soviele Tränen haben wir gar nicht, als es leidende Menschen gibt, und niemandem geht es besser, wenn wir sein Schicksal beklagen und bejammern. Mit der Klarheit über das, was wir tun können, wo wir Verantwortung tragen und wo unsere individuellen Grenzen liegen, können wir dem Mitgefühl zur Seite stehen und handlungsfähig bleiben. 

Ohne Mitgefühl bleiben wir blinde Egoisten und verfolgen nichts als den eigenen Vorteil, gleich was wir damit anrichten. Wenn sich jedoch das Mitgefühl mit der Handlungsfähigkeit verbindet, können wir unser Tun danach ausrichten, was zum Besten für uns und für die Leidenden ist. Wir überprüfen unser Handeln beständig an der Wirklichkeit, in der wir mit allen Menschen verknüpft sind. Deshalb hat jedes Tun einen Anteil daran, das Gute in der Welt zu vermehren oder zu vermindern. 
Das Mitgefühl macht uns darauf aufmerksam, dass es für diese Aufgabe kein Ende gibt. Es sagt uns jedoch nicht, dass wir die Verantwortung für das Aufheben des Leidens und die Heilung aller Verletzungen haben. Diese Weisheit müssen wir aus einer anderen Quelle schöpfen, aus der Klarheit unserer Vernunft. Sie sieht unsere Möglichkeiten und unsere Grenzen im Übernehmen von aktiver Verantwortung.


Die Freiheit des Dienens


Es gibt noch eine weitere Ebene, die die Dualität von Mitgefühl und Vernunft überspannt. Von ihr aus betrachtet, sind alle Phänomene des menschlichen Lebens nichts als ein universeller Tanz, ein göttliches Spiel, ein kosmischer Witz, und das Unglück und Leiden der Menschen Teil der Vielfältigkeit des Lebens. Diese Einsicht gilt jedoch nur so lange, als sie frei ist von Zynismus. Wenn sie auf dem Mitgefühl ruht, dient sie dazu, uns der Freiheit von Anmaßung und Hilflosigkeit zu versichern, die uns die klarste Kraft und Orientierung für unser Handeln gibt. 

Denn unser Part in diesem Spiel besteht im Finden der richtigen Weise des Dienens für die Entwicklung vom Schlechteren zum Besseren. In dieser Haltung tun wir alles, was in unserer Macht liegt, und erkennen zugleich die Grenzen dieser Macht, wo die eigene Verantwortung angrenzt an die von anderen Menschen. Weder als Einzelpersonen noch als Gruppen können wir alle Höllen dieser Welt in Himmel verwandeln. Jedoch ist jedes Stückchen Himmel, das wir erschaffen können, ein unermesslicher Beitrag, der uns selber so beglückt, dass wir mit unserer Kraft diesen Weg weitergehen, frei von Druck und Überverantwortung.

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